Otmar Wiestler, der Chef des Deutschen Krebsforschungszentrums glaubt, dass es sich jetzt lohnt, in die Krebsforschung zu investieren – und meint damit sowohl Pharmaunternehmen als auch die Gesellschaft.
Herr Wiestler, das Deutsche Krebsforschungsinstitut in Heidelberg gilt als eines der führenden Forschungszentren der Welt für diese Krankheit. Was unterscheidet Ihr Institut von den großen Pharmakonzernen, die jährlich Milliarden in die Forschung investieren?
Wir konzentrieren uns stärker auf die Grundlagenforschung. Das heißt, dass wir verstehen lernen, wie Krankheit entsteht. Aus dieser Phase der Forschung hat sich die Arzneimittelindustrie fast komplett zurückgezogen.
Und haben Sie schon vollständig verstanden, wie Krebs entsteht und wie er bekämpft werden kann?
Wir sind erheblich vorangekommen, wenn ich einige Jahrzehnte zurückblicke. Die Hälfte aller Krebserkrankungen kann heute geheilt werden, gegenüber 20 bis 25 Prozent vor 20 Jahren.
Und dennoch gibt es viel Kritik an der Pharmaindustrie, die keine Patentrezepte für die Krebsbehandlung entwickelt hat, sondern äußerst teure Medikamente auf den Markt bringt, die dann das Leben nur um wenige Monate verlängern.
Wir müssen uns von dem Gedanken lösen, dass es gegen Krebs ein einziges Mittel geben wird wie etwa Penicillin zur Bekämpfung von Bakterien. Krebs hat viele Ursachen, Erscheinungsformen und Krankheitsverläufe.
Kann man denn da wirklich schon von entscheidenden Fortschritten in der Krebsforschung sprechen?
Ja, wir können heute in vielen Fällen davon sprechen, dass Krebs zu einer chronischen Krankheit geworden ist, die ihren unmittelbaren Todesschrecken verloren hat. Das gilt vor allem für Patienten, deren Krankheit relativ schnell entdeckt wird. Und das ist ein großer Unterschied etwa zu Alzheimer: Gegen diese Krankheit ist noch kein Heilmittel entdeckt worden. Andererseits gibt es auch bei Krebs noch viel zu entdecken. Wenn Sie zum Beispiel fünf Frauen mit demselben Brustkrebs im selben Stadium untersuchen, werden Sie feststellen, dass bei jeder dieser Frauen die Krankheit unterschiedlich verläuft, ohne dass wir genau wissen, warum. Möglicherweise sind sie jeweils Kandidaten für unterschiedliche Medikamente oder Arzneimittelkombinationen.
Wo sind die Anknüpfungspunkte Ihrer Forschung mit der Pharmaindustrie?
Da verfolgen wir mehrere Ansätze. Erstens gründen wir Teile der Forschung aus, wenn Patente dies erlauben und das Projekt schon in die Nähe der Anwendung gerückt ist.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Ein Beispiel ist das Biotechnologieunternehmen Apogenix, das vom Investor und SAP-Mitgründer Dietmar Hopp unterstützt wird. Apogenix überprüft ein Medikament, das Krebszellen tötet, in der klinischen Phase II an Patienten. Es könnte damit also in einigen Jahren auf den Markt kommen.
Und die weiteren Ansätze?
2008 haben wir mit einer Stiftung ebenfalls von Hopp ein Gemeinschaftsunternehmen namens Hi-Stem gegründet, das sich mit der anwendungsorientierten klinischen Erforschung von Tumor- und Metastasenstammzellen befasst. Und drittens haben wir stabilere Verbindungen zu den Großunternehmen Siemens und Bayer geschaffen, um die Zusammenarbeit in ein früheres Stadium der Forschung und Entwicklung zu verlagern.
Worum geht es da?
