Neuerdings hab ich um 10 vor acht schon den ersten Kick des Tages hinter mir. Und das nicht, weil ich mir mit meiner Kaffeemaschine „Silvia“ einen leckeren, fair gehandelten Bioespresso zubereitet, sondern weil ich einen Blick in die Zeitungen des Tages geworfen habe. Seit einiger Zeit kann ich mir daher schon frühmorgendlich einbilden, zu einer zwar kleinen, aber augenscheinlich extrem effektiven lesbischen Spaßbremsenguerilla zu gehören. Die ist wirklich ganz schön mächtig, diese Guerilla. Sie lockt nämlich nicht nur Mädchen aus der Puppen- und Jungen aus der Bauecke, sie nimmt diesen ihre (geschlechtliche) Identität gleich ganz weg. Und bringt dann auch noch den solcherart verstörten Kindern in der Schule bei, dass es auch lesbisch, schwul und transgeschlechtlich lebende Menschen und sogar Intersexuelle gibt – und dass das auch gut so ist. Und schließlich hat sie auch noch einen Großteil der Professuren an deutschen Hochschulen gekapert, um auch dort ihre als Theorie verbrämte „Gender-Ideologie“, die aber nichts anderes ist als der groß angelegte Versuch, das „Diktat der Heterosexualität“ zu beenden, ans studierende Volk zu bringen. Soviel Selbstwirksamkeitserfahrung war nie!

Wären wir in der Welt von Hermione Granger und Harry Potter müssten die nun ernsthaft fürchten, den Kampf gegen den Dark Lord, dessen Name nicht ausgesprochen werden darf, verloren zu haben. Der Sieg der dunklen Mächte ist nahe, die lesbische Weltverschwörung in Gestalt des Gender Mainstreaming, vor der SPIEGEL und FAZ schon vor etlichen Jahren warnten, fast am Ziel. Wir alle wissen indes, dass Hermione und Harry den Kampf nicht verloren haben – und, wie im echten Leben, am Ende auch sie sicher im Hafen der Ehe gelandet sind: Hermione mit Ron und Harry mit Ginny.
Nun leben wir zwar nicht in der Welt von Hermione und Harry, aber auch in unserer Welt werden die dunklen Mächte heftig bekämpft. In dieser Welt trat Hermione, alias FAZ-Redakteurin Heike Schmoll, sonst bekannt für ihre durchaus seriös recherchierten Artikel zu Themen der Hochschul- und Bildungspolitik, zuletzt eben jener „Gender-Ideologie“ beherzt entgegen. In den Internatshäusern dieser Welt träfe die Theologin Schmoll zwar nicht auf den Poltergeist Reeves, aber zum Beispiel auf Pfr. Hansjürg Stückelberger, Präsident der rechtskonservativen Stiftung „Zukunft Schweiz“, die zuletzt mit einer an die Universität Fribourg gerichteten Petition in Erscheinung trat, diese möge die kürzlich an Judith Butler verliehene Ehrendoktorwürde zurücknehmen, da hier eine Ideologin und keine Wissenschaftlerin geehrt worden sei; oder auf Beatrix von Storch, geborene Herzogin von Oldenburg, AFD-Politikerin, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorkämpferin für die Heiligkeit der heterosexuellen Ehe; auch die französische Unternehmensberaterin Beatrice Bourges, Ritter der französischen Ehrenlegion und Mitgründerin von La Manif pour tous; oder die Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin Sybille Lewitscharoff; der Katholik und ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm, der Anfang des Jahres das Bundesverfassungsgericht für dessen Rechtsprechung in Sachen Gleichstellung lesbischer und schwuler Paare scharf kritisiert und sich dafür einmal mehr homophober Argumente bedient hatte, könnten auf diesen Fluren angetroffen werden. Und nicht zuletzt träfe Hermione auf die Protestantin und deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die im vergangenen Bundestags-Wahlkampf bekannt hatte, sie tue sich aus Sorge um die Kinder mit der Gleichstellung von lesbischen und schwulen verpartnerten Paaren im Adoptionsrecht „schwer“. Eine illustre Gesellschaft, fürwahr.
Neu ist der gegenwärtige Versuch der bürgerlichen Mitte, Homophobie wieder gesellschaftsfähig zu machen, nicht. Die „Sexualität der Anderen“, daran erinnert jüngst Mike Laufenberg (2014), ist seit ihrer Erfindung als Andere so ins Verhältnis zu den Körpern und Vergemeinschaftungsformen der Mehrheitsgesellschaft (Staat, Ehe, Familie, Ziviligesellschaft) gesetzt worden, dass sie als Gefahr für deren Integrität und Stabilität erscheint. Die Beziehung, die zwischen dem Leben der Gesellschaft und der Sexualität der Anderen hergestellt werde, argumentiert Laufenberg, sei eine der Ansteckung. Da Letztere sich nicht durch Fortpflanzung reproduziere – das Normalitätskriterium der Heterosexualität –, sondern sich auf rätselhafte Weise vermehre, durch Streuung, Kontakt und Übertragung, drohe ihre ungehemmte Entfesselung die moralische, soziale und biologische Ordnung des kollektiven Körpers zu destabilisieren und letztlich zu zerstören. Gebannt werden könne diese Gefahr, die von ihr für die Einheit und Identität des kollektiven wie individuellen Körpers ausgeht, daher nur dadurch, dass ihre Träger_innen allenfalls vereinzelt oder in kleinen Gruppen in Erscheinung treten dürften. „Zu einer Bedrohung“, so Laufenberg, werde sie in den Augen der Mehrheit dann, „wenn sie beginne, sich zu assoziieren, und anfange, sich zu zählen“. Homophobie ist, in diesem Licht betrachtet, demnach weniger, wie das Wort nahelegt, eine Dimension des psychischen Lebens als eine gesellschaftliche Verteidigungsstrategie.
