So liest sich die persönliche Bilanz einer Finanz- und Wirtschaftskatastrophe: “Ich habe auch etwas über mein Land gelernt. Ich führe ein globales Unternehmen, aber ich bin ein Bürger der Vereinigten Staaten”, hat Jeffrey Immelt, der Vorstandsvorsitzende von General Electric, in dieser Woche an seine Aktionäre geschrieben. Dann wird der 53 Jahre alte Immelt grundsätzlich: “Ich glaube, dass die seit 30 Jahren populäre Ansicht, dass sich die Vereinigten Staaten von einem Technologie- und Fertigungsführer zu einer reinen Dienstleistungsnation entwickeln können, ganz einfach falsch ist.” Das Denken habe lediglich dazu geführt, dass sich die Finanzdienstleister von einer Branche, die den Handel unterstützt, in einen komplexen eigenständigen Handelsmarkt verwandelt hätten, der außerhalb der realen Wirtschaft agierte habe. “Handfeste Finanzprodukte wurden von finanziellen Konstrukten ersetzt. Am Ende verloren unsere Betriebe, unsere Regierung und viele lokale Führungsgrößen aus dem Blick, was eine Nation wirklich groß macht; nämlich die Begeisterung für Innovation.”
Das ist starker Tobak für den Chef eines der amerikanischen Unternehmen, das vor allem auf seine Geschichte von großen Erfindungen stolz war und ist. Der Läuterungsprozess, der zu diesen Zeilen geführt hat, lässt sich nicht zuletzt am Börsenkurs von GE festmachen. Denn der notiert inzwischen auf den niedrigsten Ständen seit 1991.
Und Immelt, der vor diesem Hintergrund auf seinen Jahresbonus von bis zu 12 Millionen Dollar verzichtet hat, geht deshalb noch weiter und wird politisch: “Aus diesem Grund brauchen wir ein Schulsystem, das harte Arbeit, Disziplin und kreatives Denken fördert. Die Fähigkeit zur Innovation muss wieder geschätzt werden. Wir müssen neue Technologien entdecken und eine produktive Fertigung entwickeln. Unser Handelsdefizit ist ein echtes Zeichen von Schwäche, und wir müssen unsere Schulden weltweit reduzieren.” Für Menschen, die die Vereinigten Staaten von Amerika schon länger kennen, ist das eine wenig überraschende Erkenntnis. Aber aus dem Munde des Vorstandsvorsitzenden eines der am meisten geschätzten Unternehmen des Landes bekommt sie plötzlich ein ganz neues Gewicht. Gewiss wäre es noch überzeugender, Immelt hätte diese Erkenntnis aus einer Position der Stärke heraus gewonnen. Stattdessen muss er kleinlaut einräumen, dass der Ruf seines Unternehmens in den vergangenen Monaten in Mitleidenschaft gezogen worden sei, “weil wir nicht das sichere und zuverlässige Wachstumsunternehmen waren, das wir hofften zu sein”. Dann aber stellt sich Immelt in die Tradition der durchaus großen Managementkultur bei GE. “Dafür übernehme ich die volle Verantwortung”, schreibt er und ruft potentiellen Investoren zugleich zu “wenn Sie sich mit dem Gedanken tragen, Investor bei GE zu werden, dann möchte ich Ihnen sagen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, einzusteigen.”
Jeffrey Immelt. Foto: GE
Die schwierige Situation sei – und das ist dann wieder sehr amerikanisch – eine einmalige Chance: “Wir haben die Möglichkeit, wieder zu den Kernkompetenzen von GE zurückzukehren und uns auf das zu konzentrieren, was wir am besten können.”
Unmittelbar beherzigt wurde der Ratschlag zum Aktienkauf jedoch nicht, nur von Immelt selbst, der sich 50 000 GE-Aktien zulegte. Am Mittwoch fiel der Preis für das GE-Papier sogar unter die Marke von 6 Dollar, zum ersten Mal seit 1938 sinkt die Dividende. Und am Donnerstag mussten Immelt und GE sogar Sorgen der Finanzmärkte über Schwierigkeiten mit der Finanzsparte entgegengetreten. GE Capital werde zu Jahresanfang profitabel sein, hieß es daraufhin. Bei GE Capital gebe es keine Zeitbombe, denn genau darüber war spekuliert worden. GE sei gut mit Kapital ausgestattet. Eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit von der besten Note “AAA” auf “AA” sei zwar nicht auszuschließen. Das werde jedoch kaum Auswirkungen auf das GE-Geschäft haben; die Bedeutung der Finanzsparte im Konzern soll künftig gleichwohl deutlich abnehmen.
Welch ein Wandel: General Electric hat sich in der Vergangenheit einen Namen damit gemacht, regelmäßig ein zweistelliges Gewinnwachstum auszuweisen. Immelts Vorgänger Jack Welch ist geradezu legendär damit geworden, stets die Prognosen der Analysten der Wall Street zu treffen. Daran hat Immelt nicht anschließen können, wofür er schon seit einiger Zeit kritisiert wird. Dabei ist Immelt Welchs handverlesener Nachfolger. Welch hat den Posten als Vorstandschef im Jahr 2001 an Immelt übergeben, kurz nach den Terroranschlägen des 11. September. Doch die Zeit danach war für Immelt einfach im Vergleich zu dem weltumspannenden Abschwung, gegen den nicht zuletzt zu seiner eigenen Überraschung auch das diversifizierte Portfolio des Mischkonzerns GE nicht immun ist.