Die Welt kocht nicht in Edelstahl auf Induktion, sondern in Blech und Gift. Statt energieeffizientere Öfen zu bauen, träumt Europa von humanoiden Robotern, die bislang nicht einmal die versprochene Kiste Bier schleppen können.
Wer nur einmal den längst von Lonely Planet gehypten Street Food Thursday in der noch vor wenigen Jahren darnieder liegenden Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg besucht hat, weiß es: Kochen und Essen ist die neue Religion. In den Metropolen des Westens boomen Street Food-Märkte und Festivals, in wahren Strömen pilgern die Großstadtbewohner_innen zu den Tempeln von Smoked BBQ, nigerianischem Fufu und veganen Quiches. Immer mehr junge Leute interessieren sich nicht nur für Urban Gardening, sie tun es auch. Reihenweise lassen sie sich zu Imkern ausbilden, tauschen Tips über Aussaatzeiten und biologische Düngemethoden oder die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Räuchermethoden und salzfreier Ernährung aus. Allenthalben versorgt uns jede Zeitung, die auf sich hält, mit ausgefallenen Rezepten und Berichten über neue und wiederentdeckte Lebensmittel und deren Zubereitung, kulinarische Genusstrends, ausgefallene Küchenutensilien und technische Neuerungen in Heim und Herd. Und Küchenhersteller zeigen uns in ihren Hochglanzprospekten perfekt gestylte Paare in ebenso perfekten Hightech-Küchen, in denen niemals auch nur ein Krümel die Nano-Oberflächen verunziert.
All das ging mir kürzlich durch den Kopf anlässlich einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu „Household Air Pollution“, die mir bei einer Recherche in ganz anderem Zusammenhang in die Hände gefallen war. Laut dieser Studie kochen mehr als 3 Milliarden Menschen, also fast die Hälfte der Weltbevölkerung, ihre täglichen Mahlzeiten auf Herden, die den Namen kaum verdienen: Kochstellen aus wenigen geschichteten Steinen um ein offenes Feuer, für das oft genug nicht einmal Holz, sondern nur Plastikmüll, Kuhdung oder Küchenabfälle als Brennstoff zur Verfügung steht. Die Welt, mit anderen Worten, kocht nicht in Edelstahl auf Induktion, sondern in Blech und Gift. Wie giftig das ist, kann ahnen, wer einmal im Rauch eines Lagerfeuers saß, in dem industrielle Holzabfälle statt pures Buchenholz brannte. Ein Cocktail aus Feinstaub, Karbonmonoxyd, Stickstoffoxiden, Formaldehyd, Benzol. In 2012, so die Berechnungen der WHO, starben nicht weniger als 4.3 Millionen Menschen, die meisten davon Frauen und Kinder, an durch household air pollution verursachten oder mindestens damit in Zusammenhang stehenden Krankheiten.
Untergekommen war mir die Studie der WHO als ich wegen einer Dissertation zu humanoider Robotik, die ich zu begutachten hatte, genau zu dieser Frage recherchierte: Wie kocht die Welt und vor allem: Wer kocht? Diese Frage ist schnell beantwortet. Kochen ist Frauensache. Auch im 21. Jahrhundert. Überall auf der Welt. Es sind also die Frauen, die im Qualm stehen. Die in Folge der weltweiten Brennstoffkrise viele Stunden mit der oft gefährlichen Suche nach Feuerholz verbringen und auf Grund der mangelnden Effizienz der Kochstellen viel Zeit für die Zubereitung von Nahrung aufwenden, und daher weniger Zeit für Feldarbeit, für Bildung, für Muße, Freizeit, Sex, für ihre Kinder und für sich selbst haben. Und fehlt der Brennstoff, fällt das warme Essen ohnehin aus. Man kann es auch kürzer, in Anlehnung an die sozialistische Weberin Frida Hockauf sagen: Wie wir heute essen, werden wir morgen leben.