Dass die Fragen wie, wer und was eine Familie ist, wie sie gelebt wird und gelebt werden soll, nach ‚angemessenen‘ Geschlechterbildern oder danach, welche Rechte lesbischen, schwulen und transgeschlechtlich lebenden Menschen zustehen, gegenwärtig zu den umstrittensten Fragen politischer, ethisch-moralischer, juristischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzung gehören, verweist wohl darauf, dass wir es mit nicht nur gefühlten Erosionen im Geschlechterverhältnis zu tun haben, sondern mit irreversiblen Eingriffen in die patriarchalen Tiefenstrukturen unserer Gesellschaften. In der Tat ist die kulturelle, soziale und symbolische Architektur moderner Gesellschaften auch durch die feministischen, lesbischen und schwulen Emanzipationsbewegungen sowie den mit diesen verbundenen kritischen Wissensprojekten der Gender und Queer Studies nachhaltig erschüttert. Diese haben den Status des heterosexuellen Paares und der Kernfamilie, verstanden als unteilbare Basis jeglicher Gemeinschaft, ohne die es überhaupt keine Gesellschaft gäbe und die daher in jedem Fall geschützt werden muss, allerdings nicht aufgrund einer vorübergehenden psychischen Störung namens ‚heterosexuelle Panik‘ angefochten. Es ging ihnen vielmehr darum, die Frage nach den „Grenzen des Menschlichen“ (Judith Butler), danach also, wessen Leben und welche Bindungen zählen, nachhaltig auf die politische Tagesordnung zu setzen. Die homophobe Verteidigung von Heterosexualität, Ehe und Familie ist eine rückwärtsgewandte Antwort auf diese Fragen. Es wird Zeit, dass Harry auch mit Neville, Hermione auch mit Parvati glücklich werden kann.
Arm
Frau Dietz, wenn Ihnen tatsächlich keine anderen Kritikpunkte einfallen als mangelhafte Orthografie, dann ist das schon ein Armutszeugnis! Dabei gäbe es doch durchaus genug sachliches, worüber man streiten könnte …
Ich glaube auch, dass zu jeder konkreten wissenschaftlichen Hypothese die Möglichkeit ihres Scheiterns gehört – diese Überzeugung teile ich im übrigen mit allen Vertreterinnen der gender studies, die ich näher kenne. Ein Gegenargument, über das sich zu streiten lohnen würde, konnte ich nicht finden. Sie etwa?
H. Dietz
"Überreife Gesellschaften"
haben schon zu allen Zeiten die natürlichen Grundlagen der Schöpfung und des Menschseins verlassen und sind an ihrer Hybris ganz fürchterlich gescheitert! Dieses Mal gibt es mit “Gender” einen durch den simplfizierenden,flächendeckenden!!! Mißbrauch des Gleichheitsgrundsatzes,dem -an sich- komplexesten Prinzip des pol.-ges. Diskurses, gespeisten Treibsatz,der an Wirkungsmacht nicht zu ubertreffen ist! Jeder Versuch eines ergebnisoffenen (komplexen !!!) Diskurses hat -bei den ja höchstmotiverten GenderistInnen keine Chance! Das Übrige soll die “Schweigespirale”(s.Wiki) richten! Es gibt aber die sehr konkrete Hoffnung/ Befürchtung, daß die Natur das Ganze innerhalb 2-er Generationen erledigt!!
und was sind ihrer Meinung nach
die “Grundlagen der Schöpfung”? In den Schöpfungsgeschichten kommt vieles gar nicht vor, was uns heute selbstverständlich ist – weder die Dinosaurier noch die Reproduktionsmedizin. Man kann natürlich alles verteufeln – aber dann sollte man bei einem epilepitschen Anfall eines Menschen auch anfangen, Dämonen auszutreiben, statt zum Neurologen zu gehen. Schließlich war das vor 2000 Jahren die Meinung, wie man mit diesem Phänomen umgehen sollte. Ist das etwa das, was sie wollen?
Die Kommentare verraten wie so oft mehr als der Artikel
Inzwischen erlebe ich es immer öfter, dass ich “zeitdiagnostische” Artikel lese – meist aus reiner Neugier – und dann beim Lesen der Kommentare feststelle, dass sie von viel größerem, zeitdiagnostischem Wert sind.
Ich bemühe mich mal um eine nüchterne Darstellung der Tatsachen:
1. Auslöser der gegenwärtigen Diskussion ist der baden-württembergische “Bildungsplan”, der inzwischen durch Reformen im buchstäblichen Sinne verharmlost wurde.
2. Es gab vor dieser Verharmlosung massive Gegendemonstrationen und auch reichlich öffentliche Meinungsäußerungen.
3. In Reaktion auf diese Demonstrationen und Meinungsäußerungen kam es zu Verteidigungen der hinter dem ursprünglichen Bildungsplan vermuteten “Ideale” bzw. ihres Gegenteils (des Status Quo).
Was seitdem passiert, besticht vor allem durch Unsachlichkeit und “Schaum vor dem Mund”-Mentalität, die auch hier in den Kommentaren vorzufinden sind.
Wenn wir Heteros alle gar kein Problem haben und ganz entspann sind, warum bedroht uns denn dann dieser Bildungsplan oder ähnliche Ideen?! Wenn unsere Kinder kapieren, dass wir ihre Eltern sind, dann wissen sie auch, was es “braucht”, um Kinder zu kriegen. Wovor haben wir also Angst?
Die spannende Frage ist doch nicht, wer hier Recht hat, sondern warum es uns als Mehrheitsgesellschaft so unglaublich wichtig zu sein scheint, Recht haben zu WOLLEN, obwohl es im Grunde genommen um nichts weiter geht als den Toleranzgrundsatz des Leben und Leben Lassens.
Das ist in der Tat die spannende Frage...
..hätten Sie eine Antwort? Ich hätte ein paar Kandidaten, aber vielleicht wäre das eher etwas für einen eigenen Blogbeitrag ;-).
