Diese Zahl, so hieß es auf dem Boulevard, habe Deutschland „gerockt”: Knapp 17 Millionen Euro hat Martin Winterkorn als Jahresgehalt von seinem Arbeitgeber Volkswagen erhalten. Das ist mehr als jemals zuvor ein Dax-Vorstand bekommen hat. Das Rekordgehalt hat auch andere Spitzenmanager bewegt, die die Zahl – ob mit oder ohne größeren Neid – für vollkommen überzogen hielten. Der IG-Metall-Chef Berthold Huber forderte sogleich, „Grenzen für Vorstandsvergütungen” einzuführen. Dabei ist Huber stellvertretender VW-Aufsichtsratschef und hatte das Rekordgehalt im Aufsichtsrat abgesegnet. Zum einen war seine Kritik also wohlfeil, zum anderen halbherzig: sei das Vergütungssystem von VW aus Sicht der Belegschaft doch grundsätzlich „das beste, das es hierzulande gibt”.
Denn neben dem Gewinn spiele bei VW seit 2010 auch die Beschäftigung eine große Rolle bei der Bemessung der Boni. Deshalb gab es in der Belegschaft auch keine Proteste wegen Winterkorns Millionengehalt. Der inzwischen als Kanzlerkandidat ausgerufene – und wegen eigener hoher Vortragshonorare in die Kritik geratene – Peer Steinbrück (SPD) hingegen hatte die Vergütung Winterkorns in der ARD-Sendung „Beckmann” danach als „katastrophale Signal” erklärt und von den wirtschaftlichen Eliten gefordert, „dass sie Maß und Mitte anerkennen”. Alt-Bundespräsident Roman Herzog stimmte ihm zu: „Sie haben völlig recht.” Winterkorn selbst war sich der Wirkung der Zahl 17 Millionen durchaus bewusst, rechtfertigte sein Einkommen aber damit, dass es Ausdruck des umfassenden Erfolgs des Konzerns sei.
Deshalb hat die Zahl Deutschland möglicherweise „gerockt”, mehr aber auch nicht. Über erfolgreiche Manager regt man sich schließlich nicht so gerne auf. Aber andererseits muss es einen Grund geben, warum ein Stück aus dieser Zeitung zum Jahresende besonders gern und häufig gelesen wurde: In dem Text ging es um den Bundesverband der Personalmanager, der angesichts von Verfehlungen von Spitzenmanagern scharfe Kritik an der Personalpolitik in vielen Unternehmen geäußert hat. „Viele Führungspositionen in deutschen Unternehmen werden mit den falschen Leuten besetzt”, sagte Verbandspräsident Joachim Sauer. Oft machten demnach Fachleute Karriere, die den Anforderungen nicht gewachsen seien.
Eine Frage der Kultur
Die Bemerkung passte gut in die Zeit. Denn kurz zuvor hatte sich der Stahlkonzern Thyssen-Krupp nach Milliardenverlusten und Compliance-Verstößen gleich von seinem halben Vorstand getrennt. Hinterhergerufen wurde den scheidenden Managern vom nun deutlich gestärkten Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger, dass bei Thyssen-Krupp die Unternehmenskultur versagt und ein falsches Verständnis von Loyalitäten geherrscht habe. Kadavergehorsam hatte in Essen einen ordentlichen Informationsfluss verhindert. Und der Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Cromme ist nun damit beschäftigt, aller Welt zu erklären, dass er dennoch alles richtig gemacht hat. Damit hat er einiges zu tun. Ungefähr zur gleichen Zeit musste übrigens die Führung der Deutschen Bahn einräumen, dass der Neubau des Stuttgarter Hauptbahnhofes eine weitere Milliarde verschlingt. Und aus Sauers Sicht zieht solches Führungsversagen viel zu selten Konsequenzen nach sich: „Verantwortungsträger, die wider besseres Wissen oder fahrlässig agieren, kommen zu häufig ungestraft davon.”
Sein Verband hält es deshalb für überfällig, eine offene Diskussion über die Führungskultur in den hiesigen Unternehmen in Gang zu bringen. Unabdingbar seien klare Ziele und deren konsequente Verfolgung. „Dazu gehört auch, dass Erfolge gefeiert und Fehler thematisiert werden – Führungsqualität muss messbar werden.” Wichtigste Aufgabe der Führungskraft sei es dann, eine belastbare Vertrauensbasis mit ihren Mitarbeitern zu schaffen. Wie sehr es daran in vielen Unternehmen mangelt, zeigte die Resonanz auf diese Thesen. Selbst beim deutschen Vorzeigeunternehmen Bosch ist man verblüfft darüber, wie viele Rückmeldungen, vor allem aber wie viele kritische Bemerkungen eine Umfrage unter den Mitarbeitern zutage gefördert hat, in der es darum ging, wie sich Entscheidungsprozesse im Unternehmen verbessern lassen. Immer wieder heißt es dort: Die Dinge müssten unkomplizierter und schneller entschieden werden, weniger bürokratisch und weniger strikt nach Vorschrift.
