Ad hoc

Züge, (elektronische) Bücher und die Freiheit

Nur diejenigen, die Pioniere des intellektuellen Konsumbürgertums sein möchten, sollten schon jetzt eines dieser neuen elektronischen Lesegeräte des Internet-Buchhändlers Amazon (vor-)bestellen. Es ist ja schön, wenn Menschen so buch- und technikbegeistert zugleich sind, dass sie ihre ganze elektronische Bibliothek zu jeder Zeit in ihrer Tasche mit sich tragen können wollen. Aber Amazon hat sich einen Vertriebsweg für sein jüngstes Kind mit dem Namen “Kindle” ausgedacht, der reichlich abenteuerlich anmutet: Das Gerät muss in Amerika bestellt werden und kostet mit Steuern, Gebühren und Zöllen sehr viel mehr, als man beim ersten Klick auf die Website von Amazon vermuten würde. Wenn der Kindle nicht mehr funktioniert, muss man ihn nach Amerika zurückschicken. Und deutsche Bücher gibt es auf dem Kindle auch noch nicht zu lesen.

Nun ist die Welt gedanklich gewiss sehr viel kleiner geworden, sie hat – dank Internet und stets verfügbarer Flugverbindungen überallhin – an vielen Stellen tatsächlich etwas vom globalen Dorf. Aber angesichts solcher Hürden fragt man sich schon, woher Marktforscher den Optimismus nehmen, noch im laufenden Jahr würden auf der Welt 3 Millionen dieser elektronischen Geräte verkauft. Andererseits sind die elektronischen Bücher und das Erscheinen des bisher nur in Amerika erhältlichen Kindle in Europa gewiss große Themen auf der Frankfurter Buchmesse, die in der kommenden Woche beginnt.

Und vielleicht schaffen es die Amerikaner von Amazon an jenen Messetagen auch, einige deutsche Verlage davon zu überzeugen, dass deutsche Inhalte auf dem deutschen Markt nicht schaden könnten. Die F.A.Z. jedenfalls lässt sich auf dem Gerät auch jetzt schon in Originalsprache lesen … Sollte man also doch einmal im Leben ein Pionier sein?

Paket aus Amerika

Spaß beiseite: Eine echte Pioniertat ganz anderer Art haben deutsche Mitbürger vollbracht und erlebt, die vor zwanzig Jahren den zertrampelten Rasen der deutschen Botschaft in Prag verlassen durften. Sie durften den “Zug in die Freiheit” nehmen – und wer heute Geschichten darüber liest, was sich bei ihrer Fahrt über Dresden nach Hof am Dresdner Hauptbahnhof abgespielt hat, was aus denjenigen geworden ist, die im Zug saßen oder an der Strecke für die damalige Reichsbahn im Osten die Organisation erledigten, der betrachtet plötzlich auch Kleinigkeiten aus einer ganz anderen Perspektive. Nicht zuletzt die, dass man ganz selbstverständlich auch in Dresden in den Tagen nach der Buchmesse ein Paket aus Amerika erhalten kann, in dem ein elektronisches Lesegerät für Literatur, Zeitungen und Zeitschriften aus aller Welt steckt, die sich auf Knopfdruck drahtlos auf den Bildschirm zaubern lassen.

Der Kindle von Amazon. Foto: Amazon

Realität in Deutschland ist aber leider auch, dass der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober, nur 20 Jahre nach dem großen Ereignis, für viele Menschen keine große emotionale Bedeutung hat. Das gilt besonders dann, wenn die Feier wie in der vergangenen Woche auf einen Samstag fällt – und damit auf einen für die meisten Menschen arbeitsfreien Tag. Denn für nicht wenige dürfte das einzige Ereignis an jenem Samstag gewesen sein, dass die Geschäfte geschlossen waren – und der Einkauf ausfallen musste. Wie gut, dass dafür in nicht wenigen Städten der Sonntag verkaufsoffen war. Wo kämen wir denn auch hin?

In unserer Hauptstadt Berlin sieht es zwanzig Jahre nach der Wende so aus: Dort treffen sich in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung zwischen Brandenburger Tor und Potsdamer Platz die künftigen Regierungsparteien und reden über unsere Zukunft. Die Themen begeistern nicht. Es ist kein Geld da, nirgendwo. Auch die Krankenkassen produzieren ein Milliardendefizit. Ansonsten geht es um Bürger- und Kindergeld. Vom Sparen hat man seit dem Wahlkampf noch nicht wieder viel gehört, aber das kann ja noch kommen. Dann könnten ja vielleicht doch die Steuern sinken. Das hat dann übrigens auch wieder etwas mit persönlichen Freiheiten zu tun. Zu viel Staat tut nicht gut, dass hat der “Zug in die Freiheit” eindrucksvoll bewiesen. Das Geld könnte man dann in den Konsum stecken. Zum Beispiel in ein Buch.

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