Die neue Staatsoper Berlin wird, wenn die Millionen verschlungen sind, wie eine Kutsche aussehen. Der furiose Gewinnerentwurf Klaus Roths wurde vom Tisch gefegt. Seither setzt sich die Verlustangst zorniger Senioren durch. Wie teuer wird die verspielte Zukunft?

Die Oper ist kein Museum. Sie ist ein lebendiger Organismus, der sich ununterbrochen weiter entwickelt, jedes Jahr neu inszeniert, neu geschrieben, neu beleuchtet wird.
2008 löste der preisgekrönte Berliner Staatsopernentwurf Klaus Roths einen kulturhistorischen Tornado aus, der eine hochkarätige Fachjuryentscheidung einfach umwarf. Was war geschehen?
Es ging um Stuck. Zwanzig Jahre nach der Wende schien die DDR ein zweites Mal unterzugehen – mit dem Verlust der nach knobelsdorffschem Vorbild liebevoll historisierten Neorokoko-Stuckatur Richard Paulicks.
Es war, als hätte man mit dem Stuck die Wunde der Wiedervereinigung berührt. Zuviel abgerissen, zuviel arrogant überrannt. Der kluge Entwurf Roths bekam die Keule ab, die der Treuhand hätte gelten sollen.
Jeder, der mehrere Jahre in den ostdeutschen Bundesländern gearbeitet hat, weiß von den Kränkungen. Die Demütigungen nach der Wende harren einer jahrelangen Aufarbeitung. Hier liegt die wirkliche Großbaustelle. Diese Dimensionen übersteigen jedoch den Paulickbau und lassen sich nicht an einem Stuckimitat heilen.
Dass gerade der Stalinalleemitgestalter Richard Paulick respektvoll mit Stuck umging – war eine Art DDR-Wunder. Nun sollte mit der Staatsoper diese letzte Insel des Respekts durch einen modernen Innenbau ersetzt werden. Roths Pläne wurden vom Tisch gefegt. Es galt nur noch Paulick. Dabei hatte der Zahn der Zeit den Zuschauerraum stark zernagt. Unter der Stuckatur traten Asbest und Schimmel hervor, in den Rauchmeldern ionisierte es radioaktiv.
Nicht nur die Wiedervereinigung, eine doppelte Wunde tat sich auf: die funktionalisierte Machtarchitektur des Arbeiter- und Bauernstaats. Am Schrei der Stuckliebhaber konnte man messen, wie stark die Bürger unter dem Regime gelitten hatten. Stuck wurde mit einem Mal zum Sinnbild für historischen Respekt und Menschenwürde. Nur – repräsentierte nicht gerade der Paulick-Stuck menschenverachtende Machtstrukturen?
Ein dritter Sturm zog auf: Von der westlichen Seniorenfront her gesellten sich Plüschliebhaber zu den Paulick-Kämpfern. Die Oper als westdeutsches, hochaggressiv gehütetes Wohnzimmer.
Der Entwurf war entkräftet. Die Herren des Fördervereins, mit Geld und Macht ausgestattet, hatten sich kampfesfroh durchgesetzt. Der erste Akt dieser Farce endete in blanker Erpressung: Peter Dussmann drohte 30 Millionen Euro zu entziehen, falls der Roth-Entwurf realisiert werden sollte, setzte sich durch und zahlte gänzlich und geschickter Weise – nie.
Wohin steuert unsere Gesellschaft, wenn sich die Verlustangst zorniger Senioren gegen Zukunftsvisionen durchsetzt? Die Kosten der verspielten Zukunft sind hoch. Fraglich bleibt, wie oft sich das Land noch eine solche Rückwärtskutschfahrt leisten kann.
Inzwischen wird der Wettbewerb nicht einmal erwähnt. Besucht man eine Staatsopernführung, läuft im Vorhinein ein kleiner Film, in dem weder die Ausschreibung noch der Umsturz der Fachjury genannt werden. Nicht einmal ein Bild des Gewinnerentwurfs – als wäre da nie etwas gewesen. Das gleicht einer Vertuschung. Die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Wettbewerb, der mit einem relativ offenen Konzept des Denkmalschutzes ausgeschrieben wurde, schlussendlich den Denkmalschutz zum Hauptkriterium ausrufen darf, ist auch für zukünftige Bauvorhaben relevant.
Es ist wichtig zu sprechen. In Roths Entwurf wurden nicht nur alle Wettbewerbsanforderungen erfüllt, sondern historisch mit dem Knobelsdorffbau verbunden. Paulick sollte bis zur Umfassungsmauer erhalten bleiben.
Die Oper als „klingende Vase“ wie bei Knobelsdorff – genau dies hatte Roth konzipiert. Ein offenes klingendes Gefäß, formschön, oval. Brancusi hätte es nicht besser gekonnt. Peter Kulka, Juryvorsitzender, nannte den Entwurf einen „Glücksfall für Berlin“.
