Gerhard Cromme hat Jürgen Claassen viel zu verdanken. Der ehemalige Chef von Krupp, der heutige Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssen-Krupp und Siemens, der Anwärter auf den Vorsitz der Krupp-Stiftung, hätte durch manche stürmische See nicht mit so ruhiger Hand navigiert, wenn er seinen ehemaligen Assistenten, Kommunikationschef und heutigen Compliance-Vorstand von Thyssen-Krupp nicht an seiner Seite gehabt hätte. Und die See war oft stürmisch: da ist zum Beispiel die Schließung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen, die Siemens-Schmiergeldaffäre, die katastrophale Auslandsexpansion von Thyssen-Krupp. Claassen hat es in solchen Situationen blendend verstanden, Gefahren abzuwehren, Verhaltensmuster unter Meinungsbildnern zu erkennen, mit Informationen an den richtigen Stellen zu spielen, Eitelkeiten auch unter Journalisten zu bedienen – um seinen Chef, sein Unternehmen und damit letztlich auch sich selbst gut aussehen zu lassen.
Das Problem ist, dass Claassen einen Hang zum Luxus hat, den er auch gerne zur Schau stellt – und Menschen entweder umarmt oder mit seiner ganzen Kraft zur Seite schiebt. Damit hat er sich angreifbar gemacht, und es ist eher ein Wunder und nur durch seine enge Verbundenheit mit Cromme und Berthold Beitz, dem Vorsitzenden der Krupp-Stiftung, zu erklären, dass Claassens Feinde innerhalb und außerhalb des Unternehmens nicht schon viel früher aus der Deckung gekommen sind. Jetzt ist Claassen 54 Jahre alt, steht auf dem Gipfel seiner Karriere und tanzt zugleich an ihrem Abgrund. Denn Claassen hat es übertrieben, und leider sind Journalisten mit von der Partie.
Künfitg das richtige Maß
Der Ethik-Chef von Thyssen-Krupp hat gerne zu Luxus-Auslandsreisen eingeladen, zum Beispiel, aber längst nicht nur, nach China oder Südafrika. Auch ein Mitglied der Wirtschaftsredaktion dieser Zeitung ist in der ersten Klasse nach China mitgereist, was ein Fehler war. Vor einigen Tagen kritisierte deshalb Claassens eigentlicher Vorgesetzter, der Thyssen-Krupp-Vorstandsvorsitzende Heinrich Hiesinger, die bei Claassen übliche Reisepraxis. Am Mittwoch hat sich Claassen vor dem Aufsichtsrat entschuldigt: Die Reisen seien wohl doch „etwas zu üppig gewesen”, künftig werde er „das richtige Maß wahren”. Ob das reicht, um Claassens Job zu retten? Fragwürdig ist es ohnehin, dass der heutige Kommunikationschef von Thyssen-Krupp an Claassen berichtet und nicht, wie sonst üblich, an den Vorstandsvorsitzenden. Da drängt sich zumindest der Verdacht auf, es bestehe eine Kommunikationsseilschaft mit direktem Draht zum Aufsichtsratschef Cromme.
Claassens Argumentation jedenfalls, über die Annahme der Einladungen zu den Reisen hätten allein die Redaktionen zu entscheiden gehabt, greift zu kurz. Unsere Wirtschaftsredaktion weist inzwischen darauf hin, wenn ein Unternehmen zu einer Reise eingeladen hat. Für Unternehmenskommunikatoren vom Schlag eines Jürgen Claassen ist das Teil einer neuen Welt. Er hätte mit seiner einst so guten Spürnase früher erkennen müssen, dass sie sich verändert hat.
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