Die Situation scheint festgefahren zu sein. Die ersten Streiks in der deutschen Tochtergesellschaft des amerikanischen Onlinehändlers Amazon haben bislang wenig bis nichts bewirkt. Der geforderte Tarifvertrag ist nicht in Sicht. Und das, obwohl seit Monaten am größten Standort in Bad Hersfeld und in Leipzig immer wieder gestreikt wird. Zuletzt waren es in Bad Hersfeld sogar drei Tage am Stück. Der Ablauf an jenen Tagen ist immer der gleiche: Zunächst zieht die zuständige Gewerkschaft Verdi eine Erfolgsbilanz und gibt Teilnehmerzahlen bekannt. Amazon kontert ungerührt, korrigiert die Zahlen nach unten und verkündet, dass durch den Ausstand keine Störungen entstanden sind, die Kunden also nicht länger auf ihre bestellte Ware warten mussten.
Deshalb stellt sich inzwischen die Frage: Kann es sein, dass sich Verdi an dem Unternehmen, dessen Chef gerade die renommierte Tageszeitung „Washington Post“ gekauft hat, die Zähne ausbeißt? Die Gewerkschaft beantwortet das auf ihre Weise – und will nicht aufgeben. Auch wenn jetzt Sommerpause ist, die Streiks werden weitergehen, sagt zum Beispiel der Leipziger Verdi-Vertreter Thomas Schneider: „So ein Weg zu einem Tarifvertrag ist immer ein Prozess, da gibt es keine Schnellstraße“, sagt er. Verdi sei auf eine lange Distanz eingerichtet.
Ob er ans Scheitern denkt? „Das ist für uns keine Frage, über die wir uns den Kopf zerbrechen.“ Seine hessische Gewerkschafts-Kollegin Mechthild Middeke denkt genauso. Sie wertet die Ankündigung, dass es Weihnachtsgeld geben soll, als ein Zeichen, dass sich etwas bewegt. „Die Kollegen haben gesagt, jetzt erst recht, Amazon bewegt sich zwar, aber das reicht uns nicht.“ Amazon indessen will diese Geste nicht als Einlenken verstanden wissen. Das Weihnachtsgeld habe gar nichts mit den Streiks zu tun, heißt es dort. Verdi fordert für die Beschäftigten einen Tarifvertrag nach den Konditionen des Einzel- und Versandhandels. Amazon orientiert sich dagegen nach eigenen Angaben an der Bezahlung in der Logistikbranche. In einer Stellungnahme hatte Amazon kürzlich bekräftigt, dass für Kunden und für Mitarbeiter kein Vorteil in einem Tarifabschluss gesehen werde.
Es geht nicht nur um einen Tarifvertrag
Für die Mitarbeiter von Amazon geht es nicht aber nur um einen Tarifvertrag, sondern auch um professionellere Abläufe im Unternehmensalltag: So war schon Anfang des Jahres auf der Verdi-Website eine solche Klage eines Mitarbeiters zu lesen: „Und so kann es einfach nicht zufriedenstellend sein“, hieß es dort, „dass ein Unternehmen, das über die Internetplattform seinen Handel betreibt und in den Arbeitsabläufen mit hohen technischen Automatismen funktioniert, es seit nun drei Jahren nicht in den Griff bekommt, die Gehaltsabrechnungen für die Monate November, Dezember und bei einigen auch Januar mit richtiger Verrechnung abzuschließen. So kommt es bei vielen Mitarbeitern vor, dass die Dezember-Abrechnung erhebliche Mängel aufweist … Und selbst im Monat Januar, wo viele für das kommende Jahr ihre Versicherungsbeiträge zahlen müssen, stimmen bei vielen die Abrechnungen nicht. Viele werden auch in diesem Monat weiter ihrem Geld hinterherlaufen …“
