Der neue Vorstandsvorsitzende des Stuttgarter Pharmagroßhändlers Celesio AG, Markus Pinger, rechnet für die kommenden fünf bis zehn Jahre mit einer deutlichen Deregulierung und Konsolidierung des Arzneimittelhandels in Europa. „Profitieren würden davon nach amerikanischem Vorbild die großen Drogerie- und Supermarktketten”, sagt Pinger im Gespräch mit dieser Zeitung. „Angesichts der Erfahrungen mit der Finanzkrise und dem wachsenden Druck auf die Sozialsysteme ist dies wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit.” Anbieter wie der asiatische Einzelhandelskonzern A.S. Watson, der an der Rossmann-Gruppe beteiligt ist, bereiteten sich schon auf diese Entwicklung vor. Der Druck auf die unabhängigen Apotheken, von denen es zurzeit allein in Deutschland gut 21000 gibt, würde dann deutlich zunehmen. „Deshalb bieten wir ihnen unsere Partnerschaft in einem europäischen Apothekennetzwerk an. Wir wollen dadurch die inhabergeführte Apotheke und ihren öffentlichen Versorgungsauftrag stärken.”
Netzwerkstatt eigener Apotheken
Ein solches Netzwerk, argumentiert Pinger, könne unter anderem die Einkaufsmacht der unabhängigen Apotheken gegenüber der Pharmabranche bündeln. Von der Idee, auf den zunehmenden Druck mit dem Aufbau einer eigenen Apothekenkette in Deutschland zu reagieren, hält Pinger – im Gegensatz zu seinem im Sommer abgelösten Vorgänger Fritz Oesterle, der dieses Experiment unter dem Markennamen Doc Morris begonnen hatte – dagegen nicht viel. „Wir verstehen uns als Partner”, betont er die neue Stoßrichtung. Sie basiert auf einer teuer erkauften Einsicht: Der Vorstoß mit Doc Morris habe das Unternehmen kurzfristig 30 Prozent seiner Kunden gekostet, bilanziert Pinger. „Und es hat Zeit gebraucht, sie zurückzugewinnen.”
Auch die Versuche mancher Pharmakonzerne, den Großhandel über den Direktvertrieb an die Apotheken zu umgehen, sieht Pinger nach eigener Auskunft skeptisch. Die Logistik mit ihren vorgeschriebenen Kühlketten für eine Reihe von Arzneimitteln sei dafür zu aufwendig; außerdem sei es schwer mit dem Betriebsablauf einer Apotheke zu vereinbaren, entsprechend der bisher üblichen Frequenz zwei- oder dreimal am Tag gleich von einem ganzen Dutzend Herstellern beliefert zu werden. Zurzeit liegt der Anteil des Direktvertriebs am deutschen Arzneimittelmarkt nach Angaben aus der Branche bei rund 16 Prozent.
Den Pharmagroßhandel insgesamt sieht Pinger nach Jahren mit sinkenden Erträgen unter Zugzwang. Die Händler werden sich nach seiner Einschätzung künftig durch spezielle Angebote stärker voneinander unterscheiden. In Brasilien sei ein mögliches Zukunftsmodell zu besichtigen: Dort hat Celesio eine spezialisierte Tochtergesellschaft gegründet, die teure und aufwendig zu transportierende Medikamente wie Krebsmittel an eine ausgewählte Zahl großer Kliniken und Apotheken liefert, die regelmäßig Bedarf an diesen Arzneimitteln haben. „Das sehen wir nicht nur in Brasilien als Wachstumsgeschäft, sondern auch in Europa.”
Ende der Strategie der Diversifizierung
Von Oesterles Strategie der Diversifizierung hat sich Pinger, der vom Konsumgüterhersteller Beiersdorf zu Celesio gewechselt ist, indes schon kurz nach seinem Amtsantritt distanziert. Eine Reihe von Zukäufen aus Oesterles Ägide stehen seitdem zur Disposition, vor allem aus dem wenig profitablen Dienstleistungsbereich. Insgesamt ist das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) zwischen 2007 und 2010 bei leicht steigendem Umsatz von 843 Millionen auf 699 Millionen Euro gesunken. Für das vergangene Jahr werden nur noch 575 Millionen Euro erwartet. Pinger will diese negative Entwicklung mit der Konzentration auf das Kerngeschäft und Wachstum im Ausland, etwa in Brasilien, umkehren.
Celesio gehört zur Duisburger Haniel-Gruppe und rangiert mit einem Marktanteil von rund 16 Prozent in der Liste der wichtigsten deutschen Arzneimittelgroßhändler etwa gleichauf mit dem Frankfurter Wettbewerber Anzag, aber deutlich hinter Phoenix aus Mannheim (30 Prozent Marktanteil). Die Branche hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Ertragskraft verloren, weil die gesetzlich geregelte Großhandelsmarge gesenkt wurde, viele Apotheker aber weiterhin auf die in üppigeren Zeiten üblich gewordenen Rabatte auf die Arzneimittelpreise bestanden. Der Branchenverband Phagro bezifferte die Umsatzrendite vor Steuern vorübergehend sogar als negativ. Zuletzt hat das Ende 2010 verabschiedete Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkts (Amnog) die Vergütung neu geregelt; für 2011 galt eine von den Großhändlern besonders kritisch gesehene Übergangsregel.
Unter Mitarbeit von Sebastian Balzter.