In San Francisco hat man noch nie so richtig Verständnis für die Amerikaner aus den konservativeren Regionen des Landes gehabt, die einfach nicht verstehen wollen, dass der amerikanische Staat zu wenig Geld in Form von Steuern einnimmt und zu viel Geld vor allem für die Rüstung und die Armee ausgibt. Die einstigen Nachbarn, die diese Gedanken gerne und viel diskutieren, leben so gesehen in einer Gedankenwelt, die vor allem mit der Mitte Amerikas nur sehr wenig zu tun hat. Führt man solche Gespräche, hat man das Gefühl, zum Essen in einer europäischen Stadt beisammen zu sitzen, so „europäisch“ kommen die Ansichten liberaler Intellektueller in San Francisco daher. Was die alten Freunde mit dem Rest des Landes aber gemeinsam haben, sind die Konsequenzen, die sie tragen müssen, weil die Wirtschafts- und Bildungspolitik in den Vereinigten Staaten eben so ist wie sie ist. Ein gestandener Senior Vice President eines großen Versicherungsmaklers zum Beispiel spricht ganz offen von einer „furchterregenden“ ökonomischen Lage in seinem Land. Er selbst ist 67 Jahre alt, arbeitet aber weiter, was zum einen damit zu tun hat, dass er den Job, den er hat, gerne macht, andererseits aber wohl auch damit, dass sich der Kurs der Aktien seines eigentlich grundsoliden Arbeitgebers zwischen 2001 und 2005 halbiert hat – und seitdem allenfalls eine Seitwärtsbewegung geschafft hat.
Eine Frage auch der Altersvorsorge
Deutschen Arbeitnehmern würde das vermutlich gleichgültig sein. Amerikaner haben aber nicht selten große Teile ihrer Altersversorgung mit dem Wohl und Wehe ihrer Arbeitgeber an den Börsen verbunden und sind auch sonst gerne langfristig in Aktien investiert. Da kann eine nachhaltig negative Entwicklung eine Ruhestandsplanung schon einmal kräftig durcheinanderbringen und den Ausstieg aus dem aktiven Berufsleben erheblich verzögern. Denn auch die zweite große Säule der Altersversorgung der amerikanischen Mittelschicht hat sich nicht so entwickelt, wie erhofft. Seit Dezember 2007 sind die durchschnittlichen Häuserpreise um 24 Prozent gesunken. Unterdessen ist es für die Töchter und Söhne dieser Generation gar nicht so einfach, einen ordentlichen Einstieg in das Berufsleben zu finden. Schon die Ausbildung an der Schule wird nicht selten privat finanziert, das Studium an den Universitäten ist ohnehin nicht kostenlos zu bekommen. Die Qualität der Ausbildung selbst schwankt sehr stark und ist eigentlich nur an den weltbekannten Eliteuniversitäten richtig gut. Junge Menschen mit leidlich guten Abschlüssen wechseln gerne in den ersten Berufsjahren in kurzen Abständen mehrfach den Arbeitgeber – und landen dann vielleicht in einem Unternehmen, das in China hergestellte Elektronikprodukte in den Vereinigten Staaten vermarktet.
New York geht es besser als nach Lehman
Ein wenig hat man aber auch das Gefühl, dass die Stimmung im Westen und in der Mitte des Landes derzeit schlechter ist als an der Ostküste, besonders im Finanzzentrum des Landes, also in New York. Denn als vor drei Jahren die Investmentbank Lehman Brothers kollabierte, waren selbst die gemeinhin widerstandsfähigen New Yorker von Krisenstimmung gepackt. Damals verging keine Woche in der nicht konkrete Geschichten über Entlassungen im Freundes- und Bekanntenkreis kursierten. Trotz der jüngst wieder schwächer gewordenen Konjunkturdaten und den Wirtschaftsthemen auf den Titelseiten der Boulevardpresse, die von „Schuldenbombe“ und „Roter Tinte“ an den Börsen künden, ist von neuer Krisenangst derzeit aber nichts zu spüren. Der Unternehmensberater, der sich nach dem Personalabbau bei seinem früheren Arbeitgeber zwischenzeitlich mit einer Beteiligungsgesellschaft selbständig gemacht hatte, hat wieder einen gutbezahlten Job angenommen. Er steht vor einer Geschäftsreise nach Indien. Seine Frau hat mehr Angebote denn je als Fotomodell für Werbespots. Die beiden haben sich auch von ihrem 12 Jahre alten Wagen getrennt und sich ein neues Auto gekauft – einen Audi-Geländewagen. Der New Yorker Immobilienmarkt ist auch in Bewegung. Die Managerin einer Einzelhandelsfiliale hat sich nach längerer Suche endlich ein Stadthaus im Stadtteil Harlem gekauft, um es zu renovieren. Das zeugt von Zuversicht. Noch vor ein paar Jahren hätte diesen Schritt kaum jemand gewagt. Auch die Banken sind offenbar wieder bereit, Kredite für solche Vorhaben zu vergeben. Die Investmentbank Goldman Sachs hat schlagzeilenträchtige Entlassungen angekündigt. Eine Bekannte, die wegen einer Fusion ihre Stelle in der Personalabteilung bei einer gemeinnützigen Organisation verloren hatte, fand aber sofort wieder einen Job – bei der Bank of America. In Harlem, das nach einer wechselvollen Geschichte mittlerweile zu einer gefragten Gegend reüssiert ist, machen permanent neue Restaurants auf. Vor den besten stehen Leute am Wochenende Schlange. Der Blumenladen um die Ecke, dessen Besitzer früher hauptsächlich Unternehmen bedient haben, musste nach der Finanzkrise die Strategie ändern und sich mehr auf Privatkunden konzentrieren. Jetzt liegt der Laden an einer belebten Straße, wo sich Leute auf dem Weg von der Arbeit noch schnell einen Strauss mitnehmen können.
Das Land braucht auch seine Industrie
Die Kleinunternehmer haben die Krise überlebt. Aber das einst so optimistische Land braucht eben auch Erfolg mit seiner Großindustrie. Und schon vor einem Jahr hat der einstige Vorstandsvorsitzende des Prozessorherstellers Intel, Andy Grove, beklagt, dass Amerika sehr ineffizient geworden sei, wenn es darum gehe, in der Fertigung neue Stellen zu schaffen. Das gelte auch für die so erfolgreiche High-Tech-Industrie in der Nähe von San Francisco. Dass die selbstbewussten Chinesen derzeit die Einzelhandelsgeschäfte von Apple stürmen und dort von iPads und iPhones nicht genug bekommen können, ist dabei keine große Hilfe. Das zeigt lediglich, dass sich die Konsumfreude aus nicht selten leeren amerikanischen Einkaufszentren nach China verlagert hat – und dass die Chinesen auch in Geschäften eines amerikanischen Herstellers dort letztlich Produkte kaufen, die in China hergestellt worden sind. Die BMW-Modelle, die in China verkauft werden, kommen hingegen aus Deutschland, so wie der Audi für den Unternehmensberater in New York.
Unter Mitarbeit von Norbert Kuls, New York.
Jou, man schlägt sich so...
Jou, man schlägt sich so durch – die Frage ist, wann es wen wie schnell herunterhaut, denn das sind immer mehr. Kalifornien ist eine Art Berlin plus Schwabenland, und da haperts auch gewaltig. Man kann den Leuten (allen) nur viel Glück wünschen, denn wenn ihre Randbedingungen völlig zusammenfalten, ist es auch für die Firmen nichts mehr – und das wäre wirklich schade um was es in der Bay Area gibt.