Große Geburtstage ganz klein oder Mardi Gras ein Leben lang? Nora Gomringer feiert 2015 durch und wird 2016 wahrscheinlich tot umfallen. Wenn ihr einer Blumen ans Grab bringt, hat sich’s gelohnt. Überlegungen zum Feiern von Wiegenfesten.

Man hat mich früh davon in Kenntnis gesetzt, dass wir alle sterben. Interessant. Hat keiner gefragt, ob man da mitmachen möchte. Beim Leben oder beim Sterben. Die Meerschweinchen und Hundeleichen im Garten sind Zeugen der Vergänglichkeit bereits in den wunderlichen Parametern der Kinderwelt. Mittlerweile sind die Visionen düsterer, à la Zuckmayers „Nachtgebet“:
Junge Leute werden manchmal wach
Und wissen, dass sie sterben müssen.
Dann erschauern sie kurz
Und sehen verschiedene Bilder
Und denken: Jeder muss sterben, und
Es ist noch Zeit.
Alte Leute werden manchmal wach
Und wissen, dass sie sterben müssen.
Dann wird ihr Herz bang,
Denn sie haben gelernt,
Dass niemand weiß, wie Sterben ist,
Dass keiner wiederkam, davon zu künden,
Dass sie allein sind, wenn das Letzte kommt,
Und wenn sie weise sind,
Dann beten sie. Und schlummern weiter.
Alle sitzen dem Anschein nach in einem recht führerlosen Zug, wenn’s um das Leben mit dem quasi geskripteten Ende „Tod“ geht. Haben Sie „Snowpiercer“ gesehen, btw? Da fahren die letzten Menschen in einer Art Zugarche (ordentlich hierarchisch: hinten die Lowlives, vorne eine Art nicht-lieber Gott, dazwischen Beamte, Soldaten, Privilegierte, Schulkinder, Verräter, Saboteure, Party People, Lebensstatisten eben) ständig um den geeisten Globus. Kein Spaß so was. Und eine ziemlich ätzende Vision für das Leben danach, vor allem je weiter hinten man im Zug landet.
Aber schön ist das schon manchmal, geboren worden zu sein. Man kann Geburtstag feiern. Man kann die Geburtstage anderer feiern, was bei jungen Menschen – denen unter 12 – eine laute, lebhafte Sache ist, bei der man noch basteln und Wiener heiß machen muss, und bei denen über 12 das Fest oft einer gewissen Dramatik nicht entbehrt, weil Hormone und Horror einander die Hände reichen.
2015 ist das Jahr großer Geburtstage. Alt sind sie geworden, die großen Dichter: Friederike Mayröcker, die Wienerin ohnegleichen und Eugen Gomringer, der bolivianische Schweizer, konkreter Papa. Beide Dichter sind mir im Leben diejenigen, deren Texte es vermögen, mich manchmal über die Sterblichkeit hinweg zu trösten. Über das, was im Gedicht Zuckmayers das Herz so bang werden lässt (und das nicht nur des Nächtens). Dieses Feiern an Jahren so hoher Feste lässt unweigerlich auch an Abschiede denken. (Ich selbst war fest davon überzeugt, mein 35. Lebensjahr weder zu überleben noch zu erreichen. Jetzt hab ich’s erreicht und fänd’ es schade, wenn es tatsächlich mein letztes wäre. Aber kein Jammern an dieser Stelle! Hochstimmung!)
Wenn wir Germanisten, wir Erinnerungsmenschen und Nostalgiker beginnen, und über den Tod berühmter Ikonen an deren Leben zu erinnern, dann wird es freilich oft etwas bizarr. Da wird erinnert wie wild geworden, der Todestag und der Geburtstag, fast ist man froh, dass der Verstorbene einem zwei Daten hinterlassen hat. Matthias Claudius, der sanfte Dichter, der kritische Journalist und Herausgeber, der Verfasser des Ratschlags und der Lieder, wird in diesem Jahr 200 Jahre vermisst vom Erdenantlitz.
Seine letzten Worte, so belegt es die Sammlung Ernst Jüngers zum Thema, lauteten: „Nun ist’s aus“. Bevor aber alles aus ist – und das bestätigt selbst die gebeutelte Dichterexistenz – gibt’s Feste und Pflichten, die uns ans Leben und ins Leben hinein verzurren. Verzweiflungen, die den Geschmack aller Speisen süßer oder saurer werden lassen. Köstlichkeiten, Nähe- und Fernezustände, die wir mit Sehnsucht und immer wieder mit Worten – manche reimend und wie im Spiel – füllen: „Wie schön, dass Du geboren bist! Wir hätten Dich sonst sehr vermisst.“

Getreu nach diesem Motto darf ich – ausgerechnet ich, die ich seit Jahren meine eigenen Geburtstage kaum feiere und von daher auch nur selten eingeladen werde zu anderer Leute Partys – für 2016 einen Geburtstag für einen Senior vorbereiten: Ein Orchester und seine ganze, deutsche Geschichte mit ihm, sein legendärer Klang, seine Gesichter, sein Wiegen und Schwingen wird mit ihm 70 Jahre alt. Das Orchester meiner Wahlheimat Bamberg: die Symphoniker. Ich kaufe keine Partyhüte, bestelle keinen Caterer, ich beschreibe sie beim Konzertieren um den Globus herum. Ich lausche ihnen und Andreas Herzau fotografiert sie, wie sie sich selbst nicht kennen, um ein Buch zum späteren Erinnern entstehen zu lassen.
So soll man doch leben, denke ich. Stets in Vorbereitung auf ein großes Fest!
Nein, ich lebe noch. Und ärgere mich gerade sinnloserweise
über die Werbung für ein bald erscheinendes Buch, die ernsthaft als Blogbeitrag deklariert wird. Demnächst in diesem Kino: “Beileid. Auch schon Krebs?” mit der Werbung für einen neuen Gentest-Kit.
Thorsten Haupts
Sie schon, aber...
… Gedichte sind doch vom Aussterben bedroht und insofern ist das ganz und gar nicht mit einer Werbung für Gentest-Kits oder Waschmaschinen zu vergleichen.
Wenn das Leben sich mit dem Tod schmückt, dann wird das Leben zum Schmuck für den Tod.
Der Seelensehnsucht wahrnehmende Geist, im Vernunftreifeweg Leben, führt zur weisen Kunst, sich mit der Existenz Tod,
dem Sein im Sein, als zeitloses Schwebesein des absoluten Friedesein,
schon zu Lebzeiten begreifend zu versöhnen.
Die weise Kunst, für diese Seelensehnsucht nach Friedesynthese zu „streben“, Geisteifesynthese erlebend, eine Lebenwegkunst lang, Leben-Tod Symbioseweg lang, lustvoll lebend zu „sterben“.
L.G.
W.H.
Der Name
Womit hat jetzt diese nette bunte und fast belanglose Plauderei, die hier und dahin eilt und leise stirbt wie eine Frau die nach dem dritten Schluck Kaffee am Morgen auf einen leeren Hinterhof schaut, schweigend….
Womit hat dieser Plausch, meine Aufmerksamkeit verdient?
Keine Ahnung….
Ach so….der Name: Gomringer!
...
Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling.
Laozi