Die internationalen Rechnungslegungsstandards für kleinere und mittlere Unternehmen ziehen in Deutschland immer mehr Kritik auf sich. Wenige Tage, nachdem schon der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) die Vorschriften bemängelt hatte, legten die Stiftung Familienunternehmen und ihr Vorstand Brun-Hagen Hennerkes nach: „Die Entwicklung des deutschen Bilanzrechts sowie der zunehmende Einfluss angloamerikanischer Bilanzierungsmethoden gefährdet die traditionelle Werterhaltung des deutschen Familienunternehmens. Dabei geht es keinesfalls nur um technische Feinheiten. Es geht vielmehr um die Kernsubstanz der Werte, die das deutsche Familienunternehmen stark gemacht und zum Vorbild kaufmännischer Solidität hat werden lassen“, sagt Hennerkes zu den Ergebnissen eines Gutachtens zu den internationalen Bilanzierungsrichtlinien, den sogenannten IFRS für SME.
Das Gutachten war von der Stiftung und der Vereinigung zur Mitwirkung an der Entwicklung des Bilanzrechts für Familiengesellschaften (VMBEF) in Auftrag gegeben worden. Entwickelt wurden die internationalen Rechnungslegungsstandards, kurz IFRS, ursprünglich mit Blick auf kapitalmarktorientierte Unternehmen, um auf weltumspannenden Kapitalmärkten eine internationale Vergleichbarkeit herzustellen. Konzeptionell und inhaltlich verantwortlich ist ein privates Gremium in London, das International Accounting Standards Board (IASB). Die von ihm entwickelten IFRS-Regeln werden in rund 120 Ländern angewendet. Dieses Gremium hat eine abgespeckte Version der IFRS-Regeln für nichtkapitalmarktorientierte Unternehmen entwickelt, eben die nun umstrittenen IFRS für SME.
„Ein Blick auf die personelle Zusammensetzung des Organs und seiner Finanzierungsquellen bestätigt die Zweifel, dass hier Familienunternehmen und ihre besonderen Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden“, sagt Hennerkes. So stamme kein Board-Mitglied des IFRS aus dem Umfeld der Familienunternehmen. Der berufliche Hintergrund der Mitglieder konzentriert sich stattdessen auf große, börsennotierte Konzerne, große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie nationale Börsen, Börsenaufsichts- und Rechnungslegungsinstitutionen.
Das HGB ist noch immer beliebt
Derzeit bilanzieren deutsche Unternehmen, die nicht an der Börse notiert sind, nach wie vor in der ganz überwiegenden Zahl nach dem Handelsgesetzbuch (HGB), das im vergangenen Jahr ohnehin durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) in Richtung IFRS modifiziert und ergänzt worden ist. Würde die Rechnungslegung nach IFRS-SME Gesetz, so sei mit weiteren Komplexitätssteigerungen zu rechnen, befürchtet Hennerkes. Erhebliche Mehrkosten seien die Folge – und das Gegenteil dessen, was sich Familienunternehmen wünschten, nämlich eine einfache und wirtschaftliche Rechnungslegung. Familienunternehmen brauchten nicht mehr, sondern weniger Regelungen.
Allein der Umfang spreche für sich: IFRS-SME erstreckt sich über insgesamt 230 Seiten, nicht eingerechnet die vorgeschaltete Begründung und Erörterung (nochmals 52 Seiten mit 200 Paragraphen) und eine Prüfliste zur Darstellung und Offenlegung. „Primär verantwortlich für die Komplexitätssteigerung sind die zwingenden Vorgaben zur Fair-Value-Bewertung auf dem Gebiet der Finanzinstrumente, die Teilgewinnrealisierung im Zuge der Langfristfertigung und die umfangreichen Angabepflichten. Alles sind Ansätze, die den Familienunternehmen fremd sind“, so die beiden Leiter der Studie, die Bayreuther Professoren Rolf Uwe Fülbier, Lehrstuhlinhaber für Internationale Rechnungslegung, und Kay Windthorst, Professor für Öffentliches Recht.
Die IFRS-SME stehen nach Ansicht der Professoren konzeptionell in der Tradition der IFRS-Regeln für Großunternehmen. Das zeige sich an der auf Kapitalmarkteffizienz zielenden Bewertungsfunktion, die am Informationsbedürfnis und an der Zielgruppe von nichtbörsennotierten Familienunternehmen völlig vorbeigehe. Denn Familienunternehmen vereinten oft schon personell die Eigentümer- und Managerfunktion und seien daher eher an einer rechenschaftsorientierten Rechnungslegung interessiert. Sie nutzten ihre Bilanz vorrangig für die Gewinnverwendung, Steuerbemessung, Managerentlohnung und Fremdkapitalfinanzierung. Ihre Zielgruppe sei nicht der anonyme Aktionär, sondern Gesellschafter, Banken, Fiskus und Mitarbeiter. Eine standardisierte Rechnungslegung mit Blick auf internationale Vergleichbarkeit laufe hier auch deshalb ins Leere, weil Familienunternehmen abseits globalisierter Kapitalmärkte ihr Geschäftsgebaren und daraus folgend ihre Bilanzen stark auf den in ihrer Familie geltenden Wertekodex ausrichteten.
„Die Figur des ehrbaren Kaufmannes – nach wie vor die wichtigste Stütze des Familienunternehmertums – beruht auf den Grundsätzen des Gläubigerschutzes, der Bescheidenheit beim Erfolgsausweis und auf einer Stärkung der Kapitalkraft durch zurückhaltende Bilanzierung im Bereich der Aktiva und einem risikoorientierten Ansatz der Passiva“, sagt Hennerkes. Demgegenüber besitze die angloamerikanische Tendenz zu internationaler Vergleichbarkeit und zu einer allumfassenden Information des anonymen Kapitalmarkts in Deutschland zu Recht einen sehr viel geringeren Stellenwert. Dass dies keine Schwäche, sondern Stärke bedeute, habe die Finanzkrise schlagkräftig unter Beweis gestellt.
Einführung rechtlich problematisch
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die IFRS-SME sowohl unter bilanzpraktischen und rechtlichen Aspekten problematisch seien. Die verbindliche Einführung in Deutschland sei deshalb nicht nur unzulässig, sondern auch unnötig. Insgesamt mahnen die Stiftung Familienunternehmen und die VMBEF die deutsche Politik, an ihrem im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhaben festzuhalten, die internationalen Rechnungslegungsvorschriften mittelstandsfreundlich zu überarbeiten. Dazu gehöre auch, dass Familienunternehmen auch künftig die freie Wahlmöglichkeit erhalten bleibe, nach welchen Bilanzierungsvorschriften sie abschließen.
Auch der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband hatte beklagt, dass bei einer Einführung des Standards die Unternehmen ihre Rechnungslegung anpassen und zusätzliche Jahresabschlüsse, etwa für die Steuerbemessung, erstellen müssten. Dies führe zu einem zusätzlichen bürokratischen Aufwand ohne konkreten Nutzen. Vielmehr sollten die EU-Richtlinien zur Rechnungslegung maßvoll weiterentwickelt werden