Wer hin und wieder beruflich oder privat mit Schriftstücken von Anwälten konfrontiert ist, weiß, dass sich dieser Berufsstand beim Verfassen von Vorwürfen in der Tonwahl nichts schenkt: Vornehme Zurückhaltung wird dort nicht geübt, und das gilt selbst dann, wenn es nur um Schadenersatzzahlungen im vierstelligen Euro-Bereich geht. Wenn die Mandanten der Anwälte dann auch noch prominent und starrköpfig zugleich sind, wird die Sache besonders heikel – und Kompromisse scheinen meilenweit entfernt zu sein. So ist es zurzeit auch bei Siemens.
Bisher nur Punktsiege
Die eine Seite, also der Konzern und sein Aufsichtsratsvorsitzender Gerhard Cromme, haben sich mit voller Kraft und Unterstützung durch ihre Öffentlichkeitsarbeiter an die Aufräumungsarbeiten gemacht, fordern von früheren Managern Schadensersatz in Millionenhöhe. Jetzt ultimativ bis Mitte November. Die andere Seite, vor allem der ehemalige Vorstands- und Aufsichtsratschef Heinrich von Pierer, sein Nachfolger im Amt des Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld, aber auch der ehemalige Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger haben sich öffentlich bisher nicht aus der Deckung gewagt, lassen ihre Anwälte dafür aber nicht minder kompromisslos als Cromme & Co. agieren.
Dabei hat jede Seite dann und wann einen Punktsieg zu verbuchen, nur von einer Gesamtlösung – und damit dem Abschluss des Kapitels Schmiergeldaffäre für Siemens – sind Cromme und seine Aufsichtsratskollegen noch immer entfernt. Längst geht man im Unternehmensumfeld davon aus, dass vor allem Pierers Bereitschaft, sich auf einen Vergleich einzulassen, gering ausgeprägt ist. Damit steckt Cromme in einem Dilemma: Einerseits wäre es für ihn auch ein großer persönlicher Erfolg, wenn er die Aufklärung und juristische Bereinigung eines der größten Korruptionsverfahren in der Wirtschaftsgeschichte zur Hauptversammlung Ende Januar mit einer umfassenden Vergleichsregelung abschließen könnte.
Andererseits darf er sich davon nicht verleiten lassen, gegenüber den Beschuldigten als zu kompromissbereit zu gelten. Das, so wird jedenfalls suggeriert, würden die Siemens-Aktionäre und die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat nicht akzeptieren. Die Folge ist ein Pokerspiel.
Siemens-Trainingscenter in Erlangen. Foto:Siemens
Deshalb werden Drohkulissen aufgebaut: Wenn Pierer sich tatsächlich auf einen Prozess einlasse, müsse er wissen, dass er danach mit seinem gesamten Vermögen hafte, wurde schon vor der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch gestreut, die ein neues Ultimatum für den Vergleich gesetzt hat. Und nur im Falle eines solchen Vergleichs komme er mit den 6 Millionen Euro davon, die Siemens verlangt – und das sei angesichts von Pensionsansprüchen von angeblich deutlich mehr als 10 Millionen Euro sogar fair. Ähnliches gelte für die anderen, und vor allem Kleinfeld sei doch gewiss nicht daran gelegen, allein mit Pierer vor Gericht das Duo der zwei bösen Buben zu geben.
Doch Pierer ist nach wie vor fassungslos: Über die Art und Weise, wie mit ihm seit seinem Abgang bei Siemens umgegangen wird, über die geringe Würdigung seiner Lebensleistung – und auch über juristische Fragen. Dazu zählt, dass er nicht nachvollziehen kann, warum drei Ex-Vorstände, die für bestimmte Regionen oder Bereiche verantwortlich waren, eine geringere Verantwortung tragen sollen als er, der lediglich für deren Überwachung verantwortlich war. Die Auseinandersetzungen gehen bis hin zur Höhe des Gesamtschadens, wobei die Gegenseite gern auf die von Siemens verursachten Anwaltskosten verweist, die bei einer Gerichtsverhandlung gewiss zum Thema werden würden.
Kleinfeld hofft auf Einstellung der Ermittlungen
Kleinfeld lässt ohnehin stets verlauten, ihn treffe keine Schuld, selbst die amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde SEC habe ihm bestätigt, als Einziger der Beschuldigten zur Aufklärung beigetragen zu haben. Gleichwohl werde er sich einer “konstruktiven Lösung” nicht verschließen. Und tatsächlich unternehmen die Siemens-Anwälte wohl große Anstrengungen, zu einem Kompromiss mit Kleinfeld zu kommen. Angeblich, so ist zu hören, ist auch die Einstellung der Ermittlungen der Münchener Staatsanwaltschaft in seiner Angelegenheit wahrscheinlich. Der ehemalige Finanzvorstand Neubürger hingegen gilt Insidern als “tragische Figur”. Nachsicht der Staatsanwälte sei in seinem Fall eher unwahrscheinlich, dabei sei er derjenige gewesen, der im alten Siemens-Vorstand mehrfach versucht habe, das Schmiergeldsystem trockenzulegen. Für alle drei, so wird suggeriert, seien zudem die Schwierigkeiten in Amerika noch nicht ausgestanden. Die SEC ermittle wegen falscher Angaben in alten Jahresabschlüssen. Kleinfeld bestreitet das.
Cromme wird unterdessen nicht müde, auf seine unbestreitbaren Erfolge zu verweisen: Tatsächlich ist es ihm gelungen, das Verfahren für den Konzern selbst durch eine Einigung mit den Behörden in Deutschland und den Vereinigten Staaten schon Mitte Dezember 2008 zum Abschluss zu bringen. Diesen Erfolg will sich Cromme von denen, unter deren Aufsicht 1,3 Milliarden Euro fragwürdige Bestechungszahlungen geleistet wurden, nicht vermiesen lassen. Er behauptet, er habe Geduld. Doch auch das ist Teil des großen Pokerspiels.