Ich. Heute. 10 vor 8.

Hier fliegt Ihr Geld weg

Der Bau des neuen Großflughafens Berlin Brandenburg ist der größte Bauskandal der Republik, der Milliarden an Steuergeldern kostet, aber inzwischen hat man sich eingerichtet im Wartestand. Bei Facebook gibt es Eröffnungseinladungen für 2048, die Schuldenuhr läuft und der Besucherdienst des BER bietet Busausflüge zur Geldverbrennungsanlage an der südlichen Grenze Berlins an.

Be Berlin, fordert die Sprechblase den Flughafen auf.© Annett GröschnerBe Berlin, fordert die Sprechblase den Flughafen auf.

Erzähl deine Geschichte!, fordert einer dieser schon etwas in die Jahre gekommenen „be.Berlin“-Sprechblasenaufsteller des Stadtmarketings ausgerechnet vor dem Empfangsgebäude des Flughafens Berlin-Schönefeld. Die gerade ankommen, haben noch nichts in der Hauptstadt erlebt und die, die abreisen, haben es eilig, denn die Wartezeiten sind lang. Also bleibt nur noch der Flughafen, der seine Geschichte erzählen könnte. Sei Berlin, Flughafen Berlin-Schönefeld? Dieser Flughafen IST Berlin, er – und damit ist das gesamte Gelände des Großflughafens BER gemeint – steht seit dem geplatzten Eröffnungstermin vom 3. Juni 2012 für all das, was schiefläuft in der Stadt – Missmanagement, Kostenpläne, die aus dem Ruder laufen, mittelmäßige Architektur; und immer schreit irgendeiner WELTSTADT. Wer den Berliner Großflughafen zu verantworten hat, sollte über Griechenland schweigen. Ein Witz, der in Berlin kursiert, besagt, dass die Olympischen Spiele 2024 hier sowieso nicht stattfinden können, weil der Flughafen noch nicht fertig sein wird. Kein Witz ist, dass er dann längst zu klein ist. Inzwischen wird bis auf Weiteres, neben dem Airport in Tegel, vom alten Schönefelder Flughafen geflogen. Bei Start und Landung kann man das neue Flughafengebäude sehen, das Tag und Nacht hell erleuchtet ist. Angeblich, weil man das Licht nicht ausschalten kann.

Auf dem Zentralflughafen Berlin-Schönefeld wurde mir mit vier Jahren auf einer Reise nach Prag die Kulturtechnik des Fliegens beigebracht. Heute bin ich hier, um eine Weiterbildung in Sachen Kulturtechnik des Wartens zu absolvieren. Seit ein paar Jahren bietet der Besucherdienst des Flughafens Baustellensightseeing  an, mehrmals in der Woche, für jeweils acht Personen, zwei Stunden geführte Tour über die Baustelle. Ein ewig währendes Auslaufmodell, das es auch in der Variante Kindergeburtstag und Schulklassen gibt. „Ready for Take-Off“ heißt die Schülertour, und wenn es nicht so furchtbar traurig wäre, könnte man schon über den Titel Tränen lachen. Außerdem sind die Toiletten am Flughafen besser als jede Schultoilette, der Sanierungsstau bei den Berliner Schulen bemisst sich inzwischen auf zwei Milliarden Euro. Das Kindergeburtstagsangebot endet optional mit einem Geburtstagsessen bei Burger King. An Kindertischen im Terminal C, wo sich die Reisegruppe trifft, kann man bis zum Beginn der Sightseeingfahrt ein Wimmelbild des BER ausmalen. Mit Läden, Rolltreppen, Zügen, Sicherheitsschleusen und Menschen. Ein Märchen. Nebenan stehen Vitrinen mit Produkten, die beim wirklichen Fliegen nicht eingeführt werden dürfen. „Kein Tier im Urlaubssouvenir“. Ausgestellt sind Schlangen in Formalin, Elfenbein, Krokoaschenbecher und eine Art Tigerpulver, wahrscheinlich ein Aphrodisiakum. Spitze Gegenstände sind auch bei der Flughafentour nicht erlaubt.