Und noch anders: Bessere, energieeffizientere Öfen verbessern die soziale und ökonomische Situation der Menschen. Gute Öfen für alle? Das sollte doch eigentlich leicht zu bewerkstelligen sein. Schließlich fliegen wir auch schon auf den Mars. Und können humanoide Roboter bauen. Glauben wir dem Manifest des vom 7. Europäischen Forschungsrahmenprogramm geförderten Forschungsnetzwerks „Robot Companions for Citizens“, werden wir schon bald unser Leben mit solchen humanoiden Robotern teilen. Die im Konsortium zusammengeschlossenen europäischen Forschungsinstitute, darunter das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das seit vielen Jahren mit der Entwicklung des humanoiden Roboters „Armar“ beschäftigt ist, zeichnen ein düsteres Bild der europäischen Zukunft. Überalterung, Rohstoffknappheit, schwaches Wachstum und hohe Schulden, all das ist verantwortlich dafür, dass „unsere“ unzweifelhaft hohe Lebensqualität bedroht ist. Wie wir, so das Manifest weiter, diese Lebensqualität weiter steigern und nachhaltig sichern, stelle daher eine gewaltige Herausforderung dar. Die humanoiden Roboter spielen in der Vorstellung der Wissenschaftler hier eine wesentliche Rolle: „Armar“ ist die technologische Antwort auf die Krise der Sorge in Europa.
Über „Armar“ weiß Wikipedia zu berichten, dass dieser mittlerweile in der dritten Generation existiert und ein „völlig autonom handelnder und lernfähiger humanoider Haushaltsroboter“ ist, „der sich in einer beliebigen Küche zurechtfindet und dort alltägliche Aufgaben erledigen soll“. Das ist natürlich Unsinn, denn weder kann „Armar“ autonom handeln noch hat der Roboter sich bisher irgendwo anders als im Küchenlabor des Karlsruher Instituts bewähren müssen – im Übrigen eine Küche, die eher den Hochglanzprospekten der Küchenhersteller entspricht als der Kochwirklichkeit jener 3 Milliarden, die über offenem Feuer kochen. In Tat und Wahrheit ist, wie ich aus besagter Dissertation gelernt habe, „Armar“ nach mehr als 12 Jahren Entwicklung in der Lage, ein Tetra-Pak von einer Packung Cornflakes zu unterscheiden und beides auf Aufforderung beispielsweise von der Küchentheke zum Tisch zu transportieren. Nicht einmal die Kiste Bier, die „Armar“ für uns trägt – das Bild, das einer der Entwickler wählt, um zu beschreiben, wie der Roboter im Haushalt helfen kann –, ist „Armar“ derzeit in der Lage anzuheben: mehr als 3 kg schafft er nicht. Die Entwickler ficht das nicht an, „Armar“ stecke eben noch in den Kinderschuhen.
Nun ist ein größerer Gegensatz kaum vorstellbar: Hier die lebensbedrohende Küchenwelt der Hälfte der Weltbevölkerung, da die Träume und Phantasien westlicher (mehrheitlich männlicher) Ingenieure von einer Hightech-Welt, besiedelt mit anthropoiden Küchenrobotern, die eine Kiste Bier für uns tragen. Wie sähe dagegen eine Welt aus, in der Wissenschaft, wofür die feministische Philosophin Sandra Harding plädiert, marginalisierte Erfahrungen zu ihrem Ausgangspunkt macht und in der der Drei-Steine-Herd folglich, in den Worten des französischen Sozialwissenschaftlers Bruno Latour, ein matter of concern, ein „Ding von Belang“ darstellen würde? Auf dem Mars würden wir dann vielleicht nicht grillen, aber zweifellos hätten mehr Menschen weltweit „guud gess“, wie die Saarländerin sagen würde. – Frohe Ostern!
Fischernetze für alle
Bevor man die Art des Kochens verbessert, sollte man vielleicht verbessern, was gekocht wird. Solange Leute Moskitonetze in Malariagebieten als Fischernetze verwenden, weil sie – naheliegenderweise – das Malaria-Infektionsrisiko kurzfristig als weniger relevant einschätzen, als die Gefahr zu (ver)hungern, kann man mit großartigen, europäertauglichen Kochstellen wahrscheinlich auch niemanden wirklich überzeugen.
Ich halte diesen Artikel für durchaus "Ingenieur-kompatibel".