Unzufriedene Mitarbeiter selbst bei Vorzeigeunternehmen
Angestoßen hatte die Aktion der neue Bosch-Chef Volkmar Denner, der in diesem Jahr Nachfolger von Franz Fehrenbach an der Spitze der Geschäftsführung geworden ist. Und das in schwieriger Zeit: Das Wachstum hat sich abgeflacht, auch Bosch muss sparen. Aber das Unternehmen steht in jeder Hinsicht für Kontinuität. Vor den Kopf gestoßen wird nach Möglichkeit niemand. Dazu passt, dass Denner erst der siebte Vorsitzende der Geschäftsführung in der 126-jährigen Geschichte des schwäbischen Konzerns ist. Fehrenbach leitete das Unternehmen neun Jahre lang. Er war der erste Bosch-Chef nach 1949, der wegen der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 einen Verlust auswies. Denner war bisher Forschungschef des Unternehmens – und füllt diese Rolle auch in seiner neuen Funktion aus. Unter Denner setzt das Unternehmen in Zukunft mehr auf die Vernetzung. Technische Geräte sollen über das Internet selbständig mit ihrer Umwelt kommunizieren.
So soll Bosch ein Stuttgarter Erfolg bleiben – umgekehrt gilt aber nicht, dass alles, was in Stuttgart erdacht oder erbaut wird, schon ein Erfolg ist. Dem Beispiel des Bahnhofs lassen sich unter diesem Aspekt noch die Nachwehen des Kaufs der Anteile am Energieversorger ENBW, die zuvor in französischem Staatsbesitz waren, durch das Land Baden-Württemberg hinzufügen. Der Kauf selbst ist inzwischen zwar eine alte Kamelle, aber den Investmentbanker Dirk Notheis hat sie erst in diesem Jahr so richtig erwischt. Der musste nämlich aus dem Vorstand seiner Bank Morgan Stanley ausscheiden. Notheis hatte beim Kauf des Energieversorgers ENBW im Herbst 2010 Regie geführt und in zuerst von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung veröffentlichten E-Mails dem damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus detaillierte Anweisungen gegeben. Nach Bekanntwerden der E-Mails hatte Notheis sein Amt zunächst ruhen lassen und erklärt, er nehme eine „Auszeit”. Kurz danach hat er seinen Posten dann endgültig verlassen. Notheis hatte an den mit ihm befreundeten Ministerpräsidenten Stefan Mappus damals unter anderem geschrieben: „Du wirst Anrufe von zahlreichen Banken bekommen. Sie werden Dich drängen, ihnen ein Mandat zu geben. Du musst das alles ablehnen (!!) und sagen, dass Du bereits vollständig beratungstechnisch aufgestellt bist. Bitte achte darauf, dass Du das durchziehst. Das verursacht sonst erheblich Sand im Getriebe, und das kann ich jetzt nicht gebrauchen.” Das kam gar nicht gut an und belastete auch Mappus.
Besser Insolvenzverwalter als Investmentbanker
Sehr viel erfreulicher ist das Jahr da für den Insolvenzverwalter Michael Frege von der Frankfurter Kanzlei CMS Hasche Sigle verlaufen. Zum einen sind die von ihm betreuten Gläubiger der deutschen Tochtergesellschaft der insolventen Bank Lehman Brothers von der hohen Rückzahlung begeistert, die sie am Ende des Verfahrens erwarten können. Die Quote wird, wie diese Zeitung zuerst berichtet hatte, 80 oder mehr Prozent aus einer Insolvenzmasse von 15 Milliarden Euro erreichen. Selbst die Vertreter der Hedgefonds, die seit geraumer Zeit versuchten, Frege wegen des Honorars in dreistelliger Millionenhöhe offenbar auch persönlich unter Druck zu setzen, hatten in der Gläubigerversammlung keine kritische Frage an den Insolvenzverwalter. Das Honorar für die Kanzlei wird gleichwohl ein Segen, auch wenn es letztlich weit von den 800 Millionen Euro, die in einem Gutachten genannt sind, entfernt sein wird. Man sei schon mit mehr als 200 Millionen Euro in Vorleistung gegangen, hieß es von CMS. Entsprechend sollen die Zahlungen nun Richtung 300 Millionen Euro angepasst werden. Ob berechtigt oder nicht: Hieraus lernt man, dass es in Zeiten wie diesen lohnender sein kann, Insolvenzverwalter zu sein als Investmentbanker.
Eine gesunde Entwicklung ist das aber auch nicht. Überhaupt, die Banker: Da gibt es ja noch die Deutsche Bank, und das größte deutsche Geldhaus hat gar kein gutes Jahr hinter sich gebracht. Ein Politiker hat sinngemäß gesagt, dass überall, wo das Wort Skandal draufstehe, die Deutsche Bank drinstecke. So ganz falsch ist das nicht: Die beiden neuen Chefs Jürgen Fitschen und Anshu Jain müssen ihren Worten von einem Kulturwandel ganz schnell Taten folgen lassen.
