Vielleicht ist es der Beginn einer Neuordnung auf dem deutschen Mobilfunkmarkt: Die unter einer hohen Verschuldung leidende spanische Telefongesellschaft Telefónica will ihre deutsche Tochtergesellschaft O2 an die Börse bringen. Die Vorbereitungen für einen Gang aufs Parkett von Telefónica Deutschland mit seiner Mobilfunkmarke O2 hätten begonnen, teilte der Konzern am Mittwochabend mit. Zugleich prüft der niederländische Telefonkonzern KPN die Trennung von weiteren Tochtergesellschaften. Wenn ein Bericht der Tageszeitung „De Telegraaf” aus jüngster Zeit stimmt, wird sich der einstige Staatsmonopolist künftig auf den Heimatmarkt konzentrieren. Träfe das zu, würde es in Deutschland spannend: Zu den wichtigsten Auslandsaktivitäten von KPN zählt der hiesige Mobilfunkanbieter E-Plus. Und tatsächlich: Am Freitag hat KPN offiziell bestätigt, dass man strategische Optionen für E-Plus prüfe.
Betroffen von der Neuordnung wären die Nummer drei und die Nummer vier im deutschen Mobilfunkgeschäft. O2 war im Jahr 2002 aus der damaligen Viag Interkom hervorgegangen. Drei Jahre später kaufte Telefónica O2 für 26 Milliarden Euro. Mittlerweile zählt O2 rund18,6 Millionen Mobilfunkkunden und rangiert unter den Handy-Netzbetreibern auf dem vierten Platz – direkt hinter E-Plus sowie deutlich hinter den beiden Platzhirschen Deutsche Telekom und Vodafone. Zudem bietet O2 seit der Übernahme des DSL-Anbieters Hansenet Ende 2009 auch Festnetztelefon- und Internetanschlüsse an.
Die deutsche Telefónica-Tochtergesellschaft sei 8 bis 10 Milliarden Euro wert, glaubt Analyst Carlos Winzer von der Ratingagentur Moody’s. „Falls Telefónica einen Teil des Deutschland-Geschäfts an die Börse bringt, können sie einen Mehrheitsanteil behalten und gleichzeitig viel Geld erlösen, um die Verschuldung zu verringern.” Spekuliert wird im Markt aber auch über eine mögliche Verbindung von O2 und KPN.
Gestatten, Carlos Slim
An dieser Stelle kommt nun der mexikanische Mobilfunk-Milliardär Carlos Slim ins Spiel. Slim kontrolliert Lateinamerikas Branchenprimus America Movil. Der wiederum will seine KPN-Beteiligung auf bis zu 27,7 Prozent ausbauen, die derzeit bei 4,8 Prozent liegt. America Movil bietet den KPN-Aktionären in diesen Tagen offiziell 8 Euro je Aktie. KPN hält das für zu niedrig – und will Slim beim Vorpreschen auf den europäischen Telekom-Markt Steine in den Weg legen. „In Kürze”, so heißt es, werde sich KPN deshalb zu seiner künftigen Strategie äußern – und damit wohl auch zu den Gerüchten, man werde sich von weiteren Geschäften trennen. Die Lateinamerikaner sind sehr ernst zu nehmen, denn bisher ist America Movil kaum in Europa vertreten. Das offizielle Angebot läuft nun bis zum 27. Juni.
Telefnica seinerseits äußerte sich weder zur Größenordnung noch zum Zeitplan des Börsengangs von O2. Die Spanier teilten lediglich mit, die vorgeschlagenen Maßnahmen – wie eben auch der geplante Börsengang von O2 – trügen dazu bei, die Verschuldung in diesem Jahr zu senken. Der Konkurrent der Deutschen Telekom leidet unter der spanischen Wirtschaftskrise und einer verfehlten Unternehmenspolitik. Ende März kam Telefónica auf Netto-Verbindlichkeiten von rund 57,1 Milliarden Euro. Bis 2015 müssen jährlich 7 bis 8 Milliarden Euro an Schulden refinanziert werden. Dabei ist es misslich, dass der Konzern im ersten Quartal 2012 die Halbierung seines Gewinns hinnehmen musste – der Überschuss ging auf 748 Millionen Euro zurück. In der vergangenen Woche stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Kreditwürdigkeit des Unternehmens herab. Der Kampf gegen die Günstigkonkurrenz sei nicht zu gewinnen, hieß es zur Begründung. Der Heimatmarkt, der noch für ein Drittel des Konzerngewinns steht, dürfte seinen Niedergang fortsetzen. Auch werde es bei dem hohen Schuldenstand und einem schrumpfenden operativen Gewinn schwierig, neue Kredite zu bekommen.
„Die Barmittel-Klemme beginnt langsam, die operativen Möglichkeiten des Unternehmens sowie die Investments in die Geschäftsbereiche zu beschneiden”, sagte Analyst Guy Peddy von Macquarie Securities kürzlich in London. Die Analysten sind sich gleichwohl uneinig, wie sie die jüngste Ankündigung von Telefónica zu bewerten haben. Manche senkten danach ihr Kursziel für die Aktie. Die Investmentbank Morgan Stanley stufte den Titel herauf. In den vergangenen zwölf Monaten hat die Telefonica-Aktie 46 Prozent ihres Wertes eingebüßt. Die Aktionäre der Deutschen Telekom blicken in derselben Zeitspanne auf einen Kursabschlag von „nur” 22 Prozent.
Austauschbares Massenprodukt
Im Führungsgremium von KPN ist auch der deutsche E-Plus-Chef Thorsten Dirks vertreten. Der hatte jüngst im Gespräch mit dieser Zeitung eingeräumt, dass Mobilfunk ein austauschbares Massenprodukt ist: „Die Gesprächsminute, die SMS oder ein Kilobyte Daten gibt es bei allen Anbietern in mehr oder weniger der gleichen Qualität.” Die Avancen aus Mexiko und die Meldungen, dass KPN gleichzeitig darüber nachdenkt, wichtige Beteiligungen zu verkaufen, seien aber „zwei völlig getrennte Paar Schuhe”. Die regelmäßige Portfolioüberprüfung gehöre zu den Aufgaben des Unternehmens. „In Frankreich hat das zu einem Verkauf geführt, in Spanien und für die belgische Tochtergesellschaft Base schauen wir uns die möglichen Optionen an. Das ist ein ganz normaler Prozess, in dem wir uns befinden, ohne dass irgendwelche Vorentscheidungen getroffen worden sind”, sagte Dirks.
Die große Stärke von O2 wiederum sieht Rachel Empey, Finanzchefin von Telefónica Deutschland, im Datengeschäft. Telefonica wuchs mit dem Datenstrom erheblich stärker als die Konkurrenz. Im ersten Quartal lag der Datenumsatz ohne SMS um 42 Prozent höher als ein Jahr zuvor.