“Da lassen wir uns einfach mal überraschen”

Draußen wartet ein Bus. Ein junges Pärchen und eine Rentnergruppe steigen mit mir ein. Die Rentner sind allesamt Männer, Typ Ingenieur im Ruhestand, die mal sehen wollen, was aus ihren Steuergeldern geworden ist. Sie haben alle diese praktischen Jacken an, mit denen man auch im Hochgebirge wandern könnte. Fragen haben sie auch.

© Annett GröschnerDer Flughafen vom Besichtigungsturm aus

Wir fahren über das Flughafengelände Richtung Süden, zum Infotower. Richard Mann aus der Marketingabteilung der Flughafengesellschaft ist unser Reiseführer. So einer, der das gute Porzellan, das ein anderer zerschlagen hat, sorgfältig wieder zusammenkittet und die Klebestellen so lange preist, bis alle Zuhörer die Tasse für ein Gesamtkunstwerk halten. Er überschüttet uns mit Zahlen und Fakten, dass wir kaum noch Atem für kritische Fragen haben. Das ist schon großartig und mich wundert, dass keine Großbank und kein Dax-Konzern ihn abgeworben hat. Er sagt Sätze wie: „Da lassen wir uns einfach mal überraschen.“ Oder: „Soviel Mängel sind es gar nicht, die haben jede einzelne Kachel mitgezählt“, dass man sich schon bevor man den Flughafen von innen gesehen hat, fragt, ob diese ins Jenseits verschobene Eröffnung nicht eigentlich ein großes Missverständnis ist.

Im Besucherpavillon am Fuße des Towers, der hier auch längst nicht mehr stehen sollte, gibt es ein Flughafenmodell und einen Geländeplan, vor dem unser Führer uns die Topographie erläutert, und es gibt eine Glasvitrine mit BER-Devotionalien – Wasserbälle, T-Shirts, Basecaps, Taschen. Mein Favorit ist ein Schlüsselanhänger mit der Aufschrift: „BER – Ein Anhänger des neuen Flughafens.“ Und wie ein Fußballfan, der Jahre lang seiner Kellermannschaft beim Verlieren zusehen muss, ist er schon grau geworden. Die feierliche Schlüsselübergabe ist immer noch in weiter Ferne. 2017? Oder doch eher 2018? Eigentlich möchte keiner sich festlegen, der Vorsitzende der Geschäftsführung der Flughafen GmBH, Harald Mehdorn, hat vorsorglich seinen Rücktritt zum Sommer 2015 angekündigt.

© Annett GröschnerBER-Devotionalien: Schlüsselanhänger

Vom 32 Meter hohen Tower aus kann man das gesamte Gelände überblicken. Der Flughafen sieht hinter der Kunststoffscheibe aus wie weichgezeichnet, so sehr haben Wind und Wetter der Oberfläche zugesetzt. Ein einsamer Linienbus hält vor dem Terminal. Irgendwie müssen die Bauarbeiter und Flughafenmitarbeiter, die kein Auto haben, zur Arbeit kommen, denn die Bahn hat einen Linienverkehr zum Flughafen wegen Unwirtschaftlichkeit abgelehnt, auch wenn mehrmals am Tag eine S-Bahn durch die Zufahrtstunnel zum Terminal fährt. Es sind sogenannte Leerfahrten, die an die regulären Linienfahrten nach Schönefeld angehängt werden. Auch die Deutsche Bahn schickt leere Züge durch ihren Tunnel. Seit Oktober 2011 sind die Anlagen betriebsfertig. Der Fahrtwind der Züge sollte die Tunnel austrocknen. Damit nicht alles verschimmelt oder verrostet, muss hier regelmäßig Bewegung sein. Die Kosten für die Geisterfahrten und um die Anlagen betriebsfähig zu halten, gehen in die Millionen.