Gruß!
H. Dietz
Kaffee ist nicht gleich Kaffee
Die Frage der Sozialisation von Sexualität entwickelt sich zu einem großen westlichen Thema. Freute man sich anfangs nur über die liberal-individuellen Befreiungsgewinne der bisherigen Opfer, die nun nach ihrer Facon glücklich werden könnten; so beschleicht einem zunehmend ein Gefühl von Unbehagen. Wohin führt die Dekonstruktion von “Heteronormativität” und bisherigen Sozialisations-Institutionen und deren inhaltlichen Neuausrichtung (Sprache, Ehe, Familie, Kirchen…) ? Ab wann schlägt Aufklärung und Befreiung in eine neue Sozialisations-Zwangsjacke um? Sind die Befreiungs-Sozialisations-Kosten zu ertragen und – vorübergehend, wie auf dem Weg vom Sozialismus in den Kommunismus – sogar eine GP (Genderpolizei) mit und ohne Uniform und mit Lehrstühlen für die Genderwissenschaft notwendig, die nicht nur die richtigen Wortendungen analytisch erforschen und gesellschaftlich durchsetzen? Sind die momentanen Empfindsamkeiten – sag nur bi/schwul…. zu mir, wenn “ich”, weil es dann gut so ist, es will – zu vernachlässigende Übergangsphänomene? Ist das “Unbehagen” nicht selbst ein Übergangsphänomen, denn in nächster Zeit hat jeder, der es sich leisten kann, eh >Sex< mit Maschinen, weil ansonsten alles zu nervig wird? Oder sind das alles Fetisch-Dekadenz-Phänomene des sterbenden Kapitalismus, wo nur noch momentan die "Nebenwidersprüche" tanzen (wunderhübsche Tanzstunde gelegentlich bei der Taz-Lektüre)?
Gruß an die Kaffeemaschine “Sylvia” von einer guten Tasse Bohnenkaffee (Plastikfilter noch aus Elaste und Meißen, 2. Wahl).
Leicht panisch und noch geistig schwankend zwischen G- und K-Punkt (Finger auf Dauer nur in den eigenen Hals zur Vorab-Immunisierung gegen Romantikanflüge) und schwankend zwischen der Unterschrift für die Antiprostitutionskampagne von "Emma" und/oder auf dem Weg zur Demo gegen Frühsexualisierung oder nur leicht polemisch Götz von B.
Bitte Bitte Bitte
Es heißt Hermine, nicht Hermione! Ich habe nach der Hälfte aufgehört ihren sonst sehr interessanten Artikel zu lesen, einfach weil es Hermine heißt und nicht Hermione!
Im englischen Original heißt Hermine Hermione.
Das Genderwesen...die relevante Wesenheit des "Geist-Gleichgewicht"?!
Gesellschaftliche Selbsterkenntnis und Einsicht in “gezielter” Bildungsform, Genderwissenschaft ist aus evolutionärem
Gleichgewichtbestreben sowohl relevant als auch notwendig.
Von kleinen über größeren bis hin zu großen skurrilen?, Geist-schräglagenerkennungen gesellschaftlicher “Geist-Normen-Muster”
und ihren Auswirkungen, Auswüchsen.
Etabliert im Bildungssystem…gut so. Die Gefahr:
Etabliert als “Establisment” ohne “Genderselbstreflexion”,
sondern als, selbst “Establishment” zuge”HÖRIG” außerhalb
der Gleichgewichtnotwendigkeit.
Die Qualität der Geistreife, die Qualität der notwendigen Selbstreflexion der Menschen, die das “Gender-Bildungssystem-Wesen” personifizieren
entscheidet über die Qualität des Gendererfolgs…nicht die relevante “Thematisierung” und Evolutionside/e/al Gleichgewicht!
Gendererfolg…Schräglagenbeseitigung bis zu Waagrechten…Gleichgewicht…darüber hinaus neue Schräglage.
Selbstbegrenzung…besonders im Kreis des noch existierenden “Establishment”…auch genderbedürftig?!…ist wichtig
bei asymptotischer oder Annäherung an “waagrechte Geist-Lage”.
Überschwingungsannäherung, wie sie wohl eher stattfindet…auf jeden
Fall hier im Blog von mir zu beobachten von den Gendergegnern,
Gleichgewichtverächter?:=)…braucht besondere sensible Erkennung
des Selbstbegrenzungzeitpunktes.
Wie auch immer…der Weg der Selbsterkenntnis und Einsicht…
Genderweg ist zu begrüßen.
Nichts bewahrt uns so gründlich vor Illusionen wie ein Blick in den Spiegel.
Aldous Huxley
Ein Merkmal großer Menschen ist, dass sie an andere weit geringere Anforderungen stellen als an sich selbst.
Marie von Ebner-Eschenbach
Ein stolzer Mensch verlangt von sich das Außerordentliche. Ein hochmütiger Mensch schreibt es sich zu.
Marie von Ebner-Eschenbach
Gruß
W.H.
konsequente Inkonsequenz.
Liebe Autorin, warum die Dinge nur halb angehen? Ron sollte genauso mit Rubeus Hagrid, Harry mit seiner geliebten Eule & Hermine mit ihrem Zauberstab glücklich werden dürfen…& diese Vereinigungen sollten selbstverständlich auch der Ehe gleichgestellt werden.