Der schmierige Florian Homm
Nur wenn die Deutsche Bank rechtzeitig die richtigen Lehren zieht, kommt sie vielleicht noch darum herum, in ihrem Ruf auf eine Ebene mit, sagen wir, Florian Homm, hinabzusinken. Der hat in seiner Tätigkeit als Hedgefondsmanager so viele Menschen über den Tisch gezogen, dass er nur noch unter falschem Namen durch die Welt reisen kann: „Ich habe mir selbst gar nicht gefallen. Ich fand mich schmierig, humor- und seelenlos”, hat er dieser Zeitung während eines Geheimtreffens in Paris zu Protokoll gegeben. Kopfgeldjäger waren in Sachen Homm schon im Spiel; die amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde SEC ist es noch. Ein erstrebenswerter Lebensentwurf sieht anders aus. Homm hat seine Talente vergeudet. Nun sollte man nicht so fies sein, irgendjemanden mit Homm zu vergleichen – und wir wollen das auch nicht tun. Wenn es aber darum geht, Talente zu vergeuden, kann man auch an Institutionen denken: zum Beispiel an General Motors und Opel.
Nur zur Erinnerung: Der derzeitige Opel-Chef Thomas Sedran soll im kommenden Jahr von Karl-Thomas Neumann abgelöst werden – nach etwa einem Jahr im Amt. Zuvor war Steve Girsky der Chef, und zwar vom 12. Juli bis 17. Juli, davor Karl-Friedrich Stracke von April 2011 bis Juli 2012, davor Nick Reilly von Januar 2009 bis April 2011. Das muss jedermann abstrus vorkommen – und ist es auch. Die schwierige Lage von Opel, mit der auch das Ende der Fahrzeugproduktion in Bochum begründet wird, ist damit ganz eindeutig auch ein Ergebnis von jahrzehntelangen Managementfehlern und mangelnder Kontinuität der Unternehmenspolitik, womit man wieder an die Eingangsthesen des Personalberaterverbands erinnert wird.
Pech und Glück nah beieinander
Es gibt natürlich auch Manager, die hatten in diesem Jahr sowohl Pech als auch Glück, haben Fehlentscheidungen getroffen und sich dann doch wieder richtig verhalten. Zu dieser Gruppe gehört Thomas Enders. Der Chef von Europas größtem Luftfahrtkonzern EADS hätte den Konkurrenten Boeing durch eine Fusion mit BAE Systems übertrumpfen können. So wäre Enders der Chef des größten Luftfahrt- und Rüstungskonzerns der Welt geworden. Doch vor allem die deutsche Regierung verhinderte im Oktober das Vorhaben – und Enders hatte deren Verhalten völlig falsch eingeschätzt. Jetzt investiert der deutsche Staat Milliarden Euro in EADS, steigt als Großaktionär in den Konzern ein und sitzt künftig im Verwaltungsrat. Enders kommt das dennoch zupass, denn für ihn ist es schon ein Erfolg, dass der alte Aktionärspakt aus dem Gründungsjahr 2000 mit seinen Veto- und Eingriffsrechten abgeschafft wird. So hat er BAE als Fusionspartner verloren, aber Handlungsfreiheit gewonnen.
Nach Handlungsfreiheit am Ende des deutschen Atomzeitalters sucht auch Peter Terium, der neue Vorstandsvorsitzende des Stromkonzerns RWE. Er schwenkt mit dem Konzern auf eine neue Linie ein – weg vom Atomkurs seines Vorgängers Jürgen Großmann. „Unser Geschäft wird sich grundlegend ändern”, sagte Terium. Der Konzern sei mit Verspätung in das Geschäft mit grüner Energie gestartet. „Aber jetzt holen wir auf.”
Und drei Überraschungen
Es bleiben drei Überraschungen. René Obermann hat kurz vor Weihnachten seinen vorzeitigen Rückzug angekündigt. Er will die Telekom Ende 2013, drei Jahre vor Ablauf seines regulären Vertrages, verlassen. Neuer Vorstandsvorsitzender soll Finanzvorstand Timotheus Höttges werden. „Ich will wieder mehr Zeit für Kunden, Produktentwicklung und Technik haben”, sagte der 49 Jahre alte Obermann – und hat auf den Konzernriesen keine Lust mehr. Puma-Chef Franz Koch gibt unterdessen schon im März 2013 seinen Posten ab. Der 33 Jahre alte Koch hatte erst vor eineinhalb Jahren die Führung von Jochen Zeitz übernommen – und sich seinen Weg als Chef von Puma so gewiss nicht vorgestellt. Aber er ist noch jung; so ein Rückschlag muss da kein Ende sein.
Das ist es auch nicht für Peter Bauer, der in diesem Jahr als Chef des Halbleiterherstellers Infineon Technologies zurückgetreten ist. Bauer leide an Osteoporose, hieß es. Bauers Krankheit und Entscheidung sollten allen Menschen im Managementgetriebe Warnung für das neue Jahr sein: Die Gesundheit geht vor.
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