Ich. Heute. 10 vor 8.

Wer hat Angst vor Elizabeth Gilbert?

Zucker ist schlecht für die Figur, und schlechte Frauenbücher ruinieren unsere feministische Korrektheit. Dass Eat, Pray, Love für einige eine Offenbarung und für andere eine Zumutung ist, verdient einen zweiten Blick – auf uns und auf das Buch.

Letzten Herbst habe ich Eat Pray Love zum dritten Mal gelesen. Ungefähr einen Monat später wurde das Buch in meiner Lieblingskultursendung Culture Gabfest auf Slate.com mal wieder verissen, dieses Mal im Zuge einer Diskussion über den oscarnominierten Film Der große Trip – Wild, den die Redakteure einstimmig als „anti-Eat, Pray, Love“ lobten.

© Judith, CC BY 2.0Yoga-Kurs für Frauen

Das machte mich nachdenklich: Warum lese ich das Buch eigentlich immer noch? Und warum kritisieren sie es eigentlich immer noch? Es scheint so als seien beide Seiten noch nicht über Elizabeth Gilberts Erinnerungen hinweg: Ich kann nicht aufhören, es zu lesen, und sie können nicht aufhören, zu sagen, wie sehr sie es hassen.

Ich muss allerdings zugeben, dass ich es beim letzten Mal nicht gelesen, sondern als Audiobuch gehört habe – und einer der Vorteile meiner Audioversion war, dass ich nicht mit dem Buch herumlaufen musste; denn so sehr ich es auch liebe, so bewusst ist mir doch, was es über mich sagen könnte: dass ich auch „auf der Suche“ bin, dass ich „meine Spiritualität entdecken“ will, und dass ich „als Frau“ nach „Empowerment“ strebe. All diese Dinge sind wahr, doch zugleich lassen sie mich innerlich zusammenzucken, daher die Anführungszeichen.

Woher kommt das Zusammenzucken? Warum scheint es mir nötig, mich ironisch davon zu distanzieren, obwohl ich mich mit all diesen Themen identifizieren kann? Ich glaube es liegt daran, dass sich hinter diesen vier Beschreibungen weitere Worte verbergen, die mich noch mehr zusammenzucken lassen: Schaumbad, Maniküre, Yoga-Kurse, Power-Shakes, Göttin, Hingabe, Gelüste, Halbfettlatte. Es kommt mir vor als würde ich, indem ich auf Gilberts Geschichte in Eat, Pray, Love einlasse, zugleich auf jene Industrie einlassen, die die moderne Frau an- und auszieht – und wo Dich das, was Dir als „Empowerment“ verkauft wird, allzu oft dünn macht und wie ein Victoria-Secret-Sport-BH in sexy Posen hineinzwingt.

Aber das ist es nicht allein. So verführerisch es auch sein mag, ein paar Firmenstrategen mit einem Moralkodex aus der Mad-Men-Ära die Schuld zuzuweisen – ich glaube, die Wahrheit ist düsterer. Ich glaube, dass manche Menschen immer noch peinlich berührt sind, wenn eine Frau ihre Stimme erhebt. Darunter auch Frauen. Natürlich sind sie nicht peinlich berührt, wenn eine Frau sagt „Der Dow Jones ist zehn Punkte gefallen“ oder „Hier ist meine Kritik an Obamacare“, oder „Ich mag windiges Wetter, Du nicht?“ Neutrale, de-sexualisierte Rhetorik ist in Ordnung. Männerthemen. Jeder weiß, dass es sexy ist, über Sport und Autos zu reden. Aber über Frauenthemen, über „girls’ stuff“? Das ist wie mit einem Achtzigerjahre Kosmetikköfferchen herumzulaufen und jedem seine Lieblingshaargummis und -lippenstifte zu zeigen.

© Angie Six>, CC BY-ND 2.0Caboodles case aus den Achtzigern

Aber genau das hat Eat, Pray, Love für mich zu einer Offenbarung gemacht: Gilbert schreibt ehrlich, intelligent, und unapologetisch über ihre Suche; ihre Entdeckung der Spiritualität; und ihr Empowerment als Frau – ohne eines davon in Anführungszeichen zu setzen. (Und ohne ihren Humor zu verlieren – genauso oft wie ich Tränen verdrücken musste, habe ich laut gelacht.)

Ich habe es einige Jahre lang vermieden, Eat, Pray, Love zu lesen, weil es damals alle Freundinnen meiner Mutter gelesen haben. Doch als es mir auch eine meiner besten und klügsten Freundinnen empfohlen hat, habe ich es gewagt. Es ist aufschlussreich, dass auch Gilbert lange selbst vermieden hat, Memoiren über ihre Selbstfindung zu schreiben. Sie schrieb stattdessen über Männer – für ihr Porträt des Naturabenteurers Eustace Conway wurde sie für den National Book Award nominiert; und sie war Kolumnistin für die Zeitschrift Gentlemen’s Quarterly.

