Ich. Heute. 10 vor 8.

Liebe macht blöd

Unser Lieblingsgefühl ist überfordert von zu vielen Anwendungsbereichen. Dabei sollte die Liebe uns eigentlich dankbar sein. Wozu sonst haben wir sie erfunden?

Lass es Liebe sein – Naomi und Kong, erschöpft.© sony picturesLass es Liebe sein – Naomi und Kong, erschöpft.

Ich koche nicht gut. Meine Tochter bekam das früh zu spüren. Aber, so sagte ich ihr, wichtig sei ohnehin nur ein Gewürz. Und dies wisse ich reichlich zu verwenden: Liebe! Bisweilen gab sie mir den Teller mit den ewig gleichen Gnocchi zurück. Das Gewürz fehle. Ich nahm den Teller mit in die Küche und klapperte ein wenig herum. Dann trug ich das Gericht unverändert wieder auf. Nunmehr schmeckte es.

Liebe ist eine Behauptung mit hoher Placebo-Wirkung. Wie alle Behauptungen duldet sie keinen Widerspruch. Liebe ist alles und ohne Liebe ist alles nichts. Wer das nicht glaubt – aber wer wollte es nicht glauben? – der lese, was auf Feuerzeugen und Zuckerwürfeln mit dem lustigen, kleinen „Liebe ist…“-Pärchen steht. Oder unter Photos von Jennifer Aniston und Madonna mit wechselnden Mr.Rights. Oder denen von George Clooney und Colin Farrell mit vormals wechselnden Mrs. Wrongs. Oder als Fazit der Hymnen auf Fehltrittverzeiherinnen von Frau Seehofer bis Frau Clinton. Oder er zähle die explodierenden facebook-likes unter der Änderung des Beziehungsstatus samt Photo des neuen Glückes.

Die Liebe kann nichts dafür, dass der Kitsch und der Boulevard sie vereinnahmen. Es ist ihr gleich. Sie hat Schlimmeres überlebt. Ihr milliardenfaches Ende zum Beispiel. Oder die vielen Verwechslungen, denen diverse Triebe und Konventionen sie ausgesetzt haben.

Duldsam lässt sie sich zur „wahren“ Liebe nachwürzen. Wahre Liebe wartet, im Gegensatz zum claim der Kein-Sex-vor-der-Ehe-Fraktion, eben genau nicht. Wahre Liebe ist die Erleichterung, mit der die Gegenwart sich von den Irrtümern der Vergangenheit erholt – jetzt aber!

Gute Freunde verkneifen sich die Frage „Muss ich mir den Namen merken?“ und behandeln die neuerliche neue Liebe mit routiniert geteilter Hoffnung. Weil auch sie bevorzugt Kurzstrecke lösen. Oder die Großzügigkeit der Angekommenen verströmen. Man weiß ja nie.

Auch die Freundschaft wird längst mit Liebe versetzt. Freunde nehmen einen, wie man ist. Kinder ebenfalls. Tiere, allen voran Hunde, erst recht. Und die aktuelle wahre Liebe eben auch. Gemeinsam bilden sie das vierblättrige Kleeblatt des bedingungslosen Glücks. In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken. Und wenn man schon mal dabei ist, faltet und liebt man gleich weiter: Orte, Dinge, Ideen, Speisen, Fremde, Geräte, Unbekannte und Tote. Wer will es einem verdenken. Mit Denken hat das alles ohnehin nichts zu tun. Wer liebt, wird selig. Und wenn’s schiefgeht – der oder die Nächste bitte.

Liebe ist das emotionale Grundeinkommen. Schieres Vorhandensein rechtfertigt Anspruch wie Einlösung. Liebe will keine Leistung, keine Anstrengung, die bleiben ihrer Erlangung vorbehalten. All das Zögern und Zaudern. Die zahllosen Stunden am Rechner, im Club, am Stepper, beim Arzt. Die Schmach der Zurückweisung. Die Unklarheit. Die Qual der Wahl. Bis es geschafft ist. Bis die Liebe endlich sagt: Es ist, was es ist. Es gibt sie noch, die einfachen Dinge. Lieben und geliebt werden. Die Tautologie stirbt zuletzt.

Liebe gibt Sicherheit, weil sie vollkommen fiktiv ist. Und wir es uns mit ihrer Erzählung einfach gemacht haben. Weil wir zu faul waren, die Liebe von der Tautologie zu erlösen. Realität als Kindchenschema. Weil alles sonst doch bereits so anstrengend ist. Weil wir uns fallenlassen wollen. In unseren Airbag, unser Netz, unseren doppelten Boden der Liebe. Auf dass die Wirklichkeit nicht so hart sei.

Vielleicht begehrt sie ja einmal auf, die Liebe. Will nicht länger den Puffer zwischen uns und unseren Irrtümern bilden. Will ernsthaft bedacht sein und genau befragt werden. Will, dass auch der Beziehungsstatus zwischen uns und ihr geändert wird. Ja, es ist kompliziert.

Wir müssten kochen lernen, anstatt einen Schwindel aufzutischen. Geschichten erfinden, anstatt die Geliebten zu Komplizen bloßer Behauptung zu machen. Wir müssten an die Erfindung der Liebe glauben, anstatt diese Erfindung als Prämisse auszublenden. Wir müssten an unserer Sicherheit wie unserem Zweifel zweifeln; Netze knüpfen, Böden legen, Augen öffnen, Paradigmen wechseln, Stecker ziehen. Wir müssten uns anstrengen. Um zu verstehen, wie lustig es sein kann, wenn es ernst wird.

Der Liebe ist es egal, was wir aus ihr machen. Es gibt sie ja nur in unserer Vorstellung. Machen wir uns eine andere. Es würde sie freuen.

Die mobile Version verlassen