Kurz vor dem Tag der Deutschen Einheit kann Angela Merkel aufatmen, und sie tat es im Bundestag für alle sichtbar: Die Bundeskanzlerin hat ihre Kanzlermehrheit bekommen, als die Abgeordneten für die Erweiterung des Euro-Rettungsfonds stimmten. So viele Abweichler hat es in der Regierungskoalition doch nicht gegeben. Da strahlte die Kanzlerin wie das zum Inflationsschutz bei vielen Menschen begehrte Gold.
Zur Einheit innehalten
Es ist denn auch gut, jetzt einmal innezuhalten und sich fernab der Wirren um den Euro und die Schulden in Europa einfach an das Glück zu erinnern, dass die Teilung Deutschlands überwunden werden konnte. Kinder, die in den Jahren seit dem Mauerfall geboren wurden, können sich nicht mehr vorstellen, dass es ein solches Bauwerk überhaupt gegeben hat. Sie sehen die Welt mit anderen Augen; für sie verschwimmen Grenzen. Pässe vorzeigen? So etwas ist für sie unbekannt.
So ist zu vermuten, dass eine Umfrage, die die Europäische Kommission in diesen Tagen veröffentlicht hat, anders ausgefallen wäre, hätte man allein die jüngere Generation befragt. Denn in ihrem Querschnitt hat die deutsche Bevölkerung sogar schon Zweifel daran, dass – jenseits aller Fragen zum Euro – allein die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der EU irgendwelche Vorteile für sie bietet. Eine Mehrheit der Befragten sieht den Binnenmarkt (sofern sie wussten, was das überhaupt ist) gar als Gefahr für die Lebens- und Arbeitsbedingungen, nicht zuletzt durch den Zuzug von schlecht bezahlten Arbeitnehmern. 65 Prozent waren der Meinung, er nütze nur Großunternehmen.
Jede Menge Unfug über Europa
Das ist zwar alles Unfug, aber er lässt sich noch steigern, waren doch 51 Prozent der Ansicht, der Binnenmarkt habe dem Verbraucherschutz geschadet. Das ist vollends grotesk, denn die Kommission überzieht die Industrie seit Jahren mit diversen Regeln gerade zum Verbraucherschutz. Wer mit dem Handy im Urlaub telefoniert, merkt an seiner späteren Rechnung schon sehr deutlich, ob er sich zum Beispiel in Österreich (EU-Mitglied) oder der Schweiz (kein EU-Mitglied) befindet.
So sollte man die Dinge ordentlich voneinander trennen, wenn es um Europa geht, sonst schwindelt einem schnell. Die Rumänen zum Beispiel können nichts dafür, dass einst die Bochumer ihr Nokia-Werk nach Rumänien verloren haben. Dass auch dieses Werk jetzt geschlossen wird, liegt wiederum nicht an den Deutschen, sondern an der mangelnden Nachfrage. Dass es daran fehlt, liegt nicht am fehlenden Geld, sondern am Auftreten neuer Wettbewerber und mangelnder Ideen des finnischen Unternehmens Nokia. Dass die Finnen zudem größte Schwierigkeiten mit der Rettung der Griechen haben, steht wieder auf einem anderen Blatt. Und dass viele Deutsche sich da mit den Finnen eigentlich recht gut verstehen, hat nichts daran geändert, dass der Bundestag für einen höheren Garantierahmen zur “Rettung” der europäischen Schuldensünder gestimmt hat. Siehe oben.
Die Ketchup-Inflation
Bliebe der Euro an sich, den wir ja nun gerade wieder retten. Auch der hat mit dem Binnenmarkt nichts zu tun – könnte uns aber ganz anders als dieser noch wirklich gefährlich werden, wenn nicht bald etwas geschieht, was Griechenland wieder eine Perspektive schafft; ein ordentlicher Schuldenschnitt zum Beispiel, der uns alle allerdings auch wieder Geld kostet. Wenn es nach dem Wirtschaftswissenschaftler Stefan Homburg geht, ist das Geld aber bald sowieso nichts mehr wert: Hoffnungsvoll in die Zukunft könne nur der blicken, der ohnehin nichts mehr habe, oder wer allen irdischen Eigentümern entsage. Denn vorher komme die Ketchup-Inflation. Die geht so: Erst kommt nichts – und dann ein ganzer Schwall.
Uff. Schon haben teure Energie und Kleidung die Inflation in Deutschland überraschend auf den höchsten Stand seit drei Jahren getrieben. Ist das der Anfang vom Ende? Daran will man einfach nicht glauben, und schon gar nicht zum Tag der Deutschen Einheit. Denn der erinnert auch an etwas, an das diejenigen von uns, die schon lange nicht mehr Kinder sind, einen großen Teil ihres Lebens keine Sekunde mehr geglaubt hatten.