„Es funktioniert, aber es funktioniert nie so, wie man es gerne hätte“, sagt Richard Mann. Der Bus fährt uns zum Flughafenterminal, das einzige Fahrzeug auf nagelneuen Straßen, die nach Flugpionieren benannt sind. Draußen werden gerade zwei Wasserbecken für die Sprinkleranlage errichtet, schließlich hat die nicht funktionierende Brandschutzanlage dazu geführt, dass der Flughafen 2012 keine Betriebsgenehmigung erhielt. Hinter dem Eingang zum Terminalgebäude sitzen drei Bauarbeiter mit roten Helmen und Neonwesten wie Arbeiterdenkmäler um einen Tisch. Irgendwas fehlt, eine Ecke weiter fällt es mir ein, die Skatkarten. Die Halle riecht neu und nach Vernachlässigung zugleich, wie, wenn man ein Zimmer lange nicht benutzt hat und der Teppichboden nach einiger Zeit Chemikalien ausdünstet.

Irgendwie Neunziger

Verglichen mit Flughäfen in Istanbul, Paris, London, Rom oder Peking wirkt der BER ziemlich klein, fast gemütlich, irgendwie Neunziger, ein wenig nach gehobener Puppenstube mit den Nussholzfurnieren und Kalksteinplatten, von denen einige leider schon ausgetauscht werden mussten. Man könnte hier Raves veranstalten, Skaterwettbewerbe, Boxkämpfe, Poetry Slams oder diese Essen an langen Tafeln, zu denen alle weiß gekleidet erscheinen müssen. Wie als Teil der Inszenierung stellen sich drei Flugbegleiterinnen an einem Schalter in Pose und werden fotografiert. Sonst sieht man hier kaum jemanden, die Geräusche könnten auch vom Band sein, aber unser Guide versichert uns, dass 200 Leute mit Verkabelung und Schalttechnik beschäftigt sind. Er redet gerne und viel vom Jobmotor Flughafen, an den draußen in der Wirklichkeit niemand glaubt, schließlich sind diese Jobs längst vergeben, denn auf dem Flughafen Tegel gibt es ja auch Mitarbeiter, die bei dessen Schließung dann hier unterkommen müssen. Fast tut uns unser Sarkasmus schon leid, Richard Mann vermittelt uns, dass er an all das glaubt, was er erzählt.

© Annett GröschnerNussholz und Kalkstein – der Terminal des BER

Er zeigt nach oben und sagt entschuldigend, dass bei öffentlichen Bauten ein geringer Teil der Bausumme für Kunst am Bau ausgegeben werden müsse. Niemand murrt, aber er erwartet wohl, dass seine Gäste Kunst nicht schätzen. Der fliegende Teppich, der wie eine rote Wolke über den Check-in-Schaltern schwebt, wirkt leicht und dekorativ, aber wer weiß, ob er sich bis zur Eröffnung nicht längst auf und davongemacht hat. Die Gänge zwischen den Schaltern sind eng, die Leute werden hier gegenseitig über ihre Rollkoffer stolpern. Alle zwei Wochen werden die Sortieranlagen angeworfen, auch die Rolltreppen müssen sich bewegen. Die Computer hat man wieder abgebaut.

In der Halle kommt mir der Gedanke, ob wir nicht wie die S-Bahnen zur Belüftung eingesetzt sind. Zur Belebung tragen wir allemal bei.

Als Kind hatte ich ein Lieblingsbuch, das mich bis heute begleitet. Es heißt „Paul allein auf der Welt“. Paul wacht auf und niemand ist mehr da, nicht Mama, nicht Papa, die ganze Stadt ist leer, alles kann Paul sich nehmen, anfassen, benutzen. Erst ist er beglückt, dann langweilt er sich, schließlich wird er traurig. Pauls Reise endet auf dem Flughafen, wo ein Flugzeug für ihn bereit steht, mit dem er gegen den Mond stößt. Hier ist Pauls Flughafen, aber ein Flugzeug steht nicht bereit, nur die Fluggastbrücken blinken, eine wie die andere, rot und verheißungsvoll.

