Fred Irwin hört man gerne zu. Denn Irwin ist nicht nur selbst ein guter Zuhörer, er hat auch viel zu sagen. Niemand kennt sich in den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten besser aus als er. Niemand hat einen besseren Zugang zu deutschen Politikern bis hinauf zur Bundeskanzlerin und amerikanischen Politikern gleichermaßen. Niemand kennt so viele Unternehmer und Vorstandsvorsitzende auf beiden Seiten des Atlantiks. Kein anderer schafft es, seinen Charme so sehr zum Wohle der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen einzusetzen, dabei so herzlich zu bleiben und so unterhaltsam wie „Fred”, wie ihn viele seiner Bekannten ganz amerikanisch-jovial nennen dürfen.
Irwin lebt seit 44 Jahren in Deutschland, und schon seit 1991 ist er Präsident der American Chamber of Commerce in Germany. „Damals war die Am-Cham ganz anders aufgestellt, machte hauptsächlich Veranstaltungen”, erinnert sich Irwin. Und das hat sich inzwischen vollkommen geändert. Die American Chamber ist unter seiner Führung zu einer mächtigen Lobby-Organisation geworden, aber auch zu einer Brücke der Freundschaft zwischen Deutschland und Amerika. Dass sich dabei nicht nur die Mitgliederzahl (von damals 1200 auf heute 3000 Mitglieder) extrem positiv entwickelt hat, sondern auch ein beachtliches Finanzpolster aufgebaut worden ist, versteht sich für den gelernten Banker Irwin beinahe von selbst.
Denn Irwin ist seit 1984 in verschiedenen leitenden oder beratenden Positionen der deutschen Citigroup-Tochtergesellschaften tätig. Dort kümmert er sich als Vice Chairman derzeit vor allem um die Beziehungen zu den deutschen Familienunternehmen, die er als Rückgrat der Wirtschaft empfindet.
Mit der Armee kam er nach Deutschland
Ohne die amerikanische Armee, von der er zunächst glaubte, sie würde ihn nach Vietnam schicken, wäre Irwin nie nach Deutschland gekommen. Denn hier hat der Offizier der Reserve gedient. Danach hat er eine Sprachschule geführt, Kreditrisiken bewertet – und wurde schließlich Mitarbeiter der Citigroup. Dabei schlagen in seiner Brust zwei Herzen: „Ein deutsches und ein amerikanisches”. Dass er die beiden unterschiedlichen Märkte und Mentalitäten genau einzuschätzen weiß, kommt ihm bei seinen Aufgaben zugute. „Wer die kulturellen Unterschiede zwischen Amerika und Deutschland kennt, ist wirtschaftlich erfolgreicher, weiß Irwin. Einige Unternehmen entwickelten Verständnis für die lokalen Gegebenheiten, andere nicht: „Die Einzelhandelskette Wal-Mart zum Beispiel hat es mit seiner schnell beendeten Expansion nach Deutschland nicht geschafft, sich an die deutschen Gegebenheiten anzupassen. Das machen viele andere sehr viel besser.”
Effiziente Deutsche
Denn kulturelle Unterschiede gibt es. Die Deutschen seien zwar unglaublich effizient, sagt Irwin, aber zugleich zu risikoscheu. Häufig werde auch das Positive übersehen, das Negative überbetont. Das alte Lied: Wer als Unternehmer gescheitert ist, bekommt in Amerika schneller eine zweite Chance. „Das liegt aber gar nicht an der Mentalität der Deutschen”, hat Irwin festgestellt. Schuld sei vielmehr das Umfeld in Deutschland. Letztlich sei es ein Phänomen, dass sich daran nichts ändere, obwohl das Problem den Deutschen durchaus schon lange bekannt sei.
Anpassungsfähigkeit
„Hinzu kommt, dass die Deutschen selbst unglaublich anpassungsfähig sind. Beobachten sie einmal Deutsche im Ausland und wie schnell die sich an die jeweiligen Umstände dort anpassen können.” Unternehmen, die in fremden Ländern tätig sind, gelingt das nicht immer. Und das konnte Irwin nicht nur bei Wal-Mart erleben, auch als neutraler Mann im Beirat des in der letzten Opel-Krise eingesetzten Opel-Treuhänders bekam er tiefen Einblick in das, was passieren kann, wenn es zwischen amerikanischer Zentrale und deutscher Tochtergesellschaft allzu viele Missverständnisse gibt. Missen möchte Irwin freilich auch diese Zeit in seinem Leben nicht. Viele der seinerzeit neuerworbenen Kontakte sind geblieben, nicht zuletzt zum damaligen Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg und seiner Frau oder zum ehemaligen Continental-Chef Manfred Wennemer.
Fred Irwin Foto: F.A.Z.
So ist das bei Irwin: Man bleibt einander treu, auch wenn die gemeinsamen Projekte längst abgeschlossen sind. Auch das ist sein Erfolgsgeheimnis. Ein Jahr lang wird er nach den bisherigen Planungen noch für die Citigroup arbeiten, ebenso lange für die American Chamber. Sein Nachfolger dort soll, wenn er denn von den Mitgliedern gewählt wird, Bernhard Mattes werden, der jetzige Chef von Ford Deutschland. Irwin will danach aber Deutschland treu und natürlich auch sonst sehr aktiv bleiben. Wie sollte es für einen Mann auch anders sein, der in seinem Leben schon 28 Marathonläufe bestritten hat. Irwin bereitet den Wechsel auch deshalb vor, weil er am 29. Mai seinen 70. Geburtstag feiert – und sein Amt in der American Chamber übergeben will, bevor es heißt, er gehe nie.
Gratulationen und Gänsehaut
Doch von solcher Nachrede ist er weit entfernt. Vielmehr findet zu seinen Ehren am 13. Juni in Berlin ein „German-American Friendship Dinner” mit rund 300 geladenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Medien statt. Unter den Gästen werden Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und natürlich der amerikanische Botschafter in Deutschland, Philip Murphy, sein. Seinen eigentlichen Geburtstag aber wird Irwin, der in seinem Leben schon mehr als 100 Länder bereist hat, ganz privat in Krakau feiern. Er selbst gratuliert ohnehin lieber anderen; gelobt zu werden bereitet ihm hingegen Gänsehaut. Die wird er in den kommenden Tagen aber wohl immer wieder bekommen.