So einfach ist das mit dem Markt nicht; dazu gab es hier auch schon mal einen schönen Artikel. Wo die Oligopole herrschen – das Kartellrecht versagt – ist es flugs vorbei mit dem Markt. Blockheizkraftwerke wurden beispielsweise jahrzehntelang durch entsprechende Lobbyarbeit im Parlament verhindert, indem man die Zulassungsbedingungen entsprechend gestaltete. Dabei ist das Grundprinzip des BHKWs technisch nicht übermäßig anspruchsvoll. Und für diese entsetzlichen Kochgelegenheiten gäbe es natürlich auch angemessene Alternativen: Kochen mit Biogas, basierend auf Küchenabfällen. Erfunden ist das alles längst, technisch umgesetzt wird das auch – offenbar aber nicht genug. Ich weiß nicht, ob in dem Fall das Patentrecht instrumentalisiert wird oder was weiß ich. Aber zwischen Cerankochfeld und dem, was die Autorin beschreibt, liegt das weite Feld der Vernunft – und leider völlig brach …
@shark: Rückkehr des Mittelalters?
Sehr geehrte Frau Hark
“… die oft und ungezwungen zwischen dem strengen Beweis und der moralischen Forderung hin und her wechselt; und wo moralische Erwägungen es nicht länger nötig haben, verstohlen eingeschmuggelt oder unbewusst zum Ausdruck gebracht zu werden…”
Ist das wirklich die Grundlage, die Sie für wissenschaftliches Arbeiten sehen wollen? In einer pluralen Gesellschaft schien mir die Forderung nach einer allgemeingültigen Moral schon längst aufgegeben. Jetzt kommen Sie und wollen d i e Moral auf die Höhe eines strengen (ich vermute im Sinne von “überprüfbaren”) Beweises gehoben sehen? Ich reibe mir verwundert die Augen. Wer legt denn d i e gültige Moral fest? Was unterscheidet diese Form von Wissenschaftlichkeit von der des Mittelalters und würden Wissenschaftler in einer nach Ihrer Vorstellung geformten Wissenschaftswelt zum Widerruf gezwungen, wenn sie Erkennisse gewönnen, die der geltenden Moral widersprächen? (Wobei der Beweis des Gallilei, soweit ich weiß, Lücken enthielt und tatsächlich angreifbar war.)
@Hella Dietz: Bei den Ausführungen von Frau Hark habe ich berechtigten Zweifel, ob Ihr vehementer Widerspruch gegen den Vorwurf des Bias in der Genderforschung in einer länger zurückliegenden Diskussion sich noch aufrecht erhalten lässt.
Viele Grüße
Günther Werlau
Galilei: Wenn ich mich richtig erinnere, war der Vorwurf der Jesuiten an Galilei
ausgerechnet rein wissenschaftlich begründet – sie wollten, dass er seine jungen und nicht annähernd vollständigen Erkenntnisse als Hypothese und nicht als Faktum präsentierte.
Der ganze “die katholische Kirche machte Galilei nieder, weil ihr seine Erkenntnisse nicht passten” Mythos ist ein ziemliches Märchen. Aber als Geschichte unausrottbar, da so schön zu populären Urteilen und Vorurteilen passend.
Gruss,
Thorsten Haupts
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Sehr geehrter Herr Werlau,
entschuldigen Sie die späte Antwort. Nur kurz: Hirschman geht es jedenfalls nicht darum, Moral “auf die Höhe eines strengen Beweises zu heben”, wie sie schreiben, sondern zwischen Beweis und Moral hin- und herzuwechseln (siehe Zitat von Sabine Hark).
Diese Position beruht schlussendlich auf der erkenntnistheoretischen Einsicht, dass wir ohnehin Kognition und Evaluation nicht so schön voneinander trennen können wie es Vorstellungen von “Objektivität” und “bloßer Beobachtung” gerne hätten, weil unsere Begrifflichkeiten ebenso wie die Fragen, die wir stellen, immer schon auf einen bestimmten, auch durch (normative) Bewertungen gekennzeichneten Problemhintergrund verweisen. Das gilt zB auch schon für Ihre Kennzeichnung bestimmter Gedanken als mittelalterlich; denn damit ist ja keineswegs nur die bloße Bezeichnung einer zurückliegenden Epoche, sie impliziert zugleich eine Bewertung ;-).
Gute Nacht.
"dass wir ohnehin Kognition und Evaluation nicht so schön voneinander trennen können"
So hätte es die Genderforschung gerne – und so könnte es ihnen passen.
Wir können nicht? Wir können!