Ein Teil des E der Leuchtreklame, die den Reisenden bei der Landung anzeigen soll, dass sie sich nicht verflogen haben, sondern auf dem Willy-Brandt-Flughafen angekommen sind, hat sich schon verflüchtigt.

Wir stehen auf dem Rollfeld an einem riesigen roten Kreuz, das – die Provisorien sind in Berlin immer das Haltbarste – mit Sandsäcken auf der südlichen Rollbahn fixiert ist, damit hier nicht aus Versehen ein Flugzeug oder eine fliegende Untertasse landet. Wir stehen auf dem Boden des Dorfes Diepensee, 335 Menschen haben hier gewohnt und wurden umgesiedelt, samt ihrer Toten. Jetzt ist es die südliche Start- und Landebahn.

Richard Mann macht den Scherz, dass man bei dem Fluglotsenturm die Fahrstühle aus Kostengründen weggelassen hat. Wir werden müde. Aber da fahren wir auch schon durch die Melli-Beese-Straße zurück in die Wirklichkeit.

© Annett GröschnerSüdliche Start- und Landebahn
Wieviel kostet eigentlich ein Berliner Flughafen?

Eine halbe Million, so hat uns unser Guide gesagt, koste der Flughafen nach Rechnungen der Flughafengesellschaft pro Tag. In den zwei Stunden Flughafenführung haben sich also 41 666,60 Euro in Luft aufgelöst. Aber es gibt da noch ganz andere Berechnungen, die die Kosten auf mehr als das Doppelte beziffern. Aber wie heißt es in Immanuel Kants Werk „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“: “Wenn man z.B. einem Grönländer einen Begriff von der Menge der Leute in Dänemark machen will; so mag man ihm immer 100 000 vorsagen, man wird ihm nicht den Begriff von der Größe machen können und in ihm Erstaunen setzen. Man sage ihm aber z.B., daß in Dänemark so viele Leute sind, daß sie zum Frühstück allein mehr als einen Walfisch verzehren können; so wird er sich gewiß entsetzen.“ Laut www.flughafen-berlin-kosten.de hätte man bei den gegenwärtigen Kosten von 4,1 Milliarden Euro 5 Millionen Kitaplätze, drei Hauptbahnhöfe, 519 Jahre Flugkosten der Bundestagsabgeordneten oder 347 000 Monatsgehälter von Ministerpräsidenten davon begleichen können.

Hartmut Mehdorn sprach im Januar 2015 noch von einem mit 5,6 Milliarden Euro Kosten „preiswerten Flughafen“. Ich habe zuletzt die Zahl 6,5 Milliarden gelesen, die das Projekt am Ende gekostet haben wird. Genau weiß es in dem Durcheinander wohl niemand mehr. Was immer am Ende auch als Summe auf der Rechnung stehen mag, der Bund und die Länder Berlin und Brandenburg bürgen mit 100 Prozent.

Vor ein paar Tagen wurde ein Flugzeug von Air Berlin, Hartmut Mehdorns Arbeitsplatz vor der Flughafen GmbH, offiziell zum „Botschafter der Lüfte“ für die Berliner Olympia-Bewerbung 2024 ernannt. „Wir wollen die Spiele“ steht am Rumpf. Auf dem Pressefoto sieht man Hartmut Mehdorn neben dem Regierenden Bürgermeister Müller stehen und winken. (Hier ein update.) Wenn die Vernunft nicht siegt, ist zu befürchten, dass Hartmut Mehdorn zu seiner letzten Herausforderung antreten wird, wenn kurz vor Eröffnung der Olympischen Spiele 2024 die Planungen aus dem Ruder laufen.

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