Ob der Essener Spezialchemiekonzern Evonik an die Börse geht oder nicht, wird angesichts der Nervosität an den Finanzmärkten erst wenige Tage vor der für den 25. Juni geplanten Erstnotiz feststehen. Bis dahin laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, ebenso erbittert wird über um Bewertungsfragen gestritten. Inzwischen wurde der Börsenprospekt freigegeben; der Vorstandsvorsitzende Klaus Engel ist längst mit institutionellen Investoren im Gespräch. Private Investoren wird die Aktie wohl nicht sehr engagiert zum Kauf angeboten werden. Doch ist es interessant, einen Blick auf die „Börsenstory” zu werfen, mit der Engel den Investoren die Evonik-Aktie schmackhaft machen wird.
Offiziell äußert sich das Unternehmen zu diesem Punkt nicht. Wer sich aber im Markt umhört, erfährt, wohin die Reise gehen soll: Engel verkauft Evonik als Spezialchemieunternehmen, das Megatrends bedient. Sei es die demographische Entwicklung mit ihren Herausforderungen rund um die Welternährung oder die Gesundheitsvorsorge. Sei es das Thema Ressourceneffizienz oder auch der Wechsel hin zu einer Stromversorgung aus regenerativer Energie: Die Aktionäre sollen sich für ein Unternehmen interessieren, das für diese Themen zum Teil weltmarktführende Produkte im Angebot hat. Konkret kann es sich dabei um essentielle Aminosäuren handeln, die dazu führen, dass Hühner ihr Futter besser verwerten, um Vorprodukte zur Körperpflege oder für die Pharmaindustrie, um Komponenten für die Reifenindustrie, die Beschichtung von Rotorblättern von Windkraftanlagen, Zulieferteile für die Welt der Elektromobilität oder auch für die Photovoltaik.
Erfolge der vergangenen Jahre
Verwiesen wird dem Vernehmen nach auf die Erfolge der vergangenen Jahre, die das noch vor einiger Zeit breit diversifizierte Unternehmen zu einem beinahe reinrassigen Spezialchemiekonzern mit einer Immobiliensparte gemacht haben. Von manchen strategisch nicht wichtigen Arbeitsgebieten in der Chemie hat sich Evonik inzwischen ebenso getrennt wie von seinen Steag-Kraftwerken. Und auch der Ausstieg aus der Immobiliensparte wird – in Absprache mit dem Großaktionär RAG Stiftung – konkret vorbereitet.
Punkten will Evonik trotz dieser Bereinigungen gleichwohl mit einer großen Balance in seinem Chemie-Produktportfolio und einer zukünftig noch besseren Umsatzverteilung auf die großen Weltregionen. Diese Stabilität soll in Zukunft weiter unterfüttert werden. Dazu dient ein Investitionsprogramm vor allem für die asiatischen Standorte. So soll der Umsatz in Asien, der derzeit knapp 2 Milliarden Euro ausmacht, bis 2015 auf 4 Milliarden Euro steigen. Das soll mit Investitionen von wiederum 2 Milliarden Euro erreicht werden. Im Zuge dieses Programms soll der Anteil der in Asien für den dortigen Markt produzierten Produkte von heute 27 auf dann 60 Prozent klettern. Diese Investitionen kann Evonik aus der bestehenden Finanzkraft stemmen. Aus dem geplanten Börsengang selbst, bei dem die Aktionäre die RAG Stiftung und der Finanzinvestor CVC Kasse machen werden, fließen Evonik selbst keine frischen Mittel zu. Wie zu hören ist, argumentiert Evonik aber damit, dass man auch kein zusätzliches Geld benötige, um seine Strategie umzusetzen. Tatsächlich wurde die Verschuldung in den vergangenen Jahren auf nur noch 1 Milliarde Euro netto abgebaut. Zum Vergleich: 2008 waren es noch 3,3 Milliarden Euro. Der jetzige Wert entspricht dem 1,4fachen des Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Auch für eine Dividendenzahlung bleibt genug Geld übrig. Geplant wird mit einer Ausschüttungsquote von 35 bis 40 Prozent des Nettogewinns. Zu einer weiteren Entschuldung könnte der Ausstieg aus der Immobiliensparte führen.
Kein Mittelzufluss aus dem Börsengang
Obwohl Evonik keinen Mittelzufluss aus dem Börsengang erwarten kann, lassen sich doch einige Vorteile der Emission auch für das Unternehmen selbst erkennen. So bekommt das Evonik-Management durch den Börsengang eine Akquisitionswährung in die Hand, wird am Markt stärker wahrgenommen und kann seine Mitarbeiter besser am Unternehmenserfolg beteiligen. Nach Informationen dieser Zeitung wird es Mitarbeiteraktien geben, die Führungskräfte werden bis zu einem Volumen von 50 000 Euro Aktien zum Emissionspreis erwerben können, und der Vorstand hat sich dazu verpflichtet, ein Brutto-Jahreseinkommen zur Zeichnung von Evonik-Aktien einzusetzen. Sicher erscheint auch die Fortsetzung des Sparprogramms, das schon in den vergangenen Jahren insgesamt 500 Millionen Euro Einsparungen gebracht hat und bis zum Jahr 2016 diese Summe noch einmal einbringen soll. Verweisen kann Evonik zudem auf ein durchschnittliches jährliches Wachstum seines Umsatzes von 5 Prozent in den Jahren von 2008 bis 2011 und eine überproportionale Steigerung seines Ergebnisses vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von durchschnittlich 19 Prozent auf 2,8 Milliarden Euro in derselben Zeitspanne.
Bewertung völlig offen
Was das letztlich für die Bewertung der Evonik-Aktie an der Börse bedeutet, ist offen. Vermutlich sind die bisher diskutierten Bewertungsfaktoren zu hoch. Als wahrscheinlich gilt derzeit ein sogenanntes Multiple vom 5,7- bis 6fachen des operativen Gewinns, also des Ebitda. Erreicht werden soll nach Möglichkeit eine Gesamtbewertung von Evonik von mindestens 15 Milliarden Euro. Aktien im Volumen von 30 Prozent dieses Betrags sollen an der Börse plaziert werden. Allerdings gibt es wohl auch schon Diskussionen darüber, ob die Zahl der auszugebenden Aktien noch verringert wird.
Denn schieflaufen kann noch einiges. Nicht zuletzt fällt die heiße Phase des Börsengangs in die Zeit des Termins für die Neuwahlen in Griechenland. Auch deshalb haben sich die Aktionäre manche Hintertür offen gelassen, um bis zuletzt aus dem Projekt Börsengang wieder aussteigen oder ihn um ein paar Wochen verschieben zu können, ohne das Gesicht zu verlieren. Würde der Börsengang, der vor allem CVC sehr am Herzen liegen soll, aber gelingen, würden die Essener mit der Hilfe der Deutschen Bank und Goldman Sachs in Deutschland die größte Aktienemission der vergangenen zwölf Jahre stemmen. Ein Erfolg ist auch für den deutschen Steuerzahler wichtig: denn Evonik finanziert für die RAG Stiftung letztlich die Ewigkeitskosten des deutschen Bergbaus.