Mönsch, Frau Dietz,
hab ich ja jetzt erst gesehen … na, Sie sollen nicht ohne Antwort schlafen gehen müssen: Es gibt bestimmt 100 anerkannte Angsterkrankungen, “PHOBIEN” genannt, verrät uns Wikipedia. Bloß die “HOMOPHOBIE” soll nun ausgerechnet ein von-wem-auch-immer gekaperter Begriff sein, der gar nichts mit Krankheit, sondern bloß was mit “Feindlichkeit” zu tun haben soll? Wieso, bitteschön, sagt man dann nicht “… feinlichkeit” sondern ausgerechnet “PHOBIE” dazu, hm? Sehen Sie – das finde ich “unredlich”! Was war noch? Dass sich die verbeamtete Autorin, mit ihrer Ansicht, die Heterosexualität, die Ehe und die Familie nach allem, was ich dort lesen kann, als “homophob” verunglimpft, ganz klar außerhalb des Referenzrahmens des GG bewegt, das uns aufgibt, Ehe und Familie und Eltern und deren Kinder zu schützen (deren Beziehung in den meisten Fällen die Biologie zugrundeliegen dürfte) – was gibt es an dieser Feststellung denn eigentlich zu kritisieren? Wieso stört Sie eigentlich nicht der Fakt als solcher, frage ich mich mal ganz ernsthaft?
Danke, dass Sie mich nicht ohne Antwort schlafen gehen lassen wollen! Und Sie sollen auch nicht ohne Antwort bleiben: An dem Fakt, Familien mit Kindern zu schützen, stört mich überhaupt gar nichts! Im Gegenteil! Ich bin nur zugleich der Meinung, dass Familien eben nicht nur aus Mann, Frau, Kind(ern) bestehen können, sondern auch aus Mann, Mann, Kind(ern) oder Frau, Frau, Kind(ern), die sich miteinander für Kinder entscheiden; denn Ehen kann man scheiden, Kinder hat man(n) oder frau ein Leben lang. Der Verweis auf die Biologie überzeugt mich hier eher nicht; denn biologisch möglich ist vieles, zB dass Frauen von One Night Stands Kinder bekommen oder dass Männer Frauen dafür bezahlen, dass sie für sie Kinder bekommen. Es geht also nicht darum, was möglich ist, sondern eher darum, was möglich sein soll – und wie genau. Was genau schreckt Sie an einer möglichen Aufweichung der Mann-Frau-Kind(er)-Familie?
Zur Phobie noch eine letzte pedantische Anmerkung: Phobie ist nicht nur ein Fachbegriff der Psychiatrie, sondern auch der Sozialwissenschaften und wird doch in der Umgangssprache auch ähnlich verwendet, nämlich tatsächlich “nur” als Angst oder Ablehnung. Ich bin allzu üppigen – wie Herr Haupts sie nennt – Sprachbildern gegenüber skeptisch, weil Sprache für mich als Soziologin Arbeitsinstrument ist. Aber vielleicht werde ich nächstens einfach einen Sprachbildfaktor abziehen (so wie ich bei Herrn Haupts manchmal einen Polemikfaktor abziehe, also jenes Quentchen, das mir nur der zugespitzten Positionierung geschuldet scheint).
In diesem Sinne guten Abend!
H. Dietz
Bin ich richtig hier?
Ist das wirklich der FAZ-Blog? Erschreckt das nicht all die hochangesehenen Schmolls, von Altenbockums, Müllers und Wiegels, die den Nerv vieler FAZ-Leser, AfD- und FN-Anhänger so zielsicher treffen und ihnen mit brillianten Argumenten geistige Nahrung verschaffen? Welche die Sorgen und Ängste der diskriminierten männlichen heterosexuellen deutschen weißen groß- und kleinbürgerlichen Minderheit noch Ernst nehmen und es fast schon als konterrevolutionären Akt begreifen, Wahrheiten auszusprechen, die der linksgrüne Mainstream schon vor Jahrzehnten ausgemerzt zu haben glaubte?
Argmente, denen schwerlich zu widersprechen ist, sind sie doch von schlichter Logik geprägt. Zuvorderst: Homosexuelle können eben keine Kinder zeugen. Zumindest nicht mit homosexuellen Partnern. Daher müssen diese Partner im Erbfall eben auch höhere Steuern bezahlen um nicht das Leitbild der familiären Keimzelle zu verdunkeln, das auch jedem Homosexuellen nahezulegen sei, wenn er denn nur wolle und sich nicht aus politisch mutmaßlich linken Gründen diesem ewigen und biblisch festgelegten Lebensziel verweigere.
Selbst journalistische Größen wie Reinhard Müller geraten bei Jauch in der Diskussion um Adoption argumentativ in die Defensive, wenn sie die zwingende Logik der Verfassungsrichter kritisieren sollen. Ehemals als fortschrittlich gescholtene christlich-demokratische Jungpolitiker wie Katharina Reiche scheinen sich dem konservativen Publikum nur noch aus wahltaktischen Gründen anzudienen. Selbst ein Herr Mappus, der Mann mit dem Vorschlag zum Verkehrsamt für die Eintragung von Lebenspartnerschaften mochte später noch zu seinen Äußerungen stehen. Allenfalls ein Herr Bosbach behauptet sich doch noch als Fels in der Brandung, die heute in Form schwuler Außenminister, quotenfordernder Verteidigungsministerinnen und geschiedener Kanzlerinnen daher kommt, denen man die mühsame Verteidigung konservativer Grundüberzeugungen nicht mehr abnehmen mag.
Kein Verlass ist mehr auf ehemals konservative Urgesteine wie Herrn Stoiber, der einst eingetragene Lebenspartnerschaften als Teufelsanbetung bezeichnet hatte, gegen diese vor dem Verfassungsgericht klagte und als Kanzlerkandidat einen atemberaubenden Schwenk vollzog, als er plötzlich Sätze sprach wie “Wir wissen, dass in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Werte gelebt werden, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind.”
Solche Sätze müssen jedem weh tun, der seine konservative Haltung dadurch definiert, dass er für Werte steht, die sich anderen nicht erschließen und bestimmte Menschengruppen per se ausschließt. Frauen, die ihrer Bestimmung als Mutter am Herd nicht nachkommen, Menschen mit nicht-deutschem familiären Hintergrund und eben Homosexuelle, vor allem solche, die dies aus freier Entscheidung sein müssten. Solche Menschen haben jenseits von kreuz.net und Junger Freiheit kaum mehr ein publizistisches Sprachrohr. Menschen wie Sibylle Berg erzeugen beim Spiegel bei ihnen Hitzewallungen ebenso wie die bloße Erwähnung linker Kampfmedien wie der taz (die ich noch nie gelesen habe).