Siemens und wir investieren jeweils etwa 25 Millionen Euro im Jahr, um medizinische Geräte zur Krebsbekämpfung zu verbessern. In dieser Allianz geht es zum Beispiel um bildgesteuerte Bestrahlung mit der Technik der Kernspintomographie, die verhindert, dass benachbartes gesundes Gewebe geschädigt wird.
Und was machen Sie mit Bayer?
Mit Bayer Schering Pharma haben wir vor zwei Jahren begonnen, neue Medikamente zu finden, die einzelnen Menschen gezielt Heilung bringen können. Zunächst gab es aus den Forschungsabteilungen des Krebsforschungszentrums 45 Vorschläge für solche Projekte, also erstaunlich viele. Davon werden jetzt neun vorangetrieben, wobei beide Partner jeweils etwa 3 Millionen Euro im Jahr dafür ausgeben. In drei Jahren werden wir dann eine erste große Bilanz ziehen. Letztlich geht es darum, Medikamente in die klinische Prüfung zu bringen.
Ist das eine exklusive Veranstaltung von Ihnen und Bayer Schering Pharma?
Nein. Wir arbeiten an den Projekten in einzelnen, genau definierten Schritten, also von Meilenstein zu Meilenstein. Dabei wird Bayer Schering Pharma allerdings jeweils als erstem Unternehmen angeboten, den Weg zum nächsten Meilenstein mitzugehen. Im Prinzip sind wir aber für eine Zusammenarbeit mit deutschen wie ausländischen Partnern bereit.
Sind auf diesem Gebiet parallel weitere Partnerschaften denkbar?
Durchaus. Das gilt vor allem für die Immuntherapie, also die Steigerung der Abwehrkräfte des Körpers gegen Krebsgewebe. Dieses Gebiet wird von der Pharmaindustrie bisher noch nicht schwerpunktmäßig abgedeckt. In der Forschung sind wir jetzt aber so weit, dass anwendungsorientierte Allianzen sinnvoll sind. Noch verhandeln wir nicht, doch das wird bald kommen.
Gibt es denn in Deutschland eine ausreichende Zahl von Wissenschaftlern, mit denen Sie diese ehrgeizigen Ziele erreichen können?
Der Forschungsstandort Deutschland ist in den vergangenen Jahren wieder attraktiv geworden. Das gilt auch für Heidelberg mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum. Dabei mag auch der Medizinnobelpreis für unseren Forscher Harald zur Hausen geholfen haben, den er für die Vorleistungen erhalten hat, die das erste Krebsimpfmittel – gegen Gebärmutterhalskrebs – ermöglicht haben.
Woran sehen Sie, dass die Forschung in Deutschland attraktiver geworden ist?
30 Prozent unserer Wissenschaftler kommen aus dem Ausland. So mancher deutsche Wissenschaftler ist nach Jahren im Ausland auch wieder zu uns zurückgekommen. Wichtig ist, dass wir den Forschern eine gute finanzielle Grundausstattung bieten können: Ein festes Paket mit 1 Million Euro ist ein gutes Argument etwa gegenüber Wissenschaftlern in den Vereinigten Staaten, die den Großteil ihrer Forschungsgelder selbst einwerben müssen. Dass nicht noch mehr Spitzenforscher zu uns kommen, liegt vor allem an unseren relativ geringen Gehältern.
Trägt auch die Politik zur Attraktivität bei?
Ausdrücklich ja. Dass die Forschungsausgaben antizyklisch in der Krise um 6 Prozent erhöht wurden, war ein sehr positives Signal – vor allem, wenn man bedenkt, dass etwa Großbritannien und Frankreich gleichzeitig den Forschungsetat verringert haben. Zudem gibt der Bund 200 Millionen Euro im Jahr, um die Forschung in vier neuen Zentren zu bündeln: für Infektionskrankheiten, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Lungenkrankheiten und für die Transnationale Krebsforschung. Auch das bringt uns voran, Deutschland als Forschungs- und Hochtechnologiestandort zu stärken.
Das Gespräch führten Carsten Knop und Michael Psotta.