Irgendwann ist in der deutschen Öffentlichkeit das Bild von der wirklichen Situation des Autoherstellers Opel durcheinandergeraten. Es schien so, als habe man es mit einem deutschen Unternehmen zu tun, das höchst wettbewerbsfähige Produkte produziert und mit überschaubar großen Anstrengungen zu einer gewinnbringenden Industrieperle werden kann. Von der alten Muttergesellschaft in Amerika, den Pleitiers von General Motors (GM), hatte man sich abgenabelt. Dieses Bild hatte in monatelanger akribischer Öffentlichkeitsarbeit der auf den ersten Blick bieder daherkommende, aber rhetorisch höchst versierte Opel-Betriebsratsvorsitzende Klaus Franz gezeichnet: stets ansprechbar war er, stets präsent, im Radio, im Fernsehen, in Zeitungen und auf Diskussionsforen. Franz ist in den Bemühungen, Opel von GM zu trennen, zum einzigen in der Öffentlichkeit wahrgenommen Sprecher des Unternehmens geworden. Und seine Kommunikationsleistung wird lange unübertroffen bleiben: Der 57 Jahre alte Franz hat alle Deutschen zu Opelanern gemacht.
Klaus Franz hat uns alle zu Opelanern gemacht
Dieser Strategie blieb er bis zuletzt treu – und verkündete Dinge als unumstößliche Wahrheit, von denen er in Wirklichkeit keine Ahnung hatte: „Der Verkauf wackelt nicht”, sagte er wieder und wieder. GM, so nahm er an, könne Opel nicht aus eigener Kraft sanieren, weil dem Konzern auch nach dem Ende des Insolvenzverfahrens das Geld fehle: „Der GM-Verwaltungsrat hat sich im September für den Verkauf entschieden und bleibt dabei.” Das haben ihm die deutschen Politiker, sei es Bundeskanzlerin Angela Merkel, seien es die Ministerpräsidenten der Länder mit Opel-Standorten, auch immer gern geglaubt. Denn die schöne neue Opel-Welt des Klaus Franz war die Welt, die sie über die Stromschnelle der Bundestagswahl gerettet hat. Selbst der neue Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) hätte das Opel-Problem wohl nur zu gerne durch die Bereitstellung von insgesamt 4,5 Milliarden Euro zu Lasten des Steuerzahlers und den Zuschlag für den österreichisch-kanadischen Autozulieferer Magna vom Tisch gehabt.
Die Rechnung ohne “Big Ed”
Doch sie alle haben ihre Rechnung ohne „Big Ed” gemacht. So nennen sie den großgewachsenen Edward Whitarcre, den ehemaligen Chef des Telekommunikationskonzerns AT&T und neuen Verwaltungsratsvorsitzenden der „neuen” GM in seiner Heimat. Der Rancher und Schlangentöter Whitacre aus Texas ist nämlich nicht bereit, GM auch nur noch einen weiteren Millimeter seiner Position auf dem Weltmarkt preisgeben zu lassen. Er weiß, dass der Konzern die modernen Technologien von Opel zum Überleben braucht. Der 68 Jahre alte Südstaatler hat nach dem schnellen Ende der Insolvenz von GM auf Angriff umgeschaltet. Die Befindlichkeiten anderer, zumal der deutschen Politiker, sind im weitgehend gleichgültig. Es geht schließlich um das beinahe höchste Gut der Amerikaner: das Geschäft. Und es geht um die Zukunft einer amerikanischen Industrie-Ikone: General Motors.
Oha: Opel ist amerikanisch
Jetzt reift plötzlich bei allen die Erkenntnis, dass Opel trotz der Verpfändung eines Anteils von 65 Prozent am Unternehmen an die deutsche Opel-Treuhand eben noch lange kein deutscher Autohersteller war. Opel war noch immer im Kern amerikanisch. Mit der Rückzahlung des derzeit an Opel ausgereichten Staatskredits würde GM wieder den vollständigen Zugriff auf Opel erlangen. Fred Irwin, dem Chef der Opel-Treuhand war das immer klar. Und vielleicht hätten die Politiker stärker auf die moderierenden Töne von Irwin achten sollen als auf die polternden von Klaus Franz, dann stünden sie heute nicht so im Regen. Die deutsche Politik habe sich viel zu früh auf einen Investor festgelegt, hatte Irwin schon vor ein paar Wochen gesagt und darüber geklagt, dass die Telefonate deutscher Politiker mit ihren amerikanischen Amtskollegen wenig hilfreich gewesen seien. Die deutsche Politik möge sich doch, bitte, viel stärker aus allem heraushalten. Das waren kluge Worte, wenn man weiß, dass gerade diese Einmischung dem erhofften Verkauf an Magna den Garaus gemacht hat. Denn es war die Europäische Kommission, die GM so die Möglichkeit zum eigenen Handeln geebnet hat. Sollte GM doch bestätigen, die Politik habe sich nicht eingemischt.
