Sie wollen und sollen glücklich sein, doch die Seele widersetzt sich, und das Mutterschaftsideal bedingungsloser Liebe und Fürsorge erhöht den Leidensdruck. Ein persönlicher Bericht
Glück. Eines der größten – und doch selten politisch diskutierten – Normative in Bezug auf Mutterschaft ist jenes des Glücklich-Seins. Die Mutter soll glücklich sein über die Schwangerschaft, die Geburt und das nun neue, mit dem Kind geteilte Leben. Es sollen sie keine Zweifel, keine Ängste und erst recht keine Unlust hinsichtlich der großen Veränderungen überkommen. Sollte sie vor ihrer Mutterschaft Unglück erfahren oder Traurigkeit empfunden haben, so sollen diese Erfahrungen und Empfindungen in den allumfassend einschneidenden Erfahrungen von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft aufgehoben, geheilt, ja vollends transzendiert werden.
UnGlück. Während die gesellschaftliche Erwartung auch von jenen Frauen letztlich Freude und Glücksgefühle einfordert, die ungeplant oder gar ungewollt Mütter geworden sind, zeigt die Realität immer wieder und nicht allzu selten, dass auch die Mütter, die sich ein Kind wünschten, Zweifel, Ängste und Reue überkommen können. Erste Gefühle der Panik und Befremdung über eine (auch eine gewünschte!) Schwangerschaft sind so geläufig, dass einige Ratgeber diese Empfindungen in ihrem Katalog an physischen und psychischen, schwangerschaftsbedingten ,Begleiterscheinungen’ listen.
Ich hatte bereits zu Beginn der Schwangerschaft mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen. Ängste und Stress lösten sich jedoch auch nach den berühmten, herausfordernden ersten drei Monaten nicht in Glücksgefühle auf. Ich dachte, ich müsste glücklich sein! – und war es doch nicht. Ich zweifelte an meiner Liebesfähigkeit, ich zweifelte grundlegend an mir selbst, war erfüllt von Schuld- und Schamgefühlen gegenüber dem Kind und meiner Umwelt. Zumal: Die Schwangerschaft war nicht geplant, aber durchaus gewünscht. Somit hatte ich ja erst recht keinen ,Anspruch’ auf ambivalente oder gar negative Gefühle – oder, wie es eine mir sehr nahestehende Person sagte: „ich möchte Dich daran erinnern, dass Du Dir das alles so gewünscht hast!“ – ,Also hör auf zu jammern…’ hallte es in meinem Kopf nach.
Hilfe. Nach schweren Monaten suchte ich letztlich die Selbsthilfegruppe Blues Sisters auf. Auch, da ich gerade erst in eine neue Stadt gezogen, ohne jedes soziale Netz und mit meinem Partner in einer Krise war. Melanie Weimer, die Leiterin der Gruppe, war es, die mir schnell Zugang zu psychologischer und psychiatrischer Behandlung verschaffte und mich in meinen Schuldgefühlen und meiner Angst vor einer postpartalen Depression, davor, eine depressive und daher schlechte Mutter zu sein, auffing. Ich stabilisierte mich.
Fragen aber blieben – und meine eigene Perspektive auf das Thema wandelte sich: Was macht den qualitativen Unterschied einer depressiven Erkrankung im Kontext von Mutterschaft im Vergleich zu ,sonstigen’ Depressionen für die betroffene Person sowie für ihr Umfeld aus? Offensichtlich das Kind. Es war eine Freundin, die mich schon früh von meinen Sorgen entlasten und mir Perspektiven aufzeigen wollte: „Selbst wenn es Dir auch nach der Entbindung noch schlecht gehen sollte, dann heißt das nicht, dass Dein Kind Schaden nehmen muss. Du kannst ein Netzwerk an Menschen aufbauen, die Fürsorge tragen, für Dich und das Kind. Dein Kind kann geborgen sein – auch in den Zeiten, in denen Du selber keine Geborgenheit geben kannst.“ Sie hatte damit einen Punkt angesprochen, der mir heute besonders relevant erscheint: die Debatte um depressive (oder auch bereuende) Mütter stärker hinsichtlich politischer Gesichtspunkte, wie z.B. gesellschaftlicher Verantwortung und wirkmächtigen Mutterschaftsidealen zu diskutieren.
