Ad hoc

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Aha-Erlebnis mit Turm und Brücke: 150 Jahre Höchster Industriegeschichte in Frankfurt

Nicht alle Frankfurter haben verwunden, dass es die Hoechst AG nicht mehr gibt. Das Kleid einer Kaiserin machte das Unternehmen einst bekannt. Jetzt hat das Nachfolgeunternehmen Sanofi 150 Jahre Höchster Industriegeschichte und die deutsch-französische Freundschaft gefeiert - mit seinen Mitarbeitern.

Die Hoechst AG – ganz selbstverständlich war die Personalabteilung des stolzen Frankfurter Unternehmens die erste Wahl, als es für die Diplomarbeit darum ging, ein Fachgespräch zu führen. Es sollte sich um Entsendungsmodelle für Mitarbeiter drehen, die das Unternehmen zur Personalentwicklung ins Ausland schickt. Horst Speer, damals der Leiter der Personalabteilung des Konzerns, war an einem heißen Sommertag im August 1991 gern bereit, dem Studenten aus Münster alle Fragen zu beantworten. Nach dem Empfang am Tor Ost ging es zu Fuß durch den vorderen Teil des Werksgeländes, hinüber zur Hauptverwaltung, in Richtung des „Behrens-Baus”: Der Turm mit der Brücke kam in den Blick, es war ein Aha-Erlebnis. Denn das Logo des Unternehmens, das aus dem vom Berliner Architekten Peter Behrens in den zwanziger Jahren entworfenen Bauwerk entstanden ist, war damals jedermann bekannt. Es fand sich an beinahe jeder Apotheke als Reklameschild. Sein Markenwert muss unglaublich hoch gewesen sein.

Bis zum nächsten persönlich bemerkenswerten Besuch im Frankfurter Stadtteil Höchst, der Heimat der Hoechst AG, sollten viele Jahre vergehen. Am 3. Februar 2004 war es so weit: An jenem Tag fand eine Demonstration von rund 5000 Mitarbeitern in der dortigen Ballsporthalle statt. Der französische Wettbewerber Sanofi-Synthélabo schickte sich an, das in der Zwischenzeit aus der Hoechst AG und der Pharmasparte des ebenfalls französischen Konzerns Rhône-Poulenc entstandene Unternehmen Aventis zu übernehmen. Die Mitarbeiter wollten das nicht. „Sa-NO-fi verschluckt Euch nicht” war auf den Schildern zu lesen. Noch im selben Jahr ist die Übernahme dann doch vollzogen worden. Das freundliche Licht einer milden Wintersonne, die damals über Höchst schien, konnte allenfalls die Vergangenheit etwas weniger bedrückend als die Gegenwart erscheinen lassen.

Am Anfang stand die Teerfarbenfabrik

Und die Vergangenheit ist groß. Sie beginnt vor 150 Jahren. Damals befasst sich eine Handvoll Männer mit der Produktion des rotvioletten Farbstoffs Fuchsin. Sie gründen ein Unternehmen und nennen es Teerfarbenfabrik Meister, Lucius & Co., am 5. Februar 1863 wird es ins Handelsregister eingetragen. Es ist, auch wenn es schon gewisse Vorläuferaktivitäten gegeben hatte, die Geburtsstunde der chemischen Industrie in der damals noch eigenständigen Kleinstadt Höchst am Main. Seinen Anfangserfolg hat das Unternehmen dann einer Kaiserin zu verdanken. Im Gründungsjahr fährt der Verkaufsdirektor August de Ridder mit Proben des Farbstoffs Aldehydgrün nach Lyon, einem Zentrum der Tuchweber-Industrie. Ein Färber ist begeistert, schließt ein Exklusivgeschäft ab. Die Probe wird für einen Seidenstoff verwendet; die Stadt Lyon lässt ein Abendkleid machen und schenkt es Kaiserin Eugènie, der Ehefrau Napoleons III. Das smaragdgrün schimmernde Seidenkleid hat satte Farben; das Kleid macht Furore. Die Farbe wird daraufhin zum ganz großen Geschäft – und die kleine Firma zum Weltkonzern Hoechst, mit seinen unübersehbaren Reklameschildern an den deutschen Apotheken.

