In den Strategieabteilungen von Unternehmen wie Unilever, Procter & Gamble oder Henkel wird man sich seit ein paar Tagen mit einer spannenden Frage beschäftigen, die unerwartet aufgekommen ist. Denn bei dem in den vergangenen Jahren erfolgreichen britischen Wettbewerber Reckitt Benckiser steht zum 1. September ein Chefwechsel an: Der 54 Jahre alte Vorstandsvorsitzende Bart Becht räumt per Ende August seinen Stuhl. Was wird daraus folgen? Die Börse hat das geradezu geschockt: Als die Nachricht bekannt wurde, verlor das Unternehmen auf einen Schlag 2,3 Milliarden Euro seines Marktwertes.
Becht selbst darf das als Lob verstehen. Er hat den lange vor sich hin schlafenden Konsumkonzern zu einem Star an der Londoner Börse gemacht, war vor allem in Nischen des Marktes erfolgreich und sorgte dafür, das viele Innovationen zuerst von Reckitt Benckiser auf den Markt gebracht wurden. Auf dem Weg verstärkte er das ohnehin recht eindrucksvolle Markenimperium um Calgon, Clearasil, Durex-Kondome und Scholl-Pflaster weiter.
Die Chefetage geht
Durch den Abgang von Becht kommt auf den Konzern aber ein noch größerer Wandel zu, als man schon auf den ersten Blick annehmen könnte. Denn vor wenigen Monaten hatte auch der langjährige Finanzvorstand Colin Day seinen Posten aufgegeben. Becht und Day galten in den europäischen Führungsriegen als Traumkombination; sie genossen auch jenseits der Konsumgüterbranche hohes Ansehen. Die anhaltend positive Entwicklung des Konzerns hatte Becht in den vergangenen Jahren zudem zum bestbezahlten Vorstandschef der britischen Großkonzerne gemacht: Selbst im Krisenjahr 2009 flossen 92 Millionen Pfund auf sein privates Konto, das sind knapp 105 Millionen Euro.
Damit fiel er in der britischen Öffentlichkeit in die Kategorie der Raffgierigen, nicht aber in den Augen der Investoren. Sie wussten die Ergebnisse Bechts zu schätzen und zahlten gerne, um einen Anteil daran zu haben. Der Aktienwert des Konzerns hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als vervierfacht, während der Londoner Leitindex FTSE in derselben Zeitspanne mehr als 10 Prozent verloren hat. Erst seit diesem Jahr geht es für den Kurs abwärts, bislang um 15 Prozent: Hohe Rohstoffpreise, ein langsameres Wachstum des Marktes und die Konkurrenz eben durch den amerikanischen Procter-&-Gamble-Konzern oder den britisch-niederländischen Rivalen Unilever setzen Reckitt zu.
Nachfolger Rakesh Kapoor
Becht und Day hatten den Konzern seit dem Zusammenschluss von Reckitt & Colman‘s aus Großbritannien mit Benckiser aus den Niederlanden im Dezember 1999 geführt, auch deshalb ist das gemeinsame Ausscheiden von beiden für das Unternehmen ein historischer Einschnitt. Nun will er wohltätig sein und das Unternehmen von einem nichtoperativen Posten im Direktorium aus weiter begleiten. Bechts Nachfolger wird Marketing-Chef Rakesh Kapoor, der seit 25 Jahren im Konzern ist. Der 52 Jahre alte Kapoor führte die Gesundheitssparte in Nordeuropa, bevor er sich in den vergangenen fünf Jahren zum Werbefachmann des Hauses entwickelte. Kapoor steckte nicht zuletzt hinter den Zukäufen der vergangenen Jahre.
Den Aktionären zum Trost haben mehrere Banken, darunter zum Beispiel die amerikanische Investmentbank JP Morgan, die Aktienempfehlungen für Reckitt Benckiser unverändert beibehalten. Die Gewinnentwicklung sei intakt und die Bewertung der Papiere attraktiv.
Und doch eine Zumutung
Aber da ist noch etwas: Die Tatsache, dass die Börse den Vorgang mit einem Wertverlust für die Unternehmen von mehr als 2 Milliarden Euro quittiert hat, ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass der Verwaltungsrat des Konzerns seine Aufgabe falsch verstanden hat. Die Börsenreaktion sollte anderen Aufsichts- oder Verwaltungsräten eine Lehre sein. Wenn ein Vorstandsvorsitzender gegenüber seinen Aufsehern Amtsmüdigkeit signalisiert, gilt es, die Märkte auf die Folgen besser vorzubereiten, als es die Briten getan haben. Es mag ja sein, dass das Gremium regelmäßig Nachfolgefragen diskutiert hat und Rakesh Kapoor schon lange als Nachfolger feststand. Nur geahnt hat davon niemand etwas. Denn der aus dem Amt scheidende Becht hat noch vor nicht weniger als zwei Wochen gesagt, er sei nach wie vor aus vollem Herzen bei der Sache. Was offensichtlich nicht stimmte. Nachfolgekandidaten können zwar nicht präsentiert werden, wenn der bisherige Chef noch gar nicht gehen will. Aber selbst mit Blick auf längerfristige Nachfolgeplanungen zum Beispiel in der Deutschen Bank oder bei Apple zeigt sich, dass es manchmal besser ist, Aktionäre nicht zu lange im Ungewissen zu lassen. Ihnen gehört schließlich das Unternehmen.