Claus-Dietrich Lahrs ist keiner, der sich lautstark freut. Doch der Vorstandsvorsitzende von Boss kann es auch nicht verbergen, dass er dem kommenden Februar geradezu entgegenfiebert. In seinen stets etwas zugekniffenen Augen blitzt es geradezu, wenn er über die nächste New Yorker Fashion Week spricht, die dann erstmals unter Beteiligung von Hugo Boss stattfinden wird. Dort, also in New York, soll alle Welt erkennen können, dass Boss mit der Damenmode eine neue Ära beginnen will. Lahrs formuliert das etwas zurückhaltender, um bisher Erreichtes nicht abzuwerten. „Unsere Mode läuft jetzt schon gut. Was wir in New York zeigen, ist aber ein Statement, in welche Richtung wir gehen: Unsere Mode wird noch femininer, mit raffinierteren Schnitten“, sagt er im Gespräch.
Lahrs’ Hoffnungen sind mit dem Namen des Designers Jason Wu verknüpft, den er für Boss gewinnen konnte. Wu taucht regelmäßig in der Modepresse auf, seit Michelle Obama 2009 ein extravagant-einseitig geschnittenes weißes Chiffonkleid des Modeschöpfers auf ihrem ersten Ball als Präsidentengattin trug. Aufgewachsen in Taipeh und Vancouver, mit unternehmerischem Erfolg als Puppenkleider-Schneider und eigenem Mode-Label fügt der 30 Jahre junge Designer Wu seiner Multikulti-Erfahrung nun den Standort Metzingen hinzu.
New York und Metzingen
Das idyllische 20 000 Einwohner zählende Städtchen am Fuße der Schwäbischen Alb ist der Sitz der Hugo Boss AG: „Wer nur in New York arbeiten kann, ist in Metzingen unglücklich“, sagt Lahrs – und berichtet fröhlich-verschmitzt von einem gemeinsamen Ausflug ins Waldcafé Pfullingen, wo man eben nicht nur stilvoll speisen, sondern auch eine atemberaubende Aussicht genießen kann. Will heißen: Wu kann nach Ansicht von Lahrs eben sehr viel mehr als New York.
Der prominente Name soll in der schwäbischen Provinz einen Trend aufnehmen helfen, den sich Boss in den kommenden Jahren zunutze machen will. Denn der gesellschaftliche Wandel spielt dem Modekonzern in die Hände. „Die Zahl der Frauen mit beruflichen Ambitionen wird größer, ob es nun eine Frauenquote gibt oder nicht. Und auch jene, die nicht berufstätig sind, entfalten Aktivitäten, die entsprechende Kleidung erfordern“, konstatiert Lahrs.
Schon vor gut 15 Jahren hat sich Boss darauf eingestellt und eine Damenkollektion entwickelt. Während aber früher die Kreativen von Boss Man die Womanswear gleichsam nebenbei bearbeiteten, hat Boss mittlerweile die komplette Struktur umgestellt. Von der Entwicklung über den Einkauf bis hin zu den Shops hat die Damenmode-Sparte inzwischen ihre eigenen Verantwortlichen: „Das darf man nicht unterschätzen. Solche Strukturen muss man erst mal schaffen. Dafür haben wir viel Zeit gebraucht“, berichtet Lahrs. Die Anstrengung könnte sich lohnen: „Der Markt für Damenmode ist doppelt so groß wie der für die Männer. Diese Chance liegenzulassen wäre schade.“
Mit Frauenmode als Anbieter interessanter
Den Erfolg für die Frauenmode sucht Lahrs indes nicht nur mit Blick auf die reine Umsatzzahl. „Ein Modekonzern, der es schafft, auch Womanswear gut zu machen – wie es beispielsweise auch Armani gelingt –, ist einfach interessanter“, sagt Lahrs. Wenn Boss über ein Geschäft in einem Einkaufszentrum verhandele, bekomme man bessere Flächen als reine Herrenausstatter, die sich mit schlechter Frequenz zufriedengeben müssten. Und mit der Berufung des jugendlich wirkenden Wu fügt Boss der Marke nun einen Glamourfaktor hinzu, der dem Anzugspezialisten aus Metzingen rund um die Welt mehr Präsenz in Hochglanzmagazinen wie in Einkaufszonen und -zentren bringen soll.