Verdi bestätigt, dass die vergleichsweise kleine Personalabteilung von Amazon mit dem Ansturm der Saisonarbeiter zum Jahreswechsel überfordert sei. Schlimm werde es, wenn ein Mitarbeiter in dieser Zeit krank werde. Denn jeder Spezialfall überfordere die Personaler. Eine Beratung finde nicht ausreichend statt. Laut Amazon handelt es sich dabei allerdings um Einzelfälle. Man sei stets sehr darum bemüht, Probleme schnell zu beseitigen. Manchmal könne eine korrekte Auszahlung auch an Dingen wie einer falsch angegebenen Kontonummer scheitern. Um was für Sorgen es dabei im Einzelfall gehen kann, belegt der Brief eines Mitarbeiters, der wegen mangelnder Beratung in einer misslichen Situation steckte: „Ich war … in der Frühschicht (Abt. Packen, Manager) beschäftigt. Ende November bekam ich während der Arbeit so starke Schmerzen in der rechten Hand, dass ich nicht mehr weiterarbeiten konnte. Ich wurde mit Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom krankgeschrieben. Später erwies es sich als eine Arthrose durch die arbeitsbedingte Überlastung der Hand. Ich war daraufhin bis 31. Dezember krankgeschrieben. Jetzt nach der Lohnabrechnung bekam ich lediglich 165 Euro überwiesen. Auf Nachfrage wurde mir gesagt, dafür sei die Krankenkasse zuständig, da die Krankschreibung innerhalb der ersten vier Wochen war. Die Krankenkasse sagte mir daraufhin, dass ich von Amazon nur mit einem ermäßigtem Beitragssatz angemeldet wurde, wodurch ich keinen Anspruch auf Krankengeld habe.“ Mit seinen Fragen fühlte sich der Mann alleingelassen.
Langer Atem gefragt
Für Heiner Dribbusch, einen Streikfachmann der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, spricht jedenfalls einiges dafür, dass es auch im Kampf um den Tarifvertrag keine schnelle Einigung gibt. Das gelte auch deshalb, weil immer nur ein Teil der Belegschaft streike. In der Regel endeten Streiks mit einem Kompromiss. Dass sich eine der Parteien vollständig durchsetzen könne, sei sehr selten, sagt Dribbusch. Genauso selten sei es aber auch, dass ein Streik ergebnislos ende. Wenn sich der Arbeitgeber weigere, überhaupt einen Tarifvertrag abzuschließen, ziehe sich die Auseinandersetzung besonders lange hin. So gab es beispielsweise erst nach 126 Tagen Streik beim Sparkassen-Callcenter S-Direkt in Halle einen Abschluss. Insofern müssen die Amazon-Mitarbeiter einen langen Atem haben. Doch selbst wenn sie den beweisen, bleibt in diesem Fall immer noch die Frage offen, wie viele von ihnen überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind. Verdi gibt hierzu keine Zahlen bekannt. Je weniger Mitarbeiter an einem Standort aber auf Verdi hören, desto weniger Durchschlagskraft haben die Streiks. Auch darauf scheint Amazon zu setzen.
Neue Verteilzentren
Hinzu kommt, dass für das kommende Weihnachtsgeschäft neue Verteilzentren im grenznahen Ausland wichtiger werden. Denn Amazon baut sein Lagernetz in Mitteleuropa derzeit weiter aus. Schon im Oktober soll ein neues Logistikzentrum in der Nähe des Prager Flughafens eröffnen. In dem rund 25 000 Quadratmeter großen Gebäude sollen hauptsächlich Retouren deutscher Kunden bearbeitet werden. Zum Auftakt werden dort nach Unternehmensangaben bis zu 1000 neue Stellen geschaffen. Darüber hinaus prüft Amazon den Bau eines Logistikzentrums in Österreich. Und im Herbst kommt ein weiteres Versandzentrum im brandenburgischen Brieselang hinzu.
Mit Material von dpa.
Der Autor auf Twitter: www.twitter.com/carstenknop
Vom selben Autor: “Amazon kennt dich schon”:https://www.fazbuch.de
Hallo,...
haben Sie das auch schon beobachtet. Die meist gebrauchten Vokabeln in den
“Demokratie-Zeit-Nachrichten” sind “Streit, Kampf, Krieg,…”
Komisch, oder? Bei einer “westlichen Welt” auf “christlicher Bais” würde ich
eigentlich andere meistgbrauchte Vokabeln erwarten…friedlich(t)e, Vernunft erkennbare.
:-)