Es kennzeichnet den Ideologen, dass er meint, nicht trennen zu können. Und es kennzeichnet den Demagogen, dass er meint, nicht trennen zu wollen.
Erkenntnistheoretische Einsichten? Bei allem Respekt, aber “der Kaiser hat doch gar nichts an”. Und deshalb befinden sich Gendertheoretiker in einer etwas fatalen Situation, vergleichbar einer Drückerkolonne, die ein “Schneeballsystem” am laufen halten muss. Solche Phänomen sind auch in den exakten Wissenschaften nicht neu. Faszinierend die Geschichte um die sog. “N-Strahlen” vor gut 100 Jahren und ihre schlagartige Entzauberung, was unwillkürlich an das Schicksal der Genderforschung in Norwegen denken lässt.
Bottom line: wir sind es der Aufklärung schuldig, Mist als Mist und Murks als Murks zu bezeichnen, auch wenn man dabei seine diplomatische Erziehung vergessen muss.
MfG H.-J. S.
Ob “die Genderforschung” das gerne so hätte, kann ich nicht beurteilen – ich bin keine Genderforscherin. Aber da Sie ja irgendwie auf meinen Beitrag zu antworten scheinen: Man kann natürlich die Einsicht, dass wir immer schon bewerten, wenn wir sprechen (oder denken) ja ganz unterschiedlich verstehen. Und ganz unterschiedliche Schlüsse daraus ziehen. Über diese möglichen Schlussfolgerungen kann man auch diskutieren. Über Ihr “aber es ist doch gar nicht so” lässt sich schwer diskutieren, weil zu einem guten Streit nun einmal gehört, dass man sich wenigstens die Mühe macht, die Argumente des Anderen zu diskutieren – das ist eine der unangenehmen Begleiterscheinungen des Aufrufs der Aufklärung, selbst zu denken (ob mit oder ohne diplomatische Erziehung wäre mir dabei sogar erst einmal egal).
Mit freundlichen Grüßen
H. Dietz
[...]
Bitte bleiben Sie sachlich. Die Blogredaktion.
Edelstahl auf Induktion?
Edelstahl auf Induktion: ist das eine subtile Umschreibung für gar nicht Kochen können? Da Edelstahl nicht magnetisch ist, wird der Topf auf einer Induktionsplatte auch nicht heiß. Lustig, oder?
Lustig ist, dass Sie zwar im Prinzip Recht haben, in der Praxis aber etliche Edelstahltöpfe einen (anderen) Boden haben, der magnetisch ist.
Mit Grüßen von einer bekennenden Gasherdköchin..
Sack und Esel
Es ist ja richtig, dass effizientere Herde für sehr viele Menschen große Vorteile brächten – gesundheitlich, ökonomisch und ökologisch. Doch die Analyse, westliche männliche Ingenieure stünden dem im Weg, weil sie sich lieber mit Luxusproblemen beschäftigten, trifft einfach nicht zu.
Wie man einen effizienten Herd baut, ist seit über hundert Jahren kein Geheimnis mehr; es gibt auch Pläne für einfach herzustellende Geräte. Das Problem ist, sie unter die Leute zu bringen und sie von deren Nutzung zu überzeugen. Ein paar Millionen davon in Afrika und Asien »abzuwerfen« funktioniert nicht. Der sinnvollste Weg ist wohl, solche Herde möglichst lokal herzustellen und den Preis zu subventionieren. Dann müssen die Familien überzeugt werden, so einen Herd auch anzuschaffen und zu benutzen. Dabei kann es zu unerwarteten Problemen kommen. Vielleicht ändert sich der Geschmack vertrauter Gerichte dadurch (wenig oder kein Rauchgeschmack), was als Ablehnungsgrund schon reichen kann. Traditionen und Gewohnheiten können stark sein. Und dann kann es noch politische und logistische Probleme geben.
Es liegt am allerwenigsten an westlichen, männlichen Ingenieuren, dass fast die Hälfte der Menschheit solche primitiven Kochstellen verwendet. Es mag sein, dass es zu einem erheblichen Teil mit männlichen Politikern und Wirtschaftsleuten zu tun hat, für die so ein Problem »Gedöns« ist, weil es sie selbst nicht betrifft. Aber auch das ist nicht alles.