ReproduktionsArbeit. Die Thematisierung von postpartalen Depressionen ist getragen von Aufklärung und Betroffenheit: verhandelt werden ein Krankheitsbild und individuelle Leiderfahrungen. Anfragen an strukturelle Kontexte, wie z.B. an Geschlechterrollen, fehlen, auch im Kontext der Selbsthilfenetzwerke. Es besteht die Gefahr, dass ambivalente Empfindungen von Müttern allzu schnell pathologisiert werden. Stößt uns die Diagnose postpartale Depression nicht auch auf eine weitere Dimension des geschlechterpolitischen Themas der Reproduktionsarbeit? Auf ,Reproduktionsarbeit’ jenseits von Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und wer was im Haushalt erledigt, erweitert auf Fragen der emotionalen Zuständigkeit?
Zwischenmenschliche Beziehungen gestalten sich, grundsätzlich, auf mannigfaltigste und komplexeste Weise. Nicht jede Person ist zu symbiotischen Beziehungen befähigt oder gewillt. Warum sollten alle Frauen, die Mütter werden, zu einer Mutter-Kind-Beziehung bereit sein, die von ihnen abverlangt, allgegenwärtig zu sein, unbedingt verfügbar – beides sowohl körperlich als auch emotional – und bedingungslos liebend? Jeder Zweifel daran, diese Rolle erfüllen zu können, löst bei Frauen enormen Leidensdruck aus – und zwar auch deshalb, weil sie diese Erwartungen allein erfüllen sollen. Wenn diese Beziehungserfahrungen unbedingten Angenommen- und Anerkannt-Seins, des bedingungslosen Geliebt-Werdens so grundlegend sind für die Menschwerdung, wie kann es dann sein, dass genau dieser große Auftrag von einer einzigen Person, der Mutter, getragen werden soll?
Das Selbst und das Fremdgefühl. Selbstverständlich kann das Thema nicht rein über strukturelle Fragen und Überlegungen gefasst werden. Über neue, nicht-mutterzentrierte Beziehungs-, Fürsorge- und Familienmodelle löst sich postpartale Depression als Thema, Diagnose und Erfahrung nicht in Nichts auf. Der emotionale Schmerz, den eine Frau über die Beziehungslosigkeit zum eigenen Kind empfinden kann, wird darüber nicht verschwinden – und es besteht keine Frage, dass dies ein Leiden ist. Mit einer postpartalen Depression geht nicht nur eine Fremdheit gegenüber dem Kind, sondern eben auch gegenüber sich selbst, gegenüber den eigenen Gefühlen einher. In Nichts auflösen könnten und sollten sich aber eben jene Mutterschaftsideale, die die auf Kinder bezogene Liebes- und Beziehungsarbeit hauptsächlich der Mutter zuschreiben und notwendigerweise jedes ambivalente Gefühl gegenüber dieser allumfassenden Fürsorgerolle pathologisieren.
Weiterlesen:
Anja Maier: Mein Bauch gehört Euch
Marion Detjen: Verdammter Haushalt
Catherine Newmark: Das Problem der Deutschen mit den Kindern
Mutter-Liebe und Kinder||Karin Struck
“jeder jiddische Mama’ s Sohn sollte einst Nobelpreisträger sein.” ….
Ihr Schreiben stimmt nachdenklich; einst Karin Strucks Die Mutter gelesen und mit Intervall immer wieder,Sie malt überwältigtigend in einem Art Monolog al dass was noch immer in Erinnerung bleibt.
Ich lese neuerding immer wieder, "gesellschaftlicher" Druck führe zu überhöhten
Erwartungen an und von Müttern. Frage mich dabei jedes Mal, wie es eigentlich den Müttern der Angehörigen meiner Generation gelang, sich disem Druck selbst als Hausfrauen mühelos zu entziehen und ihre Kinder entspnnt auzuziehen. War der Druck ausgerechnet zu dem Zeitpunkt deutlich geringer, als ein nach heutigen Masstäben überholtes, traditionelles Familienbild gesellschaftlich bestimmend war? Oder sind die Frauen heute nur wesentlich empfindlicher geworden?
Gruss,
Thorsten Haupts
Okay. Wenn der höhere Druck selbstverständlich ist, nimmt man ihn nicht wahr?