In Euro will der Boss-Vorstandsvorsitzende seine Erwartungen an den neuen Designer nicht ausdrücken. Man habe auch Jason Wu keine konkrete Zahl vorgegeben: „Das ist im Gespräch mit Designern unüblich.“ Da gehe es um kreative Dinge, die Einstellung zur Perspektive der Marke. Ohnehin sieht man sich bei Boss keineswegs als Bittsteller im Verhältnis zu dem jungen Stardesigner. Von Partnerschaft auf Augenhöhe spricht Lahrs und davon, dass es für so einen Designer ganz schön attraktiv sein müsse, einerseits ein Label zu verantworten, das schon eine Viertel Milliarde Euro Umsatz mache, andererseits aber nicht durch irgendwelche Designer-Eskapaden aus der Vergangenheit vorbelastet sei. Wu übernehme damit eine Art unverbrauchtes Start-up, das aber schon auf Kontinenten präsent sei „mit einer Infrastruktur, die darauf wartet, Damenmode zu verkaufen“.
Überproportionales Wachstum erwartet
Für den Kaufmann Lahrs ist jedenfalls klar: Die Damenmode soll in den nächsten Jahren überproportional wachsen, und das, obwohl das Ziel für den Gesamtkonzern ohnehin schon „recht sportlich“ sei. Bis zum Jahr 2015, so hat Lahrs vor zwei Jahren vorgegeben, soll der Umsatz auf 3 Milliarden Euro steigen, das operative Ergebnis dann 750 Millionen Euro erreichen. Dieses Jahr mögen erstmals Zweifel wachsen an diesen Zielen. Während zuletzt zweistellige Zuwachsraten erzielt wurden, muss sich Boss in diesem Jahr voraussichtlich mit einem Plus im einstelligen Bereich zufriedengeben.
Die schlechte Konjunktur in Europa, dem immer noch wichtigsten Markt für Boss, macht sich bemerkbar, auch wenn Lahrs schon eine leichte Entspannung beobachtet. In China läuft es auch nicht optimal, was Lahrs mit dem Regierungswechsel in Verbindung bringt, der zugleich zu einem kompletten Austausch der wirtschaftlichen Eliten geführt habe. „Langfristig wird das jedoch eine große Wachstumsstory sein“, sagt der Boss-Chef aber voller Zuversicht: „Nur wird es nicht mehr so einfach sein wie früher. Der Wettbewerb wird so hart sein wie bei uns.“ Trotzdem ist Lahrs zuversichtlich, dass Boss mittelfristig, was den Umsatz in China betrifft, ein nach wie vor deutliches Potential nach oben hat. Und das gelte auch für Amerika: „Wir stehen auf mehreren Beinen“, betont er.
Immer mehr eigene Läden
Das gilt nicht nur für die Regionen, sondern auch für die Vertriebskanäle. War Boss vor einigen Jahren noch komplett auf Handelspartner angewiesen, wird in eigenen Geschäften mittlerweile schon 52 Prozent des Umsatzes erzielt. Teilweise ist das den Strukturen in den neuen Märkten geschuldet, wo es keine alteingesessenen Textilgeschäfte gibt wie etwa Peek & Cloppenburg oder Breuninger hierzulande. Boss hat sich aber auch bewusst dafür entschieden, die Präsenz im Einzelhandel auszubauen und den Erfolg stärker in die eigene Hand zu nehmen. Die Strategie geht auf, wie Lahrs berichtet. Um die Höhe des durchschnittlichen Bons macht er ein Geheimnis. Aber den Unterschied beschreibt er plastisch: „Es gibt leider immer weniger Partner, die den Kunden mit einem kompletten Outfit beraten, das heißt nicht nur mit einem Teil in die Kabine gehen lassen, sondern ein passendes Hemd dazu reichen, eine Krawatte, Schuhe – wie wir das zum Beispiel in unseren eigenen Geschäften tun.“ Im Ergebnis lasse jeder Besucher eines Boss-Shops 20 bis 30 Prozent mehr liegen als in einem durchschnittlichen Textilkaufhaus.