Möchte also die FAZ mit diesem wundervollen Beitrag den Anschluss suchen an den linksgrünen Mainstream? Haben nicht kritische Berichte über Streitereien in der AfD bereits schlimme Abwehrreaktionen ausgelöst. Gab es nicht schon zahlreiche Kündigungen der FAZ.NET Mitgliedschaft nach verständnisvollen Kommentaren zum Verbot entwürdigender Untersuchungen homosexueller Asylbewerber, womit auch ein Herr Müller das Prädikat eines stramm Konservativen verliert? Wurde den Lesern nicht schon viel zu viel zugemutet mit Fakten zu Gehaltsunterschieden nach Geschlecht? Braucht nicht auch der kluge Kopf hinter dem Bildschirm gelegentlich etwas Selbstbestätigung mit einem Gefühl des “Wenigstens-hier-dürfen-wir-noch-unsere-unterdrückte-Überzeugung-niederschreiben”? Löscht nicht auch die FAZ-Redaktion so manchen im Brustton der Überzeugung ausgesprochenen Leserbeitrag, der nur einem offiziellen Kommentar zuzustimmen meinte? Darf man nicht einfach auch konservativ sein wider bessere Argumente? Muss so viel Meinungsfreiheit nicht sein?
Ich aber fühle mich heute richtig wohl hier und bedanke mich artig für ein “das-durfte-ich-mir-doch-mal-in-aller-Ausführlichkeit-von-der-Seele-schreiben”!
Willkommen
Liebe Archangela,
willkommen auf diesem FAZ-Blog! Das dürfen Sie sich gerne mal in aller Ausführlichkeit von der Seele schreiben – und Ich. Heute. 10 vor 8 abonnieren, bei uns gibt’s so was öfter ;-).
H. Dietz
Muss schlimm sein in Deutschland. WELT, FAZ und CICERO als letzte verbliebene
Druckmedien mit öffentlicher Reichweite, in denen im weitesten Sinne konservative Auffassungen überhaupt noch abgedruckt werden können, sind gegenüber taz, FR, SPIEGEL und ZEIT natürlich so erdrückend dominierend, dass man die Öffnung der drei für die winzigen Fenster echter Meinungsfreiheit nur mit Glücksgefühlen begrüssen kann. Ein kurzer Blick auf die Reichweiten:
WELT, FAZ (täglich): ca. 520.000 (zusammen)
CICERO (monatlich): ca. 85.000
taz und FR (täglich): ca. 160.000 (zusammen)
SPIEGEL und ZEIT (wöchentlich): 1.380.000 (zusammen)
Oops, der Markt der gedruckten Qualitätsmedien wird ja gar nicht von Rechtspopulisten beherrscht, sondern eher umgekehrt. Okay, Kommando zurück, dann ziehen wir uns halt auf die Position zurück, dass man unbedingt verhindern muss, dass bestimmte Positionen überhaupt noch öffentlich vertreten werden können. Im Interesse von (beliebiges einsetzen).
Schliesslich fühle ich mich solange unterdrückt, bis ich nichts mehr zu lesen oder zu sehen bekomme, was ich nicht mag. Mimimi …
Gruss,
Thorsten Haupts
@Archangela
Hallo Frau D’Anquert,
da haben Sie mit “FAZ-Leser, AfD- und FN-Anhänger” eine schöne Klimax hingelegt, Glückwunsch.
Sie haben sicher einen besseren Überblick: Mir kommt es so vor, als würde ein Thema wie das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften in dem Verve, mit dem es diskutiert wird, die gesamtgesellschaftliche Bedeutung um Längen übersteigen. Ich habe in einem Artikel einmal die Zahl von 10.000 Personen gelesen, die das in Dtl. beträfe. (Und lesbische Paare können sich ohnehin bereits problemlos ihren Kinderwunsch erfüllen.) Es ist also ein Thema, das 1/8000 der Gesellschaft betrifft. Selbst wenn nicht nachgewiesen ist, dass es den Kindern nicht schadet – wie Hr. Haupts weiter oben anführt – ginge dieser ggf. entstehende Schaden im großen Grundrauschen unter. Es spricht überhaupt nichts gegen ein Freigeben des Adoptionsrechts, wenn wir uns dann den tatsächlichen Problemen unserer Zeit zuwenden würden. Stattdessen arbeiten wir uns an Fragestellungen ab, die aus statistischer Sicht gar keine sind.
Wo wir gerade bei Statistik sind: Gender pay gap – diese Lücke gibt es unbestritten. Wenn in den Medien rein bei den Fakten geblieben werden würde – wie Sie in Ihrem Kommentar anführen – dann wäre da nichts zu meckern. Allerdings werden kausale Zusammenhänge aus der Statistik herausgelesen, die durch die Statistik gar nicht bewiesen wurden.* Und dieses Instrumentalisieren, trotz allen Spotts, der sicher als Antwort folgt, geht mir doch gewaltig auf den Geist.
Ich bin seit nunmehr zehn Jahren jeden Tag auf’s Neue verwundert, wie wenig es heute braucht, um unter die Kategorie “strammer Konservativer” zu fallen.
Viele Grüße
Günther Werlau
* Wussten Sie, dass der Rückgang der Storchenpopulation im Deutschland des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts in dem Maße stattfand, in dem die Leute Aluminiumgeschirr und -besteck zum Essen benutzten. Die Korrelation ist nahe 1.
Nach der Selbstverortung der Journalisten ist die Mehrheit davon links, die Unis
in den Sozialwissenschaften sowieso (traditionell seit den sechzigern). Beide Gruppen wissen gar nicht (woher auch), wie weit sie von der realen Mitte der Bevölkerung entfernt sind.
