“Deutschlands Medien stecken tief in der Krise. Redaktionen schrumpfen weiter, die Zeit für gründliche Recherche sinkt beständig. Gerät das Verhältnis von Journalismus und PR immer mehr aus der Balance?” – Diese Frage stellte mir das Magazin “Pressesprecher” für seine aktuelle Ausgabe. Die Antwort mag überraschen: Nein, hier gerät nichts aus der Balance. Die Qualität des Journalismus sinkt nicht.
Denn: In dieser Frage stecken gleich mehrere Feststellungen, die in ihrer Verallgemeinerung nicht zutreffend sind, auch wenn inzwischen jeder in unserer Branche glaubt, es handle sich dabei um Tatsachen. Einerseits ist es ja wahr: Auch Deutschlands Medien haben wegen sinkender Werbeeinnahmen derzeit wirtschaftliche Schwierigkeiten. Meist sind die Anzeigenumsätze 2009 im Vergleich zum Vorjahr um einen zweistelligen Prozentsatz zurückgefallen. Gehälter werden deshalb nicht erhöht; Arbeitsplätze in Redaktionen und Verlagsabteilungen werden abgebaut. Aber: Das Bild ist in Deutschland in der Regel noch sehr viel freundlicher, als zum Beispiel in den amerikanischen Verlags- und Medienhäusern. Anders als dort haben es die deutschen Zeitungen in den vergangenen Jahren in der Regel vermocht, Preissteigerungen für ihre Ausgaben durchzusetzen – und dafür zu sorgen, dass sich die Einnahmen zu einem sehr viel größeren Teil als jenseits des Atlantiks von der Anzeigenkonjunktur emanzipieren. Das klingt wie ein Tropfen auf den heißen Stein, sollte aber weder in seiner betriebswirtschaftlichen, noch in seiner psychologischen Bedeutung unterschätzt werden.
Deutsche Zeitungen kosten mehr als amerikanische – zum Glück
Denn Qualitätsjournalismus gibt es nicht kostenlos. Der deutsche Zeitungsleser weiß das und ist bereit, für eine einzelne Alltagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung knapp 2 Euro zu bezahlen. Auf den Internetleser trifft eine vergleichbare Feststellung leider nicht zu. Auch das ist eine bleibende Herausforderung, die aber ebenfalls nicht unbedingt dazu führen muss, dass es in den Redaktionen der Qualitätsblätter auch künftig immer weniger Mitarbeiter gibt, wohl aber mehr Kollegen, die zugleich für die Print- und die Onlineausgabe tätig sind und sich in beiden Medienwelten auskennen. Zudem gilt: Die Redaktionen – mindestens die einiger überregionaler Blätter – sind seit dem Ende der letzten Zeitungskrise in den Jahren zwischen 2001 und 2003 ohnehin recht schlank. In den Zentralen gibt es nicht mehr viel Raum für weitere Kürzungen. Man hat sich an den Mangel also gewöhnt, an mancher Stelle hat das sogar Raum für zusätzliche Kreativität geschaffen.
Die Unternehmensredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung jedenfalls ist in den vergangenen zwölf Monaten trotz des bekannten Einstellungsstopps nicht weiter geschrumpft und über die vielen Korrespondenten noch immer konkurrenzlos breit in der Fläche vertreten. Das gilt in den deutschen Landeshauptstädten ebenso wie in den Metropolen des Auslands. Die Zeit, die den Kollegen zur Recherche zur Verfügung steht, ist deshalb nicht gesunken. Im Gegenteil wird häufig im Team am selben Thema gearbeitet, entstehen heute Schwerpunkte in einer Breite und Aktualität, die noch vor Jahren nicht vorstellbar gewesen wäre.
Auch die Kommunikationsabteilungen haben weniger Geld
Gleichwohl wirkt es bei oberflächlicher Betrachtung der gesamten Lage der Branche so, dass die Redaktionen immer kleiner werden, die Macht der PR-Abteilungen deshalb also zwangsläufig steigt. Aber: Auch die Kollegen aus der PR diverser Unternehmen klagen seit einiger Zeit über sinkende Budgets und schrumpfende Mitarbeiterzahlen. Möglicherweise ändert sich also auch am zahlenmäßigen Kräfteverhältnis zwischen Journalismus und PR derzeit gar nichts, auch wenn wir Journalisten immer gerne über die Sparmaßnahmen beim jeweiligen Wettbewerber berichten – und uns angesichts der strukturellen Bedrohung durch das Internet einreden, die Welt gehe unter. Tatsächlich hat die Krise aber doch gezeigt, dass Qualitätszeitungen an Relevanz gewinnen, wenn wirtschaftlich interessierte Menschen wissen wollen, was an den Finanzmärkten der Welt oder in der Unternehmenswelt wirklich los ist.
Vor diesem Hintergrund kann man die Eingangsfrage mit einer These kontern, die nur auf den ersten Blick überraschend ist: Tatsächlich wird es für PR-Abteilungen in der Krise in vielen Fällen sogar schwieriger ihre Botschaften mehr oder weniger ungefiltert in die Presse zu bringen. Auch der Leser hat in dieser Hinsicht eine neue Sensibilität entwickelt. Eine abgeschriebene Pressemitteilung lässt sich über einen Internet-Vergleich schnell als ebensolche entlarven. Somit verschiebt sich das Gewicht, also die Deutungshoheit über die Nachrichtenlage, gerade jetzt wieder stärker auf die Seite der Journalisten.
Von wegen nur gute Nachrichten
Nicht zuletzt sind die Nachrichten aus den Unternehmen in einer Krise ja auch selten erfreulich. Hinzu kommt, dass sich diese Nachrichten weniger Platz in den Zeitungen teilen (und erkämpfen) müssen, deren Umfänge wegen der fehlenden Anzeigen in der Regel geschrumpft sind. Und mehr als das: wenn Redakteure um die Zukunft ihrer Titel kämpfen, sind sie möglicherweise noch weniger als früher dazu bereit, sich ein X für ein U vormachen zu lassen. Die Qualität steigt. Das Verhältnis zwischen Journalismus und PR gerät nicht aus der Balance.