Eine weitere Verbesserung verspricht man sich in der Boss-Zentrale vom Online-Handel. „Es wird noch eine Weile dauern, bis das Online-Geschäft 5 Prozent zum Konzernumsatz beiträgt“, warnt Lahrs zwar vor überzogenen Erwartungen. Er sieht denn auch mehr den Service-Charakter: „Die Kunden können sich schon einmal ein Bild machen über unser Sortiment, beispielsweise. Oder: wenn in einer kleinen Filiale ein bestimmtes Produkt nicht vorhanden ist, kann das dort online gesucht und in die Filiale bestellt oder direkt nach Hause geliefert werden.“ Weniger als 40 Prozent aller bestellten Artikel werden von den Kunden wieder zurückgeschickt. Damit liegt Boss nach Lahrs’ Angaben deutlich unter reinen Online-Händlern, die bis zu 60 Prozent Retouren vermelden. Lahrs ist davon überzeugt, dass nicht zuletzt die Passform-Treue von Boss dazu beiträgt, dass die Kunden insgesamt treffsicherer sind: Wer einmal herausgefunden habe, was ihm passt, könne immer und immer wieder die gleiche Größe bestellen und sicher sein, dass Anzug, Shirt und Schuhe auch immer wieder passen. „Wir kommen eben vom Anzug. Der muss sitzen“, erklärt er: „Es wäre verrückt, diese Kompetenz nicht zu übertragen.“ Sogar mit schwäbischen Tugenden bringt Lahrs diese besondere Erfahrung im Anzugnähen in Verbindung: „Einen Anzug zu fertigen ist nicht nur gute Handwerkskunst, sondern erfordert auch mechanische Fähigkeiten.“ Lahrs weiß, dass „German engineering“ auf der ganzen Welt anerkannt ist.
Die Kunst des Schneiderns
Mit einer Show unter dem Titel „The Art of Tailoring“ will Hugo Boss deshalb vom nächsten Jahr an vor allem die Chinesen für die High-Tech-Story hinter dem Kleidungsstück begeistern. Dort sieht Lahr, zumindest außerhalb der Metropolen, auch noch Nachholbedarf in Sachen Anzug: „Selbst wichtige Entscheidungsträger sind in Sportswear oder Casual-Mode gekleidet“, stellt er bedauernd fest. Dass das zum globalen Trend werden könnte, befürchtet er aber nicht. Ganz im Gegenteil: Weil die Zeiten im Geschäft härter geworden seien und jeder zeigen wolle, dass er sich Mühe gebe, habe in der Kleidung das Formelle in allen Regionen wieder an Bedeutung gewonnen, auch in Amerika.
Während den Herren indes der Anzug als eine Art Uniform dient und damit eine gewisse Sicherheit gibt, haben die Business-Frauen einen größeren Spielraum. Das schwarze Kostüm ist erlaubt, aber bitte schön nicht immer, sagt Lahrs. Er freut sich über Kleider in tollen Drucken, kombiniert mit einer Lederjacke oder ein Shirt unter der schwarzen Jacke. Sogar Neongelb ist im Showroom fürs nächste Frühjahr zu sehen. Unter der kreativen Leitung von Jason Wu soll die Kollektion noch femininer werden, noch raffiniertere Schnitte präsentieren.