Bei der neuen Heiligungspanik Paulicks wurde vergessen, dass sich der Gropiusassistent nicht in allen Kategorien an Knobelsdorff orientiert hatte. Trotz allen Respekts muss erwähnt werden, dass Paulick die Decke absenkte, die Akustik niederdrückte und die Garderoben in den Keller schob.
An die ursprüngliche Linienführung Knobelsdorffs schloss Roth an. Durch die Hebung des Parketts gelang der direkte Wiederanschluss des Apollosaals an den Zuschauerraum. Auf diese Weise wurde die Möglichkeit neu belebt, alle drei Räume – Bühne, Zuschauerraum und Apollosaal – gleichzeitig zu nutzen. Ein Theater, das Offenheit atmet, mit optimalen Akustik- und Sichtbedingungen. Ein kommunikativer Entwurf, wie aus einem Guss. Aus der Bewegung der Ränge ersann Roth eine Spirale, die nicht nur für bestmöglichen akustischen Ausgleich sorgte, sondern den Raum in einer atemberaubenden Lichtkurve auslaufen ließ – in die Ewigkeit. Schöner kann man einen modernen Kronleuchter nicht ins Heute übersetzen.
Zuletzt: ebenerdige Garderoben, vergrößerte Toiletten, Aufzüge in alle Etagen – ein Traum für alle, die sich bei Paulick durstig mit Mänteln durch Kellergänge drängten. Hier wäre ein Saal entstanden, der das Publikum nicht gedrückt, sondern mit der Musik in offene Räume geleitet hätte, die in kommunikativer Schwingung aneinander gewachsen wären.
Nun bekommen wir eine mühevoll zu stemmende millionenschwer geliftete Ex-DDR-Lady – unter gerastertem Himmel. Durch die geplante fünf Meter hohe Deckenanhebung verliert der in dieser Höhe ursprünglich vier Ränge verzeichnende Bau das proportionale Gleichgewicht. Ob das akustisch ausgewogen sein wird, bleibt zu bezweifeln. Zur Not ließe sich ja wieder eine elektronische Akustikanlage einbauen – womit die millionenschwere Kutsche sieben Jahre lang als Farce im Kreis gefahren wäre.
Klaus Roths Entwurf gehört zur Geschichte der Staatsoper dazu. Er darf nicht vertuscht werden. Wer in der Pause im Sektglas die Millionen verperlen sieht, wird in der Spiegelung die Rekonstruktion des Paulick-Stucks erblicken. Ich denke mir dann die rasante Klangvase Roths. Ein Ferrari unter den Opernhäusern, der international Aufsehen erregt hätte.
Liebe macht blöd...Kutschfahrt statt Ferrari...
stimmt beides, so in etwa…
unsere Lieblingsgefühle überfordern uns oft…von zu vielen Anwendungsbereichen…wenn uns keine wahrnehmbar echten
(Katastrophen-)”Noten” drohen…die meist den Geist auf
ausreichende “Datschazufriedenheit” ausrichten?
Gruß,
W.H.
spießige inszenierungen in spießiger umgebung ...
na, wenn’s denn den unverbesserlichen ossi in seinem heimatverlust tröstet … mir hat es bei einigen versuchen mit der alten staatsoper und ihrer zuckerbäckerpappe und pseudo-barockmobiliar nur gegruselt, auf die roth’sche hätte ich mich sehr gefreut. was soll’s: berlin hat ja noch alternativen. oder man fährt mal wieder nach erfurt, bei den günstigeren preisen kommt es fast auf’s selbe raus.
Jede sich bietende architektonische Chance...
…wird in Berlin mit Sicherheit vertan. Stadtschloss, Ministerialbauten, Potsdamer Platz, Hauptbahnhof, Flughafen, alle möglichen Bibliotheks-, Museums- und sonstige kulturelle Bauten: endlose, idiotische Rasterfassaden, nicht ein einziges Gebäude mit irgendwie wahrnehmbarer skulpturaler Qualität! Die rigide Festschreibung der Traufhöhe, die vielleicht in Paris und zu einer Zeit, die das Ornamentale nicht verachtete, hinreißend harmonische Straßenzüge ermöglichte, bringt in einer architekturhistorischen Epoche wie unserer nichts als Unglück. In jedem Neubau manifestiert sich ein nicht zu ertragender Verwaltungsbeamtengeschmack, die Gebäude gleichen auch von Außen den Aktenschränken, die viele von ihnen beherbergen. Es ist zum Verzweifeln! Aber das Schlimmste ist das Stadtschloss, der wahrlich krönende Abschluss dieses einzigartigen städtebaulichen Desasters, das Berlin als Ganzes darstellt.
Bitte bleiben Sie sachlich!
Die 10vor8-Redaktion.