Angesichts der politischen Diskussionen über mögliche künftige Staatshilfen für den Autohersteller Opel lohnt ein abermaliger Blick in die Unterlagen, die der amerikanische Mutterkonzern General Motors vor ein paar Tagen der Regierung in Washington vorgelegt hat. Das Dokument dient eigentlich dazu, Präsident Barack Obama, seine Minister, aber auch die Kongressabgeordneten der Republikanischen Partei zu überzeugen, die jeder Art von staatlicher Hilfe für angeschlagene Unternehmen deutlich kritischer gegenüberstehen als die Demokraten um Obama. Dass der GM-Vorstandsvorsitzende Richard Wagoner in dem Dokument ein Horrorszenario für den Fall eines Konkurses von GM entworfen hat, ist bekannt. Wer den Text aber unter dem Aspekt liest, ob GM ein Überleben verdient hat, kommt zu einer eindeutigen Antwort.
Sollte ein Unternehmen gerettet werden, dessen Schulden sich zum 30. September 2008 auf 170 Milliarden Dollar belaufen haben, dessen Vermögenswerte aber schon damals nur noch 110 Milliarden Dollar betrugen? Ist ein Konzern überlebensfähig, dessen Schulden seither und bis zur vergangenen Woche um weitere 18 Milliarden Dollar gestiegen sind? Wie viel Mut macht die Perspektive eines Mittelabflusses von 14 Milliarden Dollar (negative operating cash-flow), die GM allein für das laufende Jahr selbst hochgerechnet hat? Sollte man angesichts der bisherigen Erfahrungen mit GM wirklich daran glauben, dass dieses finanzielle Ausbluten im Jahr 2011 gestoppt wird? Und selbst wenn: ist das schnell genug? Denn bis dahin braucht GM offenbar 28,5 Milliarden Dollar frische Mittel. Ist es eine überzeugende Perspektive, wenn GM selbst davon ausgeht, dass der Marktanteil in den Vereinigten Staaten, der ohnehin schon von den 50 Prozent der goldenen Zeiten meilenweit entfernt ist, von 22 Prozent im laufenden Jahr noch weiter auf nur noch 19,7 Prozent im Jahr 2014 fallen wird?
Ein Unternehmen, das es wert ist, in seiner bisherigen Struktur und mit seinem vorhandenen Management gerettet zu werden, sieht anders aus.
Nun hat GM in Europa Autos im Angebot, die sehr viel wettbewerbsfähiger sind. Doch auch hier sind die finanziellen Aussichten innerhalb des GM-Konzerns ähnlich trübe: Ohne dass auf konkrete Zahlen eingegangen wird, räumt GM in seinem Bericht ein, dass es auch in Europa bis zum Jahr 2011 dauern wird, bis wieder positive Ergebnisse erzielt werden. Im großen Reich von General Motors fehlt es überall an Geld – und die alte Vermutung, dass eine schlechte Bilanz immer noch sehr viel schlechter ist, als sie auf dem Papier aussieht, trifft gewiss auch hier zu.
Frankfurter Investmentbanker sind überzeugt: Opel würde am ehesten ein klarer Schnitt helfen, die möglichst schnelle Insolvenz der Muttergesellschaft. Dann wäre es möglich, aus der Konkursmasse die Teile von GM zusammenzuschließen, die man braucht, um einen überlebensfähigen mittelgroßen europäischen Autohersteller mit dem Namen Opel zu formen. Verwirrende Vertragskonstruktionen könnten neu sortiert und Klarheit über die Patentsituation sowie über das Eigentum an den Produktionsstätten gewonnen werden.
Das in Verhandlungen mit einem sklerotischen Unternehmen GM zu erreichen, scheint beinahe ausgeschlossen zu sein. Denn so lange er im Amt ist, muss der Vorstand von GM schließlich versuchen, die Interessen seiner Aktionäre zu vertreten, um sich nicht auch noch strafbar zu machen.
Diese Interessen sind aber nicht (mehr) identisch mit den Interessen von Opel.
Die deutschen Politiker sollten deshalb keine weitere Energie darauf verschwenden, mit GM zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen, sondern in Gesprächen mit der Regierung in Washington auf ein Ende mit Schrecken für GM drängen – um ein Schrecken ohne Ende für Opel zu vermeiden.
Download des Restrukturierungsplans von GM