Der österreichische Stahlkonzern Voestalpine AG verfolgt als bisher einziger europäischer Vertreter der Branche eine interessante Investitionsidee und setzt dabei voll auf Nordamerika mit seinen extrem niedrigen Gaspreisen. Deshalb gibt der Vorstandsvorsitzende Wolfgang Eder 550 Millionen Euro für einen Neubau aus; so viel wie noch nie zuvor in der Unternehmensgeschichte. Dafür entsteht eine Direktreduktionsanlage in der Nähe der Stadt Corpus Christi im amerikanischen Bundesstaat Texas. In der Anlage sollen demnächst mit billigem Gas Erze für die Stahlerzeugung am Stammsitz des Konzerns in Linz veredelt werden.
Das Verfahren, also die Direktreduktion von Eisenerz, beschäftigt die Stahltechniker zwar seit Jahrzehnten. Es spielt im Vergleich zum klassischen Weg der Roheisenerzeugung bisher aber nur eine Außenseiterrolle. Der Anteil liegt derzeit bei lediglich rund 6 Prozent. Das Verfahren sorgt durch Wegnahme des Sauerstoffs (also die Reduktion) dafür, dass aus Erzoxid ein fester Eisenschwamm wird. Als Reduktionsmittel nutzt man Gas oder Kohle – in Amerika geht es für Voestalpine aber vor allem darum, den gegenüber Europa um ein Viertel niedrigeren Gaspreis auszunutzen. Der Preis ist wegen der in Amerika seit einiger Zeit praktizierten Fracking-Förderung von Gas durch das hydraulische Aufsprengen tiefer Gesteinsschichten so niedrig, und der Preisabstand wird nach Ansicht von Eder noch lange bestehen bleiben.
Europäischer Gaspreis wird nicht sinken
„Wir gehen nicht davon aus, dass der europäische Gaspreis etwa durch den Import von verflüssigtem Gas in der absehbaren Zukunft sinken wird“, sagte Eder im Gespräch mit Journalisten in Frankfurt. Das Thema „Liquid Natural Gas“ (LNG) werde deshalb auch überschätzt. Beim Fracking in Europa könnte eine neue, umweltfreundlichere Methode, das sogenannte „Clean Fracking“, politische Widerstände zwar überwinden helfen. Doch werde bis dahin auch noch lange Zeit verstreichen. Deshalb werde sich die neue Anlage in Amerika für Voestalpine gewiss in wenigen Jahren auszahlen, ist Eder überzeugt. Dazu trage auch bei, dass diese Art der Erzeugung dazu führe, dass der Konzern in Europa keine Verschmutzungsrechte mehr kaufen müsse, was in den vergangenen Jahren leider nötig gewesen sei und jeweils zwischen 5 und 15 Millionen Euro gekostet habe. Die Frage, warum andere Stahlkonzerne aus Europa nicht ähnliche Investitionen tätigen, beantwortet Eder ausweichend: „Die Branche ist einfach sehr traditionell und hängt in konservativen Strukturen fest.“ Das sorge dafür, dass man derartige Schritte meist nicht beschreite.
Konjunkturflaute besser gemeistert
In jedem Fall hat Voestalpine die Konjunkturflaute bisher besser gemeistert als die großen Konkurrenten. Die Österreicher profitieren davon, dass sie ihren Stahl zu hochspezialisierten Produkten wie Schienen für Hochgeschwindigkeitszüge, Pipelines oder Karosserieteile für Luxusautos weiterverarbeiten. Damit können sie höhere Renditen erzielen als die Konkurrenz und dem krisenanfälligen Massengeschäft ausweichen. Aber dafür wird auch qualitativ hochwertiger Stahl benötigt, und der Rohstahl für genau diese Produkte soll künftig zu günstigeren Preisen aus dem neuen Werk in Corpus Christi kommen.
Begleitet wird die Investition von einem leicht steigenden Umsatz im laufenden Jahr und einem stabilen Gewinn. Die Eckzahlen dafür sind 11,5 bis 12 Milliarden Euro beim Gewinn und 850 Millionen Euro Betriebsgewinn. Sosehr sich Eder also über den Wiederaufstieg von Voestalpine und nach der Beinahe-Insolvenz in den achtziger Jahren freut, so sehr pocht er als Präsident der europäischen Stahlvereinigung Eurofer auf Stilllegungen von Kapazitäten. Allein in Europa gebe es 40 bis 50 Millionen Tonnen Überkapazitäten in der Stahlerzeugung.
Anpassungen nötig
Aus der Erfahrung mit Voestalpine weiß er, dass harte Schnitte manchmal allein deshalb notwendig sind, um den Rest eines Unternehmens wieder zukunftsfähig zu machen. Er jedenfalls will mit Voestalpine im Jahr 2020 passenderweise runde 20 Milliarden Euro Umsatz machen – und hofft, dass es schon sehr viel früher in der europäischen Politik die Einsicht gibt, dass die Energiepreise auch in dieser Region wieder sinken müssen.
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Kein Fracking notwendig
In Texas strömt das Gas normal aus der Erde. Fracking war dort noch nie notwendig.