Anders ist die vorgeführte erstaunte “Bestürzung” über PEGIDA oder AFD nicht zu erklären (die Bestürzung ist natürlich gespielt, die Linke liebt sichtbare Rechtspopulisten: Fördergelder!). Für einige Blogherrinnen, die Uniprofessoren in Soziologie et al und viele Journalisten dürfte ich nur knapp am Faschisten vorbeischrammen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Herr Haupts: Das hätten Sie wohl gerne ;-), dem ist aber nicht so.
H. Dietz
Antworten
Vielen Dank, liebe Mitstreiterin Hella Dietz!
Herr Werlau, ich habe doch nichts dagegen, die zentralen Probleme dieser Menschheit zu lösen oder auch nur zu diskutieren. Wenn Sie meine Beiträge bei FAZ.NET lesen, wissen Sie, dass ich mich für viele dieser Probleme interessiere. Das Adoptionsrecht für Homosexuelle gehört nicht dazu. Aber Sie werden doch nicht den ganzen lieben langen Tag die Probleme der Menschheit diskutieren, das muss ja unglücklich machen. Wenn Sie sich allerdings in einen Blog verirren mit dem Motto “Frauen schreiben. Politisch. Poetisch. Polemisch” und einen Artikel mit dem Titel “heterosexuelle Panik” kommentieren, dann dürfen Sie doch nicht den Anspruch erheben, dass dort Ihre Lieblingsthemen besprochen werden. Das Internet bietet doch Platz für viele Diskussionen, wie kann man sich nur darüber aufregen, dass es Plätzchen gibt, an denen man sich nicht so sehr daheim fühlt?
Zum Thema: ich brauche für mich persönlich kein Adoptionsrecht für Lesben und wie Sie zurecht geschrieben haben, können Frauen ihren Kinderwunsch meist problemlos realisieren. Die große Angst kommt meist auch nur dann, wenn Schwule Kinder adoptieren wollen. Männer und Kinder, wie passe das zusammen? So argumentieren Männer, die an anderer Stelle frei von Logik tränenreich über die Beschneidung von Männer- und Väterrechten lamentieren. Die Forderung nach einem solchen Adoptionsrecht unterstütze ich hingegen vollständig! Ich bin sicher, dass die Fähigkeit, Kinder liebevoll aufzuziehen, Ihnen Zuneigung zu geben und Werte zu vermitteln in keinster Weise auf eine bestimmte sexuelle Orientierung beschränkt ist. Das deckt sich nicht nur mit meinem Menschenbild, sondern auch mit Fakten, Studien und Gutachten, die das Bundesverfassungsgericht bei seiner positiven Entscheidung zur Sukzessivadoption berücksichtigt hat, die im Übrigen schon heute eine vollständiges Adoptionsrecht begründet (erst adoptiert der eine Lebenspartner, dann übernimmt der andere Lebenspartner sukzessiv die Adoption für das Paar).
Mit Ihrer Klage, dass Medien nicht immer objektiv und neutral sind, lösen Sie bei mir bestimmt keinen Widerspruch aus. Ihr Beispiel zeigt, wie mit Statistiken schon immer Schindluder getrieben wurde, unabhängig von politischen Präferenzen.
Ob Sie stramm konservativ sind, weiß ich nicht. Ich habe weniger ein Problem mit Konservativen denn mit Menschen, die stolz auf eine bestimmte politische Überzeugung sind und dies mit Fakten und Zusammenhängen begründen, die objektiv falsch sind. Damit meine ich aber nicht Sie.
Herr Haupts, wo habe ich denn geschrieben, das Qualitätsmedien durch Rechtspopulisten dominiert seien? Das wäre doch schon ein Widerspruch in sich. Tenor meines Beitrags war: die armen Konservativen können einem trotz inhaltlicher Differenzen fast schon ein bisschen Leid tun, weil sie langsam heimatlos werden. Nur wie beschrieben gibt es dafür gute Gründe. Für Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit und Homophobie gibt es einfach keine guten Argumente. Aber es wird noch eine Weile dauern, bis die Letzten das begriffen haben. Sklaverei war auch lange mehrheitsfähig, das war schließlich nützlich. Natürlich kann man konservativ sein, ohne solche Positionen zu vertreten.
@D´Anquert: Es ist vermutlich sinnlos - aber ich bestehe auf einem Unterschied
zwischen Konservativen und den pöbelnden Heulsusen, die häufig als solche etikettiert werden.
Und auch wenn es mir bei ziemlich vielen eigentlich egal ist, ob sie publizistisch heimatlos werden (ich klau mal bei einer Berliner Bloggerin: Ich mag Menschen nicht, aber ich verbringe viel Zeit mit dem Versuch, sie zu verstehen). Kann ich nicht umhin, freundlich zu prophezeihen, dass diese Heimatlosigkeit Folgen haben wird. Die amerikanische Tea Party ist eine der radikalsten Folgen gefühlter Heimatlosigkeit, ihre kleinkarierte Gnadenlosigkeit ist auch eine Folge der dummdreisten Arroganz, mit der ihre Gegenpartei ihren gesellschaftlichen Sieg gefeiert hat. Und wenn mich meine Sensoren nicht täuschen (die haben etwas ähnliches für Europa weit früher als eingetreten vorhergesagt), dann ist es jetzt auch bei uns in Westeuropa soweit.
Gruss,
Thorsten Haupts
@Archangela: Weltenrettung
Hallo Frau D’Danquert,
es wundert mich nicht, die von Ihnen genannten Themen hier im Blog zu lesen und andere – die ich wohlmöglich für bedeutender halte – nicht.
