Im Berliner Stadtbild sind die Schießschartenfenster in Mode gekommen. Viele der repräsentativen Neubauten sind megalomane Gebäude der Angst. Der neue BND-Bau wirkt wie ein Käfig. Was ist da passiert?
Die Habersaathstraße liegt unter alten Platanen, die das Niemandsland des kalten Krieges überlebt haben. Hier ist nun ein kurzgeschorener Rasenstreifen entstanden, die Südpanke entlang. Linkerhand haben sich Townhouses aus rotem Klinker ihren Platz in der Hauptstadt erobert, rechter Hand steht ein Gebäude, das jeden harmlosen Spaziergänger erstarren lässt. Überhohe Metallpalmen zerstechen symmetrisch die Luft. Aus geduckten Fenstern starrt etwas Unpersönliches, Entmenschlichtes. Das neue Gebäude des Bundesnachrichtendienstes ist ein Abschreckungsbau, der elegant wirken will, jedoch eine Kälte und Härte ausstrahlt, die einen sprachlos dastehen lässt. Wie Schießscharten spähen die Fenster. Der BND Bau wirkt wie ein Käfig, der fähig ist, ein ganzes Land gefangen zu nehmen.
Der Architekt Kleihues gab im Welt-Interview („Der BND Neubau soll keine Festung sein“, Die Welt, 14. Juni 2008) an, dass Architektur nach der unmittelbaren Wahrnehmung zu betrachten sei und von dieser unmittelbaren Wahrnehmung lässt sich berichten.
Es ist ein Gebäude der Angst. Angst gründet sprachlich auf Enge und dieses Gebäude ist engmaschig konzipiert wie ein mittelalterlicher Schutzhelm. Natürlich kann Angst auch als Schutzmechanismus verstanden werden. Abschreckende Bombastik ist jedoch als moderne Verteidigungsstrategie in einer komplex gewordenen Welt nicht unbedingt erfolgsversprechend. Der Bau bietet umgekehrt eine derart überbordende Angriffsfläche, dass er eher das Gegenteil von dem zu provozieren scheint, was ursprünglich geplant und beabsichtigt war.
Dass ein Nachrichtendienstgebäude sehr komplexe Funktionen zu erfüllen hat, ist offensichtlich. Wenn jedoch Funktionalität zu einer totalitären Struktur führt, frage ich mich, welche Funktion hier erfüllt werden soll, für wen diese Funktionalität steht und wem sie dienen soll. Der Freiheit eines demokratischen Landes oder sich selbst, um sich noch ein wenig im Optimierungswahn zu übertreffen? Wird die Funktionalität zum Selbstzweck, besteht die Gefahr der Ablösung von der eigentlichen Aufgabe. Ein Abdriften ins Absolute ist die Folge.
Natürlich können demokratische oder totalitäre Systeme nicht rein über die Architektur definiert werden. Ein bunter Googleplayground mit Hüpfbällen kann aggressiver und gefährlicher werden als ein groß dimensionierter Repräsentationsbau. Bekanntlich lugt jeder Wolf aus dem Schafspelz und mancher Wolf, der sich offensiv als Wolf gezeigt hat, wurde nicht rechtzeitig ernst genommen. Da in jedem Fall der Mensch des Menschen Wolf ist, bleibt nur zu hoffen, dass sich die vielen Mitarbeiter, die nie jemand sehen, geschweige denn sprechen wird, darauf besinnen, dass sie Menschen sind und für Menschen, die von ihnen nichts wissen und niemals etwas erfahren werden, arbeiten. Eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe, die wenig Gelegenheit bekommt, positiv kommuniziert zu werden und viel vergangenheits- und missbrauchserprobte, berechtigte Angst schürt.
Dagegen sagt Kleihues im erwähnten Welt-Interview, dass er das Niemandsland zwischen Wedding und Mitte seit langem kannte und heilen wollte. Nur eine Wunde, die man zeigt, kann geheilt werden. Beuys wusste das. Nur ist es nicht einfach, täglich mit der Neuauflage eines totalitären Traumas zu leben. So wirkt das Gebäude jedenfalls auf mich, wenn ich es als Passantin betrachte.
Mein Blick bleibt an den Palmen hängen. Sie wirken wie Wegweiser in eine leichtere Zeit – sind jedoch so spitz zugeschnitten, dass ich sofort Biermannlieder singen will. Nun scheint mir das Gebäude wie die Toteninsel von Böcklin in die Luft zu ragen, mit Palmen anstelle von Zypressen. Der kleine Bach davor: Acheron.
Angespornt von monumentaler Tragik und mit einer Prise Grusel im Sinn folge ich dem Bachlauf ein Stück über die Habersaathstraße nach Süden und biege links in den Schwarzen (!) Weg ein. Dort darf ich den nächsten preußischen Klotz bewundern. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, ein dunkelgrauer Kasten mit tiefschwarzem Eisenspitzzaun davor. Kaum einen Katzensprung entfernt steht die Zentrale der Deutschen Bahn in Mittelgrau, ebenfalls ein Kasten. Eine ängstliche Moderne ist das, die im preußisch militärischen Gleichschritt daherkommt und – trotz irrwitziger technischer Möglichkeiten und neuer Baumaterialien – freiwillig die einfache Kastenform wählt, als wäre der kleinste gemeinsame Nenner ein Konsens, bei dem niemand aneckt. Als ginge es hauptsächlich darum, möglichst unbemerkt zu bleiben. Wenn jedoch im Vorhinein der kleinstmögliche Nenner gilt, um bloß nicht anzuecken, entsteht eine Architektur der Aussagelosigkeit. Niemand traut sich etwas zu sagen, also sagen wir lieber nichts – scheint die einzige Aussage zu sein. Und damit dreht sich der Hamster im Kreis.
Loriots: „Wir waren mit Grau eigentlich sehr zufrieden“ oder „Wir hätten gern das Aschgrau“, treffen hier punktgenau zu – tiefsitzende Bunkergucklöcher, die wenig Himmel freigeben. Gebäude, die wie Tabellenkalkulationen aussehen, mal in Sandstein, Marmor, Metall oder Kalk gekleidet, klotzig und kalt.
Woran liegt es? Haben wir das Burgenland immer noch nicht überwunden? Muss es einfach nur schnell gehen und darf nichts kosten? Megalomane Architektur, die als Sparprogramm daherkommt? Ließen sich nicht bei einer blühenden Deutschen Wirtschaft Sponsoren für innovative Visionen finden?
Die Taxifahrer bringen es auf den Punkt. Der Berliner Winter ist grau genug. Müssen die Gebäude noch schlimmer sein? In skandinavischen Ländern gibt es eine Tradition, dem Lichtmangel und der Kälte farbenfrohe Gebäude entgegen zu setzen. In Berlin versinkt man dagegen in doppeltem Gewicht. Vom Hauptbahnhof, als grauem Vorreiter, ganz zu schweigen. Die alte Militärstadt kommt immer wieder durch, als wäre ein Muster in die Luft geprägt, das den Architekten und Auftraggebern den Kopf verklotzt. Heine würde sich schlapplachen. Immer dasselbe Wintermärchen.
Aller Machtarchitektur zum Trotz haben sich Hundebesitzer den Wiesenstreifen vor dem Stacheldrahtzaun des BND Gebäudes durch einen Sprung über den Kanal gesichert. Es ist schön, einen freien Streifen für die klugen Menschengefährten zu haben, von denen man so viel über den Menschen lernen kann.
Inzwischen liegt ein kleines Brett über der Südpanke, als Übergang. Ein Ventil, das Leben durchlässt.