Fred Irwin Foto: F.A.Z.
Das aber war, auch nach den sehr kritischen Aussagen von Treuhand-Mitgliedern wie Dirk Pfeil (FDP) und Manfred Wennemer, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden von Continental, schlechterdings unmöglich. Wenn man nämlich deutsches Insolvenzrecht anwende, so Wennemer ebenfalls schon vor ein paar Wochen, dann habe der Vorstand von Opel im Jahre 2010/11, wenn er die Geschäftsziele erreicht, nur eine Möglichkeit, nämlich zum Insolvenzrichter zu gehen. Was also zähle? „Das gesamte Risiko liegt auf den Schultern der Steuerzahler. Wir bauen damit keine zukunftsfähige Firma.” Aber: Wer zahle, bestimme eben. Gut, von einem harten Hund wie Wennemer hatte man so etwas erwartet, für Irwin hingegen sind seine deutlichen Einlassungen in aller Öffentlichkeit eher ungewöhnlich, hat er doch einen höchst ausgleichenden Charakter. Irwin ist die personifizierte Atlantik-Brücke, ein deutscher Amerikaner, akribisch in der Erfüllung seiner Pflichten, die er aber mit Freude und stets gewinnendem amerikanischen Charme erledigt. Die Tatsache, dass ihm nicht mehr Gehör geschenkt wurde, auch dann, wenn er darauf hinwies, Opel sei noch immer ein Unternehmen, das zu GM gehöre, spricht Bände über das politische Klima, in dem über Opel entschieden wurde: Hier waren zu viele Köche am Werk, es wurden zu viele Ziele gleichzeitig verfolgt. Der Überblick ist darüber verlorengegangen. Irwin musste sich von den Magna-Lobbyisten sogar als Steigbügelhalter von GM beschimpfen lassen. Dabei war er lediglich einer der wenigen, die die ganze Zeit über realistisch geblieben sind.
Irwin ist die personifizierte Atlantik-Brücke
Auch für die weitere Diskussion mit den Amerikanern könnte Irwin in den kommenden Tagen und Wochen hilfreich sein, wenn man denn jetzt begönne, auf ihn zu hören. Denn es gibt auch nur wenige Persönlichkeiten, die so viel für den Aufbau und den Erhalt der Brücken zwischen Deutschland und Amerika tun wie Irwin. Irwin ist zwar Amerikaner, 1942 in New York geboren, er ist aber in Deutschland fest verwurzelt. Hier lebt er seit mehr als vierzig Jahren, wie er mit Stolz zu berichten weiß. Die vierzig Jahre haben nichts an seinem amerikanischen Akzent geändert, aber Deutsch spricht er selbstverständlich fließend – und mehr als das: Irwin kann die deutsche Politik und die Interessen der jeweiligen Akteure so gut „lesen”, wie es nur wenige Deutsche vermögen. Irwin ist vielseitig interessiert, was in seinem Lebenslauf begründet ist. Er hat in Deutschland in der amerikanischen Armee gedient, eine Sprachschule geführt, Kreditrisiken bewertet – und ist seit 1984 in verschiedenen leitenden (oder beratenden) Positionen der Deutschen Citigroup-Tochtergesellschaften tätig. Zur Beschreibung seines heutigen Lebensinhaltes ist aber seine Rolle als Präsident der American Chamber of Commerce in Germany am wichtigsten. Und stets nimmt man Irwin ab, dass er seine Netzwerke ausschließlich aus Gemein- und nicht aus Eigennutz pflegt. Gleichgültig, wie es mit Opel weitergeht, Irwins Ruf ist so gut, dass er unter dem Gang der Dinge kaum leiden wird.