Aber gerade am Thema Adoptionsrecht für homosexuelle Paare sieht man schön, was für eine Stellvertreterdebatte geführt wird, weshalb ich mir neben den – in der öffentlichen Wahrnehmung gemeinhin durch die “Tiefenstrukturen des Patriarchats” verursachten – Erwerbseinkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen dieses Thema aus Ihrer Triade herausgegriffen habe.
Wie schon gesagt, bin ich für ein solches Adoptionsrecht, weil ich insbesondere Ihre Ansicht teile, dass Männer Kinder auch liebevoll aufziehen können und meine, unser Strafrecht sanktioniert den Handlungsspielraum in einer solchen Konstellation hinreichend, um den unterschwellig immer mitschwingenden Bedenken Rechnung zu tragen. Aufgrund der Emotionen, die mit diesem Thema verbunden sind und des Risses, der quer durch das Meinungsbild der Gesellschaft geht, eignet sich dieses Thema besonders gut für eine Stellvertreterdebatte, in deren Windschatten die Themen, die deutlich mehr Menschen direkt betreffen, einfach im Hinderzimmer verhandelt und durchgewunken werden. Das ist bedauerlich, wie ich finde – für beide Seiten übrigens.
Beim diesjährigen Martinssingen stand ich, auf meine Kinder wartend vor einem Tailändischen Imbiss, umgeben von einigen anderen Eltern. Darunter war ein lesbisches Paar. Die größere der beiden umfasste ihre Partnerin und küsste sie, wie in einem Schwarzweissfilm mit Humfrey Bogart (sie in der Rolle des Bogart), um sich danach herausfordernd in der kleinen Gruppe umzuschauen. Und wissen Sie, was geschah? Nichts. Kein Tuscheln, keine abschätzigen Blicke, gar nichts, nur ein mehr oder weniger geduldiges Warten auf das Wiederöffenen der Tür, damit die Kleinen wieder in Empfang genommen werden konnten. Die herausfordernden Blicke hatten mich irritiert, ohne dass ich genau wusste warum. Heute weiß ich es: Es war das Handlungsmuster, dass nicht mehr zur Realität passte. Ich war nicht Zeuge eines befreienden Tabubruchs geworden und scheinbar auch niemand sonst. Nur die große Frau vor mir. Gut, vielleicht war sie auch einfach nur das lesbische Pentdant eines Machos und wollte mit ihrer Errungenschaft angeben.
Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Es wird oft angeführt, die Ablehnung von Ausländern wäre dort am größten, wo die wenigsten Ausländer sind. Daran ist sicher auch etwas dran. Kann es vielleicht sein, dass analog dazu die “heterosexuelle Panik” dort am deutlichsten wahrgenommen wird, wo es sie am wenigsten gibt? In Berlin – ich bin zugegeben immer nur Tourist gewesen, nie intimer Kenner – habe ich bisher immer nur den größten Gleichmut gegenüber auch dem abgedrehtesten Freak erlebt. Vielleicht wird gerade dort, wo die meisten, der hier schreibenden Frauen leben, die Bedrohung durch das Patriarchat und den “zornigen weißen Mann” überdeutlich (phobisch?) wahrgenommen.
Viele Grüße
Günther Werlau
PS: Und ja, ich lese Ihre Kommentare gerne. Sie erscheinen mir nie verbohrt, auch wenn ich oft nicht Ihrer Meinung bin.
@Werlau: Ich greife Ihre Steilvorlage mal auf. Es ist ja häufig zu lesen,
unsere Gesellschaft sei transphob. Tutto completti, die wenigen queeren Nischen ausgenommen.
Wie schon erwähnt bin ich in der Situation, in meinem direkten Umfeld 3 Transsexuelle und den Umgang mit ihnen erebt zu haben. Ein jetzt schwules Pflegekind einer Grossfamilie als Friseur (soweit ich mich erinnere), ein jetzt männlicher Mitarbeiter im Rechnungswesen einer grossen Bank, eine jetzt weibliche Mitarbeiterin in einer Stadtverwaltung.
Alle drei waren in einem Umfeld, das Transsexuelle bestenfalls aus dem Fernsehen kannte. Bei allen dreien habe ich dasselbe beobachtet und dasselbe von den Betroffenen gehört: Fast verlustfreie Mitnahme der Freundeskreise, fast uneingeschränkte Unterstützung durch ihre Familien, praktisch schon fast gleichgültige Kenntnisnahme durch ihren Kollegenkreis.
Die sozialen Umfelder bestand im wesentlichen aus Kleinbürgern der verschiedensten Art.
Weshalb sich mir (nicht nur hier) die Frage stellt, ob diese Gesellschaft tatsächlich so furchtbar transphob ist? Oder nicht? Oder nur in bestimmten Gruppen, was diejenigen nicht sagen dürfen, die diesen Vorwurf erheben (wegen Klassismus oder Rassismus oder was auch immer)? Natürlich sind meine Beobachtungen anekdotisch, aber eigentlich unerklärlich, wenn die massiven Vorwürfe an die Gesellschaft stimmen. Oder – horrible dictu – dient diese Erzählung nur einem taktischen Zweck …
Gruss,
Thorsten Haupts
Titel eingeben
Lieber Herr Werlau, vielen Dank für Ihre nette und persönliche Antworten. Ein paar Antworten meinerseits:
“Panik dort, wo es sie am wenigten gibt”. Ja, zum Teil haben Sie damit Recht. Ich persönlich verspüre keine Panik und halte mich nicht für diskriminiert. Wenn Sie sich an die #aufschrei-Debatte auf Twitter erinnern, so haben Sie wahrscheinlich mitbekommen, dass sich sehr viele Frauen im Alltag angegriffen fühlen. Bei manchen Kommentaren, die man hier (generell) im Forum liest, kommt einem das Grauen. Den Anlass der Aufschrei-Debatte (Brüderles Bemerkung gegenüber der Journalistin Himmelreich) fand ich übrigens ziemlich nichtig. Es ist aber eben so, dass Menschen sich angegriffen fühlen, wenn sie sich in der Defensive fühlen. Viele Frauen empfinden ihre Position so und oft ist sie das leider auch. Homosexuellen geht es genauso, für uns ist das Coming Out ein schwieriger Selbstfindungsprozess, selbst wenn einem mehr oder minder wohlmeinende Journalisten schreiben, man solle sich doch nicht so haben, das sei doch alles kein Problem mehr. Auch hier verweise ich auf viele üble Kommentare im Forum, die ich in meinem Alltag nur selten zu hören bekomme, die es aber natürlich gibt. Auf der anderen Seite gibt es erstaunlich viele weiße heterosexuelle Männer, die sich von Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Homosexuellen geradezu bedroht fühlen. Das ist dasselbe Muster, nur handelt es sich dabei noch nicht einmal um kleine Minderheiten, die eine vergleichbare Leidensgeschichte hätten.
