Sie wollen und sollen glücklich sein, doch die Seele widersetzt sich, und das Mutterschaftsideal bedingungsloser Liebe und Fürsorge erhöht den Leidensdruck. Ein persönlicher Bericht
Glück. Eines der größten – und doch selten politisch diskutierten – Normative in Bezug auf Mutterschaft ist jenes des Glücklich-Seins. Die Mutter soll glücklich sein über die Schwangerschaft, die Geburt und das nun neue, mit dem Kind geteilte Leben. Es sollen sie keine Zweifel, keine Ängste und erst recht keine Unlust hinsichtlich der großen Veränderungen überkommen. Sollte sie vor ihrer Mutterschaft Unglück erfahren oder Traurigkeit empfunden haben, so sollen diese Erfahrungen und Empfindungen in den allumfassend einschneidenden Erfahrungen von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft aufgehoben, geheilt, ja vollends transzendiert werden.
UnGlück. Während die gesellschaftliche Erwartung auch von jenen Frauen letztlich Freude und Glücksgefühle einfordert, die ungeplant oder gar ungewollt Mütter geworden sind, zeigt die Realität immer wieder und nicht allzu selten, dass auch die Mütter, die sich ein Kind wünschten, Zweifel, Ängste und Reue überkommen können. Erste Gefühle der Panik und Befremdung über eine (auch eine gewünschte!) Schwangerschaft sind so geläufig, dass einige Ratgeber diese Empfindungen in ihrem Katalog an physischen und psychischen, schwangerschaftsbedingten ,Begleiterscheinungen’ listen.
Ich hatte bereits zu Beginn der Schwangerschaft mit depressiven Verstimmungen zu kämpfen. Ängste und Stress lösten sich jedoch auch nach den berühmten, herausfordernden ersten drei Monaten nicht in Glücksgefühle auf. Ich dachte, ich müsste glücklich sein! – und war es doch nicht. Ich zweifelte an meiner Liebesfähigkeit, ich zweifelte grundlegend an mir selbst, war erfüllt von Schuld- und Schamgefühlen gegenüber dem Kind und meiner Umwelt. Zumal: Die Schwangerschaft war nicht geplant, aber durchaus gewünscht. Somit hatte ich ja erst recht keinen ,Anspruch’ auf ambivalente oder gar negative Gefühle – oder, wie es eine mir sehr nahestehende Person sagte: „ich möchte Dich daran erinnern, dass Du Dir das alles so gewünscht hast!“ – ,Also hör auf zu jammern…’ hallte es in meinem Kopf nach.
Hilfe. Nach schweren Monaten suchte ich letztlich die Selbsthilfegruppe Blues Sisters auf. Auch, da ich gerade erst in eine neue Stadt gezogen, ohne jedes soziale Netz und mit meinem Partner in einer Krise war. Melanie Weimer, die Leiterin der Gruppe, war es, die mir schnell Zugang zu psychologischer und psychiatrischer Behandlung verschaffte und mich in meinen Schuldgefühlen und meiner Angst vor einer postpartalen Depression, davor, eine depressive und daher schlechte Mutter zu sein, auffing. Ich stabilisierte mich.
Fragen aber blieben – und meine eigene Perspektive auf das Thema wandelte sich: Was macht den qualitativen Unterschied einer depressiven Erkrankung im Kontext von Mutterschaft im Vergleich zu ,sonstigen’ Depressionen für die betroffene Person sowie für ihr Umfeld aus? Offensichtlich das Kind. Es war eine Freundin, die mich schon früh von meinen Sorgen entlasten und mir Perspektiven aufzeigen wollte: „Selbst wenn es Dir auch nach der Entbindung noch schlecht gehen sollte, dann heißt das nicht, dass Dein Kind Schaden nehmen muss. Du kannst ein Netzwerk an Menschen aufbauen, die Fürsorge tragen, für Dich und das Kind. Dein Kind kann geborgen sein – auch in den Zeiten, in denen Du selber keine Geborgenheit geben kannst.“ Sie hatte damit einen Punkt angesprochen, der mir heute besonders relevant erscheint: die Debatte um depressive (oder auch bereuende) Mütter stärker hinsichtlich politischer Gesichtspunkte, wie z.B. gesellschaftlicher Verantwortung und wirkmächtigen Mutterschaftsidealen zu diskutieren.
ReproduktionsArbeit. Die Thematisierung von postpartalen Depressionen ist getragen von Aufklärung und Betroffenheit: verhandelt werden ein Krankheitsbild und individuelle Leiderfahrungen. Anfragen an strukturelle Kontexte, wie z.B. an Geschlechterrollen, fehlen, auch im Kontext der Selbsthilfenetzwerke. Es besteht die Gefahr, dass ambivalente Empfindungen von Müttern allzu schnell pathologisiert werden. Stößt uns die Diagnose postpartale Depression nicht auch auf eine weitere Dimension des geschlechterpolitischen Themas der Reproduktionsarbeit? Auf ,Reproduktionsarbeit’ jenseits von Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und wer was im Haushalt erledigt, erweitert auf Fragen der emotionalen Zuständigkeit?
Zwischenmenschliche Beziehungen gestalten sich, grundsätzlich, auf mannigfaltigste und komplexeste Weise. Nicht jede Person ist zu symbiotischen Beziehungen befähigt oder gewillt. Warum sollten alle Frauen, die Mütter werden, zu einer Mutter-Kind-Beziehung bereit sein, die von ihnen abverlangt, allgegenwärtig zu sein, unbedingt verfügbar – beides sowohl körperlich als auch emotional – und bedingungslos liebend? Jeder Zweifel daran, diese Rolle erfüllen zu können, löst bei Frauen enormen Leidensdruck aus – und zwar auch deshalb, weil sie diese Erwartungen allein erfüllen sollen. Wenn diese Beziehungserfahrungen unbedingten Angenommen- und Anerkannt-Seins, des bedingungslosen Geliebt-Werdens so grundlegend sind für die Menschwerdung, wie kann es dann sein, dass genau dieser große Auftrag von einer einzigen Person, der Mutter, getragen werden soll?
Das Selbst und das Fremdgefühl. Selbstverständlich kann das Thema nicht rein über strukturelle Fragen und Überlegungen gefasst werden. Über neue, nicht-mutterzentrierte Beziehungs-, Fürsorge- und Familienmodelle löst sich postpartale Depression als Thema, Diagnose und Erfahrung nicht in Nichts auf. Der emotionale Schmerz, den eine Frau über die Beziehungslosigkeit zum eigenen Kind empfinden kann, wird darüber nicht verschwinden – und es besteht keine Frage, dass dies ein Leiden ist. Mit einer postpartalen Depression geht nicht nur eine Fremdheit gegenüber dem Kind, sondern eben auch gegenüber sich selbst, gegenüber den eigenen Gefühlen einher. In Nichts auflösen könnten und sollten sich aber eben jene Mutterschaftsideale, die die auf Kinder bezogene Liebes- und Beziehungsarbeit hauptsächlich der Mutter zuschreiben und notwendigerweise jedes ambivalente Gefühl gegenüber dieser allumfassenden Fürsorgerolle pathologisieren.
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Marion Detjen: Verdammter Haushalt
Catherine Newmark: Das Problem der Deutschen mit den Kindern
Hut ab!
Ich finde es großartig und unglaublich mutig, dass dieses Thema endlich den Weg in die Öffentlichkeit findet!
Eine Hommage für diesen Beitrag konnte ich mir nicht verkneifen:
https://fraugrinsekatze.wordpress.com/2015/05/21/verbotene-gefuhle-der-mutter/
Vielen Dank für den Anstoß!