Verlierer Fritz Henderson und Carl-Peter Forster
Auf andere der ebenfalls am Geschehen beteiligten Akteure trifft das nicht zu, zum Beispiel auf Fritz Henderson, den Vorstandsvorsitzenden von GM, und seinen Europa-Statthalter, den früheren BMW-Manager Carl-Peter Forster. Henderson steht nun schon zum wiederholten Mal in keinem allzu guten Licht da, weil eine von ihm mit eingefädelte Transaktion geplatzt ist. Vor einigen Wochen ist der geplante Verkauf der amerikanischen Marke Saturn gescheitert, nun gibt es auch bei Opel eine Kehrtwende. Der 50 Jahre alte Henderson ist erst im März dieses Jahres in einer abrupten Aktion zum Vorstandsvorsitzenden von GM aufgerückt. Damals musste sein Vorgänger Rick Wagoner auf Druck der amerikanischen Regierung zurücktreten, und Henderson, der vorher als Chief Operating Officer bereits der zweite Mann im Unternehmen war, rückte auf. Zu diesem Zeitpunkt war der Weg von GM in ein Insolvenzverfahren bereits vorgezeichnet, und Henderson kam gewissermaßen die Rolle des Abwicklers zu. Unter seiner Führung durchlief GM die Insolvenz innerhalb von sechs Wochen und hat im Juli einen Neuanfang als deutlich verschlanktes Unternehmen begonnen. Sein Aktionsradius ist freilich auch seitdem eingeschränkt: Henderson steht unter dem wachsamen Auge der amerikanischen Regierung, die einen Mehrheitsanteil an GM hält. Und er sieht sich seinem strengen Verwaltungsratschef Whitacre gegenüber, der Konfrontationen nicht aus dem Weg geht.
Zwischen den Fronten
Carl-Peter Forster wiederum hat sich, genauso wie sein Betriebsratschef Franz, immer sehr weit für Magna aus dem Fenster gelehnt. Noch bevor der Verwaltungsrat von GM eine offizielle Entscheidung gefällt hatte, plädierte Forster für eine Übernahme von Opel durch Magna. Zusammen mit Magnas Co-Chef Siegfried Wolf war Forster Anfang Juni vor die Belegschaft im Werk Rüsselsheim getreten. Das war von den Mitarbeitern als klares Signal verstanden worden, dass Magna Forster halten will. Doch selbst das stand am Ende nicht mehr fest, selbst bei einem Zuschlag für Magna, so hatte es zuletzt geheißen, wäre für Forster an der Spitze kein Platz mehr. Forster hatte zwar stets gesagt, man solle sich um ihn und seine berufliche Zukunft keine Sorgen machen. Aber so recht dürfte ihm die Entwicklung des späten Dienstagabends nun wirklich nicht sein. Forster ist zwischen die Fronten geraten. Und das ist eine denkbar unangenehme Position in diesen Tagen.
Unter Mitarbeit von Roland Lindner, New York.
Wow mal eine sehr ehrliche...
Wow mal eine sehr ehrliche Analyse. Was mich am meisten wundert, ist die Tatsache, dass die FDP jetzt auch aufheult. Sollte sie als Hüterin der Marktwirtschaft nicht sich bemühen so aufklärerisch zu sein, wie dieser Artikel. Und jeder der jetzt los poltert sollte sich fragen, ob er von Außenstehenden gezwungen werden will, sein Auto zu verkaufen und zwar doch bitte schön an den Nachbarn XY, dern er vielleicht nicht mag und der ihm evtl sogar die eigene Frau noch ausspannen möchte. Na wer wollte so etwas schon haben. Wenn GM den Staatskredit zurückzahlt, dann darf es als Eigentümer machen was es will. Und eine Insolvenz, das von Guttenberg damals ja recht deutlich gesagt, ist nicht das Ende von allem. Also auch 20 Jahre nach Mauerfall haben wir hier nun mal eine Markt- und keine Planwirtschaft. Das die Politik versuchen muss, Rahmenbedingungen zu schaffen, wo jeder sein Einkommen findet, steht auf der Rückseite dieser Medaille, die sich soziale Marktwirtschaft nennt.