Zu Ihrem Erlebnis vom Martinssingen kann ich wenig sagen, ich weiß nicht, wie der Blick einer Frau zu deuten ist, den ich nicht gesehen habe. Es könnte Stolz, Provokation aber auch Unsicherheit sein. Ich bin mit Küssen in der Öffentlichkeit zurückhaltend. Vielleicht sollte man nicht zu viel hinein interpretieren.
Zum Thema Adoption bin ich froh, dass Sie da eine offene Haltung haben. Ich verstehe, dass manche Menschen mit diesem Thema Schwierigkeiten haben. Vor allem ältere Menschen sind doch damit aufgezogen worden, dass Homosexuelle krank, pervers und kriminell sind. Dass man soclehn Menschen keine Kinder anvertrauen möchte, ist emotional verständlich. Nur sind das eben Vorurteile, an denen man arbeiten sollte.
Was die Stellvertreterkriege betrifft haben Sie natürlich absolut Recht. Politik und Medien lieben das. Was wieder das genannte Thema betrifft, halte ich es wie gesagt wahrlich nicht für entscheidend für die Menschheit. Allerdings offenbart es auch, dass es hier viele unnötige Ängste gibt, die man nur durch Aufklärung und Diskussion überwinden kann. Der Bildungsplan Baden-Württemberg brachte Tausende auf die Straße, was doch zeigt, dass dies ein Thema ist, das Menschen bewegt. Mir wäre es viel lieber, wenn sich diese Menschen für andere Dinge engagieren würden und wenn die Einstellung zu diesem Thema nicht als Gradmesser missbraucht würde, ob man ein aufrechter Konservativer sei. Interessierte Kreise nutzen diese Emotionalisierung ebenso wie die derzeitige Islamdebatte aber für die Bindung von Anhängern.
Vielen Dank, dass Sie meine Kommentare gerne lesen. Es ist doch ein sehr guter Anfang, wenn man Menschen mit anderen Ansichten respektieren kann.
Transpho und heimatlos
Herr Haupts, der Begriff transphob erschließt sich einem zwar sofort, dennoch habe ich ihn heute zum erste Mal gelesen. Ich habe dazu noch nie eine aufgeregte Debatte wahrgenommen. Persönlich kenne ich meines Wissens keine(n) Transsexuelle(n), da haben Sie mir etwas voraus.
Das Problem der Heimatlosigkeit halte ich für ernsthafter, deswegen habe ich es – wenn auch ironisch angesprochen. In der Politik ist viel davon zu hören, dass es um eine Bindungskraft von Randgruppen gehe. Insbesondere die CSU ist dafür bekannt, dass sie Parteien rechts von sich überflüssig machen wolle. Das hat bundesweit nicht geklappt, sonst gäbe es nicht immer wieder Republikaner, DVU, NPD, PRO oder AfD (die sich natürlich unterscheiden). Wie am vielleicht extremen Beispiel der Sklaverei beschrieben gibt es aber Positionen, bei denen ich schlicht auf ein Aussterben hoffe. Vielleicht ist es mit der Angst vor Gleichberechtigung ebenso.
Die Angst vor Anderen und Fremden wird hingegen wahrscheinlich immer bleiben und deren Integration wird immer eine Herausforderung sein, die nicht immer klappt. Das liegt in der menschlichen Natur. Man muss hoffen, dass die Politik darauf verantwortungsvolle Antworten findet anstatt Stimmungsmache zu betreiben. Aktuelle Umfragen zu Flüchtlingen zeigen allerdings, dass 2/3 der Deutschen das nicht so sehen, was ich erschreckend finde.
Geehrte Frau d'Anquert, transphob ist eine weit verbreitete Behauptung des
modernen Netzfeminismus, wer’s nicht glaubt – kleiner drei und mädchenmannschaft sind nur zwei nicht einflusslose Blogbelege.
Ob in der Gesellschaft wirklich noch grössere Gruppen “Angst vor Gleichberechtigung” haben, bezweifle ich wirklich. Bei der Quotendebatte beispielsweise geht´s um Privilegien, Machzugang, Einkommen. Warum sollte ich als (rein theoretisch) potentieller Verlierer bitteschön dafür sein? Und warum sollte ich für den geforderten frauenfreundlichen Umbau der Unternehmenslandschaft sein, wenn das bisher erreichte Wohlstandsniveau genau der heutigen Unternehmenskultur zu verdanken ist? Natürlich dürfen Feministinnen sich jederzeit hinstellen und das als “Angst vor Gleichberechtigung” verkaufen, nur kaufen muss ich es nicht. Trommeln gehört zum Handwerk, die Regel gilt auch für Feminismus, der an keiner Stelle seriöser, genauer, faktengetreuer oder anständiger operiert, als seine Gegner.
Gruss,
Thorsten Haupts
Streit um Conchita´s Bart
Ich fürchte, daß der Feminismus von Kapitalisten erfunden wurde um Frauen besser ausbeuten zu können. Wo früher noch einer die Familie ernähren konnte müssen jetzt zwei ran um im Konsumwahn mithalten zu können.