„Beruflich erfolgreiche Frauen haben wenig Zeit“, sagt Lahrs, „und oft muss das Outfit sowohl fürs Büro passen wie auch für die folgende Abendveranstaltung.“ Den Spagat will Boss den Kundinnen gemeinsam mit Jason Wu ermöglichen, wobei Lahrs weiß, dass die Ansprüche hoch sind: „Frauen, die selbstverdientes Geld ausgeben, sind deutlich kritischer.“
Zum Unternehmen
Der Boss-Vorstandsvorsitzende wurde zu seinem Amtsantritt vor fünf Jahren eher eindimensional wahrgenommen: als Vollstrecker des Finanzinvestors Permira. Dieser hatte damals die Mehrheit an der Hugo Boss AG vom italienischen Textilkonzern Marzotto gekauft, konnte aber mit dem amtierenden Vorstand unter Vorsitz von Bruno Sälzer (heute Chef der Escada AG) seine Vorstellungen nicht durchsetzen. Von entsprechendem Misstrauen begleitet, war Lahrs’ Start bei Boss reichlich holprig. Zahlreiche Top-Manager gaben auf. Eine Reihe von Führungskräften hingegen engagierte sich aber, wie auch Lahrs selbst, mit eigenem Geld – und werden bei einem Ausstieg Permiras voraussichtlich mit einem Vielfachen ihres Einsatzes entlohnt. Der heute 50 Jahre alte Lahrs, Vater zweier Kinder, hat in Bochum, Köln und Paris Wirtschaft und internationales Management studiert und sehr schnell in der Luxusgüter-Branche Karriere gemacht. Was zu seinem Dienstantritt unterschätzt wurde: Selbst in der reichlich abgeschotteten französischen Wirtschaftswelt brachte er es bis zum Geschäftsführer Dior Couture, bevor er zu Boss wechselte. Dort regiert er hart, aber herzlich – mit Erfolg.
Der heute auf der ganzen Welt tätige Modekonzern wurde schon 1924 von Hugo Ferdinand Boss gegründet, der allerdings noch Berufsbekleidung fertigte. Erst der Schwiegersohn Eugen Holy begann in Wirtschaftswunderzeiten mit der Fertigung von Herrenanzügen. Es sollte das Produkt werden, mit dem die Marke Boss bis heute zuerst assoziiert wird. Die dritte Generation, Jochen und Uwe Holy, veräußerte Boss in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an die italienische Marzotto-Gruppe, um sich anderen unternehmerischen Tätigkeiten zuzuwenden. Unter anderem waren die beiden Brüder die treibende Kraft bei der Entwicklung ihrer Heimatstadt Metzingen zum größten Outlet-Standort in Deutschland, an dem längst nicht mehr nur Boss mit seinen reduzierten Kollektionen vertreten ist. Seit dem Jahr 2007 ist der Finanzinvestor Permira Hauptaktionär der Hugo Boss AG. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete der Konzern mit knapp 12 000 Mitarbeitern einen Umsatz von gut 2,3 Milliarden Euro, rund doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Der Aktienkurs hat sich zuletzt ebenfalls sehr gut entwickelt. Zudem eröffnet das Unternehmen immer mehr eigene Läden (siehe Grafik). Beim Umsatz plant der Boss-Vorstandsvorsitzende Lahrs eine weitere Steigerung auf 3 Milliarden Euro bis zum Jahr 2015.
Unter federführender Mitarbeit von Susanne Preuß.
Die Autoren auf Twitter: www.twitter.com/carstenknop und www.twitter.com/supreuss
Vom selben Autor: “Amazon kennt dich schon”:https://www.fazbuch.de
PR-Artikel...
haben imho nichts im FAZ-Blog zu suchen!
Sour times
Diese Marke hat noch erhebliches Potential. Ein bis zur Unkenntlichkeit verneintes Ich muss die Sicherheit der massenkompatiblen Zwangsjacke schätzen: sour times.
Die Deutschen
schätzen und lieben das Eigene zu wenig m.M.n.
Was Fashion betrifft: Ich rate auf Ueberflüssiges zu verzichten…. Eine Frau kann
ein Kleid resp. Damenkostum selbst mit Acessoires versehen.