Fein. Einverstanden. Das erklärt die Nichtwahrnahme. Nicht erklären tut es die simple Beobachtung aus (nicht nur) meiner Kinderzeit, dass die Frauen mit der Erziehung ihrer Sprösslinge auch deutlich entspannter umgingen! Und da kann jetzt was nicht stimmen – der hohe Druck (da sind wir uns ja einig?) war ja da. Also ist er seitdem noch gestiegen? Oder die Frauen empfindlicher geworden?
Gruss,
Thorsten Haupts
Sehr geehrter Herr Haupts,
man kann es auch so sagen: dass (viele) Mütter gesellschaftlichen Druck empfinden ist in gewisser Weise ein Fortschritt; denn früher war das wie Sie schreiben überholte Familienbild eben so sehr gesellschaftlich bestimmend, dass eine ernsthafte Alternative für die wenigsten denkbar schien – und es gab deshalb in gewisser Weise auch weniger Leiden. Die Ursache ist also nicht darin zu sehen, dass sich die Hausfrauen sich besser entziehen konnten, sondern dass sie sich weit weniger entziehen konnten. Amor fati…
Herzlich
H.Dietz
Nur weil man nicht darüber geredet hat,
heisst das noch lange nicht, dass alles gut war. Ich kann mich an einige Mütter (von den Vätern hat man damals wenig gesehen) von Klassenkameraden und Freundinnen erinnern, bei denen ich mir heute ziemlich sicher bin, dass sie depressiv waren oder andere psychische Probleme hatten – zumindest eindeutig kein entspanntes, glückliches Hausfrauendasein. Wurde einfach nicht weiter thematisiert – bei denen hat man sich einfach nicht zum Spielen getroffen, die Familie war halt ‘komisch’.
Die Familie sollte doch aber
einen stabilen Rahmen bieten, um auch die Mutter nach der Geburt aufzufangen, oder? So lautet zumindest die Idee hinter dem Konzept! Denn Familie hieß früher ja doch ein wenig mehr als nur Mutter-Vater-Kind(er). Das ist doch gar kein Widerspruch dazu, dass die Mutter grundsätzlich im Zentrum der Familie steht! Aber um “die Kleinen” haben sich früher idealer Weise mehr Menschen gekümmert als nur sie, die Mutter: Tanten, Omas, Opas, Geschwisterkinder … Im übrigen ist es wohl schlicht eine Typfrage, ob man, kaum dass man schwanger ist, wonnig in irgendwelchen pastelligen Müttermagazinen blättert – oder eben nicht. Den Menschen, der da in einem heranwächst, kennt man ja schließlich noch nicht und ihn – noch ungeboren – bereits mit der Verantwortung fürs pünktliche Ausbrechen der großen Seeligkeit bei seinem Eintreffen zu beladen, ist doch ggf. auch nicht so jedermanns Sache? (Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass man sich das vor 100 Jahren so gedacht hat; außer vielleicht … bei Kaisers?) Um so schöner, wenn man dann in der ersten ruhigen gemeinsamen Minute nach der Geburt, wann immer die auch kommen mag, mal feststellt: Schön, dass Du da bist, ich bin übrigens Deine Mama.
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Und dann werden uns Bilder von der strahlenden Kate gezeigt,ein paar Stunden nach der Geburt.Ich war fassungslos.
Schwangerschaft und Geburt sind keine Krankheit wurde mir gesagt.
Glücklich der,der Familie oder andere Menschen hat,die einfach nur da sind und helfen.Wenn nicht…
Die Kinderferne
Als erster Gedanke ging mir beim Lesen der Gedankensammlung durch den Kopf:
“… der angebornen Farbe der Entschließung wird des Gedankens Blässe angekränkelt, und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck, durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt verlieren so der Handlung Namen. …”
Als nächstes flammte der Begriff “Narzissmus” auf. Aber später, als das Gelesene etwas sacken konnte, kam mir der Gedanke, es könnte einfach die Ferne zum (Klein-)Kind sein, die unsere heutigen (Spät-)Gebärenden so belastet. Die ganzen geschilderten Erkenntnisse, die Einflüsterungen, das ganze Hadern, all das würde in sich zusammenfallen, wenn Kinder in jedem Lebensalter im Alltag erlebbar wären: Niemand käme auf die Idee, Eltern würden ihre Kinder immer bedingungslos lieben (müssen) und ihnen einen Vorwurf machen, wenn sie es mal nicht tun. Niemand würde aus allen Wolken fallen, ob der Tatsache, dass so ein Würmchen lange Zeit Hilfestellung und Betreuung braucht und dadurch viel Arbeit entsteht. Niemand (außer die Schicht mit zwei Nannies pro Kind) würde seine Kinder mit einem Stundenplan versehen, der einen Topmanager erblassen lässt und daran sukzessive ersticken.
