Wer zur „Alten Liebe” in Cuxhaven fährt, sieht sie. Die Containerschiffe sind wieder da, zu manchen Tageszeiten wie an einer Perlenschnur bis zum Horizont aufgereiht, ordnen sie sich ein, um die Elbe herauf bis nach Hamburg oder zum Nord-Ostsee-Kanal zu fahren. In großen Buchstaben stehen die Namen der Reedereien am Schiff: Moeller Maersk, Hapag-Lloyd, Cosco und noch viele andere. Es sind mehr Schiffe als im vergangenen Jahr, und sie sind schwerer beladen. Eine Autofahrt von einer Stunde entfernt, in Bremerhaven, bietet sich ebenfalls ein hoffnungsvolles Bild: Schiffe schlucken dort Tausende Autos für den Export oder entladen ihre Fracht aus Asien.
Der Augenschein ist damit noch spannender als der auch schon recht aufregende Blick in die jüngsten Quartalszahlen der deutschen Unternehmen, von denen gerade in dieser Woche viele zu analysieren waren, doch das Ergebnis ist dasselbe. Die Krise ist überwunden, die Geschäfte laufen wieder. Hierzu zwei Beispiele aus dem Binnenland: Dank des stark gestiegenen Autoverkaufs in China und den Vereinigten Staaten hat Volkswagen, der größte deutsche Autokonzern, seinen Betriebsgewinn im zweiten Quartal auf knapp 2 Milliarden Euro gesteigert; Analysten waren lediglich von der Hälfte ausgegangen. Auch Siemens hat die Wirtschaftskrise hinter sich gelassen. Die starke Nachfrage hat zu einem Rekordauftragsbestand geführt. Siemens bekam ebenfalls den Aufschwung in den traditionellen Industrieländern und China zu spüren.
Im Aufschwung zu pessimistisch
Das ist eine Parallele nicht nur zu Volkswagen, sondern auch zu vielen anderen großen und kleinen deutschen Unternehmen, die im Export tätig sind und mit ihren Waren die Containerterminals der Häfen wieder füllen. Die Konjunktur hat sich zuletzt deutlich besser entwickelt, als die meisten Volkswirte es noch zu Beginn des Jahres erwartet haben – jetzt werden von diversen Forschungsinstituten bis hin zum Internationalen Währungsfonds IWF die Wachstumsprognosen angehoben. In der laufenden Berichtssaison der Unternehmen liegt die Anzahl der positiven Überraschungen mit 75 Prozent deutlich über dem langjährigen Durchschnittswert von 61 Prozent. Einmal mehr zeigt sich: Im konjunkturellen Aufschwung sind die Ergebniserwartungen zu pessimistisch, im Abschwung zu optimistisch.
Wer einzelne Branchen differenziert, erkennt, dass die Gewinnerwartungen vor allem von den Industriebetrieben deutlich übertroffen werden konnten. Ähnlich gut sieht es in der Computer- und Softwareindustrie aus. Das Schlusslicht bilden Energie- und Telekommunikationsunternehmen, aber auch denen geht es nicht schlecht. Mindestens fünf Unternehmen, die mit ihren Papieren im Deutschen Aktienindex Dax vertreten sind, werden 2010 neue Rekordgewinne auf Basis des Gewinns je Aktie vorweisen. Auftragseingänge, Exporte und Produktionskennziffern liegen nicht mehr weit von den Rekordwerten entfernt, die in der ersten Jahreshälfte 2008 erreicht worden waren.
Mehr Nachfrage auch im eigenen Land
Interessant ist, dass die Vorstandsvorsitzenden angesichts dieser Zahlen und Prognosen in der Regel darum bemüht sind, die Bäume nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Die Krise sei noch nicht vollständig verdaut, sagt Jürgen Hambrecht, der Vorstandschef des Chemie-Weltmarktführers BASF. Das sieht nicht nur er so. Die Rezession sei zwar überstanden und ein Rückfall unwahrscheinlich, aber die Sorgenliste sei noch lang, ist nicht selten zu hören. Die pessimistischen Betrachter schließen einen „Double Dip” genannten, zweiten konjunkturellen Rückschlag nicht aus. Was spricht dafür? Die fragile Konjunktur in den Vereinigten Staaten, der größten Volkswirtschaft der Welt, der Sparkurs der Länder der Europäischen Union, das Auslaufen staatlicher Konjunkturhilfen auf verschiedenen Kontinenten, Deflationsängste, starke Wechselkursschwankungen und die Frage, wie es in China weitergeht, der großen Konjunkturlokomotive für die deutsche Industrie.
In Amerika jedenfalls ist die Arbeitslosigkeit noch immer recht hoch, am Immobilienmarkt ist keine Entspannung in Sicht, die dortige Industrie fällt im internationalen Wettbewerb zurück. Ben Bernanke, der Präsident der Notenbank Fed, bezeichnete die Aussichten für seine Volkswirtschaft vor ein paar Tagen als außergewöhnlich unsicher. Wenn es aber China gelingt, stetig weiter zu wachsen, ohne dabei die Wirtschaft zu überhitzen, spricht trotz dieser Sorgen wenig dafür, dass es in Deutschland schon bald wieder bergab geht.
Denn die Unternehmen werden zunächst damit fortfahren, Kurzarbeit in normale Stellen umzuwandeln und zusätzlich einzustellen. Das wird den Optimismus der Verbraucher stärken und wieder für mehr Nachfrage auch im eigenen Land sorgen. Die Regierungen werden genau darauf achten, nicht zu sehr auf die Sparbremse zu treten, vor allem die in Washington. Der Einfluss der staatlichen Budgets auf die Wirtschaft ist ohnehin nicht groß genug, um einen Aufschwung stoppen zu können, der sich langsam wieder selbst trägt. So kann man zumindest beruhigt in die Sommerferien fahren und den Containerschiffen zuschauen. Hinter dem Horizont geht es weiter.