Zum hundertjährigen Bestehen des inzwischen als Farbwerke Hoechst firmierenden Konzerns wird 1963 die Jahrhunderthalle in Höchst eingeweiht. 1994 aber, drei Jahre nach dem Besuch bei dem freundlichen Herrn aus der Personalabteilung, beginnt eine Neuausrichtung und Umstrukturierung, die in Frankfurt – vor allem unter ehemaligen Mitarbeitern – noch heute für böses Blut sorgt. Im Zentrum der Kritik steht Jürgen Dormann, der im April jenes Jahres zum neuen Vorstandsvorsitzenden gewählt worden war. Dormann ist der erste Wirtschaftswissenschaftler an der Spitze des zuvor von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern geprägten Unternehmens. Er will es „entfrosten und entrosten”, wie er sagt. Es wird verkauft und gekauft; unter anderem gilt es den Kauf des amerikanischen Wettbewerbers Marion Merrel Dow zu finanzieren. Danach hat Dormann die Idee, einen „Life Science”-Konzern zu gründen. Die Pharmasparte wird unter dem Namen „Hoechst Marion Roussel” verselbständigt, das Spezialchemiegeschäft und andere Aktivitäten werden abgestoßen. Das ehemalige Stammwerk wird 1997 zum Industriepark Höchst – als Standort, den bis heute viele Nachfolgeunternehmen nutzen.

Der Zusammenschluss mit Bayer klappt nicht

Der Vorstoß, Hoechst mit dem ebenfalls 1863 gegründeten deutschen Wettbewerber Bayer zu verbinden, scheitert jedoch. Ein neuer Partner wird gesucht. Denn ein Unternehmen, das nur noch aus Pharmageschäft und Agrochemie besteht, empfindet Dormann als nicht zukunftsfähig. 1998 kündigt er deshalb an, Hoechst mit Rhône-Poulenc zum neuen Aventis-Konzern zu verbinden. Sitz des im Jahr danach gegründeten Unternehmens wird Straßburg, nicht Frankfurt. Die Chemiesparte wird auf dem Weg eines Spin-off in der Celanese AG abgespalten.

Mit dem Kunstnamen Aventis kam das Ende des so beeindruckenden wie wertvollen Logos mit Turm und Brücke an den deutschen Apotheken. Die Hoechst AG war, 136 Jahre nach der Gründung von Meister, Lucius & Co., Geschichte. Eine vergleichbar lange Lebensdauer sollte die neue Aventis SA nicht annähernd haben. Die Börse wollte sich für das neue Gebilde nicht begeistern, das Unternehmen war für eine Übernahme anfällig. Im Jahr 2004 war es so weit. Die Demonstrationen rund um die Ballsporthalle und das „Nein” des damaligen Vorstandsvorsitzenden Igor Landau nützten nichts. Aventis ging im August jenes Jahres in dem neu gebildeten Konzern Sanofi-Aventis mit Sitz in Paris auf.

Im Jubiläumsjahr 2013 war es nun an dem Unternehmen, das inzwischen nur noch Sanofi heißt, an die große Industriegeschichte im Frankfurter Westen zu erinnern. Der Konzern tat das mit einer Veranstaltung für seine Mitarbeiter in der Jahrhunderthalle, die inzwischen selbst 50 Jahre alt ist. Mit der Vergangenheit der Farbwerke, an die sich ältere Frankfurter wehmütig zurückerinnern, hat das alles nichts mehr zu tun. Selbst in den Kategorien „deutsch” oder „französisch” denkt Sanofi, zumindest offiziell, nur noch am Rande. Das Unternehmen ist auf der ganzen Welt tätig, arbeitet überall mit Partnern zusammen – und freut sich doch, dass sich 2013 auch die Unterzeichnung des Elysée-Vertrags und damit der Beginn der deutsch-französischen Freundschaft zum fünfzigsten Mal jährt.

Wenn die Bayer AG in Leverkusen im Sommer ihren 150. Gründungstag feiert, wird die Stimmung gewiss unbeschwerter sein. Aber manchem, der in Frankfurt mit verpassten Chancen im Allgemeinen und Dormanns Strategie im Besonderen hadert, ruft man am Rhein hinter vorgehaltener Hand auch zu, dass mit Hoechst schon in der Zeit vor Dormanns Amtsantritt nicht mehr viel los gewesen sei. Offenbar hat hinter den Kulissen nicht mehr alles so geglänzt wie Turm und Brücke am Behrens-Bau.

Welche Zukunft der Standort Höchst hat, entscheidet sich ohnehin nicht allein in der Vorstandsetage von Sanofi: Im Industriepark wird stetig investiert. Gerade erst baut das Schweizer Unternehmen Clariant, die Heimat der Spezialchemie der ehemaligen Hoechst AG, ein neues Forschungszentrum. Es liegt gleich hinter der Leunabrücke, an einer schönen Joggingstrecke hinüber in die Schwanheimer Düne. In diesem Naturschutzgebiet direkt neben dem Industriegelände konnten einst auch schon die Gründer der Teerfarbenfabrik Meister, Lucius & Co. spazieren gehen.

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