Die Gesellschaft schreibt nach meiner Erfahrung nichts vor, gar nichts. Soziale Kontrolle findet heute in der eigenen peer group statt, nicht übergeordnet. Dort wird – insbesondere bei Bildungsbürgerinnen [sic!] – die Latte höher gehangen, als man eigentlich springen möchte: “Eine Frau ist nur eine richtige Frau, wenn sie spontan geboren hat.”, “Stillen ist ein Muss, wenn das Kind gesund und stark werden soll, egal wie weh die Brustentzündung gerade tut.”, “Schulmedizin ist des Teufels, nur kleine Zuckerkügelchen sind wirklich Medizin.”
Solche Ideen kamen in meinem Leben nicht übermächtig von einer bevormundenden “Gesellschaft”, die uns keine andere Wahl lies, als zu folgen. Die war völlig indifferent. Sie kamen aus dem Kreis derer, die mit viel Freizeit und wenig Problemen gesegnet sind, sich aber sieben Ratgeber durchlesen müssen, um das Gefühl zu haben, nach 25 Jahren ohne Kontakt zu Kleinkindern überhaupt mit der neuen Situation umgehen zu können.
Viele Grüße
Günther Werlau
Kommt hin!
Meine Schwiegermutter (11 natürliche plus drei Pflegekinder) hat sich schon mal ähnlich geäussert. Vielleicht ist der alte Spruch einfach wahr, dass man erst mit dem dritten Kind (notgedrungen :-)) gelassen wird. Nur hat das mit “der Gesellschaft”, wie Sie ganz richtig schreiben, rein gar nichts zu tun.
Gruss,
Thorsten Haupts
Sehr geehrter Herr Werlau, sehr geehrter Herr Haupts,
ich diskutiere ja eigentlich sehr gerne mit Ihnen, aber “Die Gesellschaft schreibt nach meiner Erfahrung nichts vor, gar nichts”? Und gar: “hat mit der Gesellschaft nachweislich nichts zu tun”? Meinen Sie das ernst? Jeder Grundkurs Soziologie kann vermitteln, was Gesellschaft alles prägt und beeinflusst – auch wenn dieser unserem Leben zugrunde liegende Konsens in der Moderne geringer ist als in früheren Zeiten. Und nun wollen Sie gar nachweisen, dass dem nicht so ist?!
Zum Thema: In vielen Hinsichten gibt es in unserer modernen Gesellschaft natürlich keinen Konsens darüber, wie Mütter zu sein haben, sondern einen Konflikt: wann sie wieder arbeiten sollen, zB, wie sie es mit dem Stillen, dem Tragen und all den anderen Dingen halten, über die man trefflich streiten kann. Aber dass Mütter diejenigen sind, denen eine “natürliche” Kompetenz für allumfassende Fürsorge und Liebe zugeschrieben wird, lässt sich mit dem Verweis auf unterschiedliche Milieus so leicht nicht abtun, das scheint mir doch ein recht allgemeiner Konsens zu sein.
Ihr Verweis auf milieuspezifische Mutterbilder ist im vorliegenden Fall so richtig wie irrelevant; denn dem Beitrag ging es nicht ums Stillen oder die Schulmedizin.
MfG
H. Dietz
@Fr. Dietz: Die Gesellschaft und die Vorschriften
Sehr geehrte Frau Dietz
Sie sind Soziologin. Wenn ich die Gesellschaft aus ihrer Verantwortung zu nehmen versuche, dann war mit Widerspruch zu rechnen.