Sie erklärt das in einem Interview folgendermaßen: „Ich habe einen großen Teil meines Lebens damit verbracht, kein Mädchen zu sein. Es schien einfach als ob die Jungs so viel bessere Dinge tun konnten. Und ich bin gar kein burschikoses Mädchen. Ich bin eigentlich eher ein Weichei. Ich bin physisch überhaupt nicht mutig, aber ich bin sozial mutig. Und ich wollte unter Männern sein. Ich war also einfach wirklich interessiert an Männern und wollte mit ihnen zusammen sein. In meiner Jugend war ich dann am glücklichsten, wenn ich das einzige Mädchen in einer Gruppe von Männern war. Ich fühlte mich als würde ich den ultimativen Streich spielen. Sie zeigten mir wie sie wirklich waren; sie sprachen wie sie sprechen, wenn keine Frauen dabei sind; und ich bekam all das. Ich fühlte mich wie ein cooler Spion, es geschafft zu haben, in dieser Welt zu sein… Aber viel Zeit mit Männern zu verbringen hat mich in gewisser Weise beeinträchtigt… es hat meine Fähigkeit beeinträchtigt, zu wissen, was ich fühle. Weil es schien, als sollte ich keine Gefühle haben, oder mit ihnen auf eine männliche Weise umgehen, und so habe ich vieles davon zur Seite gepackt… Es muss sich aufgestaut haben. Und es war wirklich demütigend, dass mein Herz gebrochen wurde, nicht einmal, sondern zwei Mal in dichter Folge, so spektakulär an der Ehe zu scheitern; in eine wirklich schmerzhafte emotionale Depression zu fallen, die so intensiv war, dass ich eine zeitlang dachte ich würde nie in der Lage sein, wieder herauszukommen. Ich kann mich erinnern, dass ich nach zwei Jahren, in denen ich jeden Tag geweint habe, plötzlich gedacht habe „Scheiße, was ist, wenn es so bleiben wird?“… Und die einzige Möglichkeit, da durchzukommen, war, zuzugeben, dass ich eine Frau war, dass ich – obwohl ich mir so große Mühe gegeben hatte, wie ein Mann zu leben, zu schreiben, und zu handeln – eben kein Mann war. Ich war eine Frau, die verletzlich war; ich war empfindlich; es gab unerledigte Gefühlssachen; ich war nicht auf eine bestimmte Weise groß geworden; es gab so vieles, das zu fühlen und zu denken und zu wollen mir Angst machte. Eat, Pray, Love war offensichtlich der Ausdruck von all dem. Ich wurde wirklich eine Frau! Aber ich fühlte, dass es nur möglich wäre, es ganz ehrlich zu tun.“

Meine Lieblingsstellen in den Memoiren sind Gilberts Kritik an Amerikas allzu dominantem Arbeitsethos, ihre Analysen der Gelüste (auf Nahrung und Sex) und ihre Fähigkeit, Ambivalenz oder Unwissenheit einzugestehen, ohne dadurch weniger kompetent zu wirken oder das Einfühlungsvermögen des Lesers zu verlieren. Es gibt ein paar Sätze, vor allem im Bali-Teil, die mir leicht herablassend vorkommen, vor allem jetzt beim dritten Mal. Aber es ist wie die meisten meiner liebsten Bücher: ehrgeizig, mit Fehlern behaftet, lustig und bedeutend.

Nachdem ich den Podcast gehört hatte, in dem Gilbert wieder einmal verrissen wurde, habe ich einen Brief an einen der Redakteure von Slate.com geschrieben. Er schrieb zurück, dass er in dem gesamten Buch „nicht einen einzigen wahren Satz“ gefunden hätte. Mir scheint so eine Antwort letztlich von tiefer Angst geprägt. Du musst doch nicht jeden einzelnen Satz auf jeder einzelnen Seite durchstreichen, wenn Dich nicht irgend etwas in diesem Text in Angst versetzt. Die Kritiker des Buches haben Eat, Pray, Love selbstgefällig genannt, aber ich glaube, die Kraft des Buches liegt darin, selbstgefällige Äußerungen darüber herauszukitzeln, was es wert ist, publiziert zu werden, was Frauen sagen sollten – und was nicht.

Ich kann es kaum erwarten, mir den Film Der große Trip – Wild anzusehen. Ich hoffe, er ist eine gelungenere Buchverfilmung als die alberne, schmierige Hollywoodadaption von Eat Pray Love. Ich erwarte nicht, dass es anti-Eat, Pray, Love sein wird. Meine Hoffnung ist vielmehr, dass er ästhetisch und intellektuell für sich stehen kann, und dass den Kritikern, die auf einer Nullsummenrhetorik beharren, beim allzu lauten Schreien die Stimme wegbleibt. Es sollte Raum für eine große Bandbreite an Stilen und Tonlagen für weibliche Schriftstellerinnen geben. Wir sollten nicht alle wie Cheryl Strayed, oder wenn wir schon dabei sind, wie Joan Didion, klingen müssen. In einer idealen Welt würden wir einfach wie wir selbst klingen. Aber wie die Indie-Komödie In a World – Die Macht der Stimme, eine Satire der männerdominierten Voice-over-Industrie, gezeigt hat, wird das vermutlich noch eine Weile dauern.

[Übersetzung: Hella Dietz]

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