Vielleicht ist es Ihrer geschätzen Aufmerksamkeit entgangen, aber ich bezog mich in meinem Kommentar eigentlich auf das “Mutterideal”. Denn dieses in jünster Zeit für meinen Geschmack (zumindest im Bildungsbürgertum, denn ich bezweifle das die junge Mutter aus dem Prekariat das genauso sieht) völlig abgehobene Bild ist meiner Meinung nach nicht zu trennen von den mangelnden Erfahrungen im Umgang mit Säuglingen und Kleinkindern. Dieser Mangel macht es erst möglich, dass sich unrealistische Vorstellungen einschleichen. Und diese Vorstellungen würden durch eine frühe Erdung der betroffenen Apologetinnen durch direkten Kontakt sehr schnell wieder in der Versenkung verschwinden: Keine Mutter liebt ihre Kinder ununterbrochen bedingungslos. Manchmal hasst sie sie temporär auch abgrundtief. Das ist völlig normal und in Ordnung. Nur das Wissen um diesen Umstand scheint nicht mehr allgemein präsent zu sein. Analog: Eine “symbiotische Beziehung” zu den Kindern ist psychologisch eher negativ konotiert. Die Grenzen zwischen Kind und Mutter sollten im Interesse beider Gesundheit klar erkennbar bleiben. Und eine Aufladung des Mutterbilds zu einer sich selbst für die große Sache auflösenden Heldin ist in diesem Sinne eher kontraproduktiv für das Kindswohl.
Die beispielhaft aufgeführten Anforderungen dienen eigentlich nur der argumentativen Unterfütterung der Realitätsferne, die heute in Bildungsbürgerinnenkreisen anzutreffen ist. Sie schreiben selbst, die fehlenden Gemeinsamkeiten machten es der heutigen Gesellschaft schwer, eine Norm zu formulieren und noch schwerer, sie durchzusetzen. Mein Erfahrungshorizont ist natürlich beschränkt, ich habe bei aber keinerlei (über gesetzliche Vorgaben hinausgehende) Vorschriften darüber, wie sich meine Frau als Mutter zu verhalten hat, aus “der Gesellschaft” wahrgenommen. Wohl aber aus dem beschriebenen, deutlich kleineren Kreis.
Beim erneuten Lesen des Beitrags ist mir übrigens noch ein weiterer Gedanke durch den Kopf gegangen: Vielleicht ist dieses Gefühl der Verlassenheit heutiger Mütter (ob werdend oder seined) auch in Teilen der Entwertung der Rolle der heutigen Väter geschuldet.
Sehr geehrter Herr Werlauer,
ich habe Ihren Punkt schon verstanden, nur sind die Aspekte des Mutterbildes, die Sie diskutieren – und bei deren Bewertung wir im übrigen so weit auseinander nicht sind – weit spezifischer als derjenige, der für den Beitrag zentral ist; denn dafür reicht ja, dass es die Mutter ist, die für die allumfassende Liebe und Fürsorge zuständig ist; ein Anspruch, der auch in Ihrem Kommentar offenbar wird, weil es bis auf den letzten Satz eben nur um Mütter geht. Den letzten Satz, dem ich wiederum zustimme 😉 – würde ich noch ergänzen: nicht nur die Rolle der Väter ist (zu) klein, auch die der Großväter/Großmütter, Tanten, Bekannten – es braucht vielleicht immer noch ein Dorf, um ein Kind groß zu ziehen, es gibt aber stattdessen meist nur noch die Kleinfamilie und in ihr vor allem die Mutter Und das nicht nur im Bildungsbürgertum. Das sieht man im übrigen nicht zuletzt am Elterngeld, das zu einem Großteil von Müttern in Anspruch genommen wird, bis auf die (sic!) zwei so genannten Vätermonate ;-), die meist so spät genommen werden, dass sich an der dann zementierten Asymmetrie in der Beziehung zum Kind kaum etwas ändert: die Mütter sind und bleiben oft deshalb die ersten Bezugspersonen, weil die Väter wie auch überhaupt andere Personen in dieser ersten Zeit kaum präsent sind.
Dass unsere Vorstellungen davon, wer legitime Bindungspersonen für Babies sind, gesellschaftlich geprägt sind, sieht man im übrigen auch daran, dass es im 19. Jh. (jetzt allerdings: ganz explizit im Bürgertum) völlig akzeptiert war, dass Ammen und Mägde ganz zentrale, wenn nicht gar die ersten Bezugspersonen sind. Das ist heute kaum denkbar.
Es grüßt
H. Dietz
Die Mutter
Sehr geehrte Frau Dietz
Wenn Sie mich in einem Kommentar des Abschweifens rügen und im nächsten Kommentar aus meinem Nichtabschweifen Schlüsse über meine Vorstellung der Mutterrolle ziehen finde ich das doch gewagt oder vielleicht auch manipulativ. Ich sehe Fürsorge eigentlich als Aufgabe von Mutter und Vater. (Es gab sogar eine Zeit da wurde Vater und Fürsorger synonym gebraucht.) Die Liebe des Vaters mag oft anders gelagert sein, als die der Mutter. Sie aber sie ganz unter den Tisch fallen zu lassen ist unfair. Die in meinem Umfeld gängige Konstellation für die “Vätermonate” ist übrigens der erste und der 14. Lebensmonat. Dennoch hat sich die Rolle des Mannes in der Kindererziehung stark gewandelt. Vor 50 Jahren hätte ein Mann den Säugling noch nicht einmal hochgehoben und heute wird er selbstverständlich auch vom Vater beruhigt, gewickelt und versorgt. Es geht mir aber nicht um die übernommenen Tätigkeiten, sondern um die Wertschätzung. Die ist nämlich in der Öffentlichkeit ungleich verteilt: Während die Mutter allseits bedauert wird, ob des schier unbezwingbaren Bergs von Aufgaben, der sich vor ihr auftürmt, kommt der Vater im öffentlichen Narrativ maximal als Faulenzer und Verpisser vor, der im besten Fall etwas Geld daheim lässt, damit Weib und Kind zu Essen haben. Vielleicht ziehen Frauen der schreibenden Zunft solche Männer an, vielleicht ist es für den Spannungsbogen einfach unerlässlich, auch einen Bösewicht in der Geschichte zu haben, ich weiß es nicht. Definitiv weiß ich allerdings, dass es solche Konstellationen in meinem Umfeld nur selten gibt. Und in den mir bekannten Konstellationen macht das Verhalten des Mannes durchaus Sinn, weil es sich entweder um symbiotische Mutter-Kind-Beziehung handelt, in der dem Mann kein Platz bleibt oder der betreffende Mann nur als Alphamann die Anerkennung seiner Partnerin erringen kann.
Die Erziehung durch das ganze Dorf kann es in einer pluralen Gesellschaft im urbanen Kontext per se nicht geben, da es kein gemeinsames Wertefundament gibt (oder die Gemeinsamkeiten zu schmal sind) um darauf die Erziehung aufzusetzen.
Was die Sitten des Bürgertums angeht, so gibt es die doch wohl heute noch unverändert. Meinen Sie, unsere derzeitige Verteidigungsministerin hätte sich um ihre Nachkommen in der Art gekümmert, wie es eine zeitgenössische Kleinbürgerin täte? Unser Begriff vom Bürgertum hat sich gewandelt. Heute wird begrifflich in der Regel nicht mehr zwischen Klein- und Großbürgertum unterschieden. In Lebensgefühl, Sitte und Moral unterscheiden sich die beiden Gruppen nach meiner Meinung aber nach wie vor eklatant. Allerdings wird das öffentliche Meinungsbild von der gutsituierten kleinbürgerlichen Frau mit Ambitionen bestimmt. Vielleicht ist in diesem Sinne das überhöhte Mutterideal dann doch ein Resultat der Gesellschaft (weil die schweigende Mehrheit ja nicht schweigen müsste.)
Viele Grüße
Günther Werlau
PS: Vielen Dank, dass Sie dieses Blog nicht als reine Textabwurfstelle führen. Trotz aller Differenzen ist zumindest in gewissem Umfang ein Meinungsaustausch möglich. Das unterscheidet Sie positiv von vielen Nachbarblogs.
Sehr geehrter Herr Werlau (entschuldigen Sie das letztes Mal hineingerutschte -er),
wo genau habe ich Sie denn des fehlenden Abschweifens bezichtigt? Ich bin nur nicht ihrer Meinung, dass alle Aspekte des überhöhten Mutterideals kleinbürgerlich sind (danke für die Unterscheidung). Ich glaube, dass es der hier zentrale Aspekt, die allumfassende Fürsorge, es nicht ist. Es ist eben kein gesellschaftlicher Konsens, dass die Väter genauso gut auch die erste Bindungsperson sein könnten wie die Mütter; denn sonst würden Väter u.a. mehr Elternzeit nehmen (was sie übrigens in dem von ihnen geschmähten Milieu laut Statistiken noch häufiger tun als außerhalb desselben). Widersprechen Sie da?
Ich stimme Ihnen bei Ihren Ausführungen zur Vaterrolle übrigens immer noch weitgehend zu, auch, dass die Väter sicherlich heute beteiligt sein _wollen_ – bei der Frage der Wertschätzung kommt es vermutlich auf die eigenen Erfahrungen an. Wir haben Familie und Erwerbsarbeit zB gleich aufgeteilt und ich finde es immer lustig, dass mein Mann große Begeisterung erntet, weil er sich ja soo toll kümmert und soo ein engagierter Papa ist – nun hab ich mir natürlich einen ganz tollen Mann ausgesucht, aber abgesehen davon zeugen diese Reaktionen eher nicht davon, dass das als völlig normal angesehen wird (und bevor Sie einhaken: nein, ich komme weder aus dem Kleinbürgertum noch bin ich nur in urbanen bildungsbürgerlichen Milieus unterwegs).
H. Dietz
Lob für den Vater
Sehr geehrte Frau Dietz
Ich habe dieses Lob immer als oberflächliche Attitüde erlebt. Wenn es nämlich in den Gesprächsrunden um Kinderthemen ging, dann wurde ich von dem sonst rein weiblichen Kreis nie für voll genommen. Dabei hätte ich genauso kompetent über die Interpretationsmöglichkeiten von Konsistenz und Farbe von Windelinhalten referieren können. 🙂 Meine Einwürfe dazu wurden aber immer nur ausgehalten, gleichbereichtigt in das Gespräch eingebunden wurde ich nie. Und es waren die gleichen Frauen, die tolle und moderne Väter beklatschten und über den eigenen Ehemann/Partner stöhnten.
Dehalb kann ich solche Äußerungen ehrlich gesagt nicht für voll nehmen. Auch wenn das Lob über Ihren Ehemann vermutlich mehr als berechtigt ist.
(Kleinbürger und Bildungsbürger habe ich in meinen Kommentaren synonym verwendet – wohl wissend um die Differenz zum Selbstbild der letztgenannten.)
Natürlich können auch Väter die erste Bezugsperson sein, aber der kanonische Weg scheint mir in den ersten Monaten die Mutter zu sein – allein schon wegen der Ernährungsfrage. Worin läge der Vorteil, wenn dies umgebogen werden würde? In späteren Jahren ändert sich die erste Bezugsperson zumindest für Mädchen recht häufig.
Viele Grüße
Günther Werlau
Sehr geehrter Herr Werlau,
nur kurz: Ihre Erfahrungen kann ich gut nachvollziehen – und glaube, dass natürlich auch eine interessante Frage ist, ob und wie sehr Frauen den engagierten Mann dann in der Praxis tatsächlich immer wollen; denn ich glaube ja, dass beide in beiden Modellen zu gewinnen und zu verlieren haben, die Frage ist nur: was genau ;-).
H. Dietz
P.S.: ich hatte schon verstanden, dass Sie Kleinbürger und Bildungsbürger gleichsetzen, meiner Einordnung tut das keinen Abbruch, das gilt für beide.
[…] Artikel ‘traurige Mütter‘ auf ‘Ich. Heute. 10 vor 8.’ von Marcia Moser ist sehr empfehlenswert, ein […]
[...]
Bitte posten Sie zum Thema, die Blogredaktion.
[…] Nicht jede Person ist zu symbolischen Beziehungen befähigt oder gewillt. Warum sollten alle Frauen, die Mütter werden, zu einer Mutter-Kind-Beziehung bereit sein, die von ihnen abverlangt, allgegenwärtig zu sein, unbedingt verfügbar – beides sowohl körperlich als auch emotional – und bedingungslos liebend? fragt Márcia Elisa Moser. Der ganze großartige Texte: Traurige Mütter […]
[…] wurde auf fuckermothers auf den Beitrag Traurige Mütter von Márcia Elisa Moser verwiesen – aber erst jetzt erschließt sich mir dieser unverhofft in […]
[…] https://blogs.faz.net/10vor8/2015/05/15/traurige-muetter-4550/ […]