An amerikanischen Börsen werden Computerpannen Alltag. Am vergangenen Donnerstag war – einmal wieder – der Handel an der elektronischen Nasdaq-Börse betroffen. Der Ausfall soll mehr als drei Stunden gedauert haben und hat nach übereinstimmender Meinung der Marktteilnehmer an der Wall Street nur deshalb zu keinen noch größeren Verwerfungen geführt, weil es sich um einen ruhigen Handelstag im Hochsommer gehandelt hat. Der Grund für den Ausfall wurde von der Nasdaq bisher nicht exakt benannt. Es habe sich um nicht näher beschriebene „äußere Einflüsse“ gehandelt; die Rede ist auch von einem „Verbindungsproblem“ zwischen einem Börsenteilnehmer mit dem System, in dem alle Kursdaten der Nasdaq zusammenlaufen.
Gerüchte, dass es sich bei diesem Börsenteilnehmer um einen Hochfrequenzhändler handeln könnte, halten sich angesichts der nebulösen Angaben hartnäckig. Und damit hätte die Nasdaq in einer Falle gesessen, mit der sich auch ihre Wettbewerber rund um die Welt derzeit ständig auseinandersetzen müssen. Denn die fünfzig besten Hochgeschwindigkeitshändler liefern sich ein aberwitziges Wettrennen um Preisunterschiede im Cent-Bereich – und belasten die Infrastruktur der Börsen entsprechend.
Hier ist Zeit wirklich Geld
Natürlich geht es für die Hochfrequenzhändler um sehr viel Geld. Und die Systeme mit den schnellsten Computern und den pfiffigsten Algorithmen machen die größten Gewinne. Sie handeln innerhalb der Börsen-Rush-Hour zwischen 15 und 16 Uhr nach Angaben aus dem vergangenen Jahr in der Regel 70 bis 80 Millionen Wertpapiere. Durchschnittlich, also über alle Handelshäuser hinweg, werden im Hochgeschwindigkeitshandel 60 Millionen Käufe und Verkäufe je Tag und Handelseinheit abgewickelt. Zum Jahreswechsel 2012/13 lag das in jeder einzelnen Sekunde mögliche Handelsvolumen eines Hochgeschwindigkeits-Rechenzentrums bei durchschnittlich 250 000 Transaktionen. Bis zum Jahr 2014 werden von den auf der Welt führenden Handelshäusern aber schon 400 000 Transaktionen in der Sekunde angestrebt.
Mancher Börsenbetreiber kommt da nicht immer mit, und das gilt nicht nur für die Nasdaq: So hat der Börsenbetreiber Bats, die Nummer drei der Branche, zum Jahreswechsel 2012/13 mitgeteilt, dass in den vorangegangenen vier Jahren rund 430 000 Transaktionen zu falschen Kursen ausgeführt wurden. Die Programmierfehler kosteten Händler insgesamt rund 420 000 Dollar. Der finanzielle Schaden ist damit also überschaubar. Der Schaden für den Ruf der Börse ist dennoch groß, da Kunden den besten an den amerikanischen Aktienmärkten verfügbaren Preis erhalten müssen. Auch der Branchenprimus, die New York Stock Exchange, hatte kurz nach Weihnachten 2012 gleich zweimal mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen, die allerdings schneller behoben wurden. Das Fazit ist naheliegend: Nach der Einschätzung von Fachleuten sind die diversen Pannen eine Folge des scharfen technologischen Wettbewerbs unter den Börsen, die für die Hochfrequenzhändler attraktiv bleiben müssen.
Computer möglichst nah an der Börse
Auch in Frankfurt haben alle Hochfrequenzhändler ihre Rechner möglichst nah am Großrechner der Börse stehen. Jeder Meter Kabel kostet womöglich entscheidende Millisekunden. Und weil es in kaum einem anderen Geschäft so sehr auf Millisekunden ankommt wie im Wertpapierhandel, wollen die größten Börsenbetreiber der Welt ihre Kunden mit immer schnelleren Verbindungen locken: Dabei spielt selbst die Mikrowellentechnologie eine Rolle, mit der zu bestimmten Bedingungen Preise und andere Marktinformationen schneller übertragen werden können als mit Glasfaserkabeln unter der Erde. Einige der großen Handelsunternehmen haben unterdessen schon ihre eigenen Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen den wichtigen Finanzmetropolen aufgebaut.
Auch die Algorithmen, um die es hier geht, sind so programmiert, dass sie auf bestimmte Schlüsselbegriffe und Zahlen aus Pressemitteilungen sofort reagieren. Hochfrequenzhändler werden deshalb an typischen Verhaltensweisen identifiziert: Für sie ist Geschwindigkeit der zentrale Wettbewerbsfaktor. Ausdrücklich geht es nicht um eine mittel- oder gar langfristige Geldanlage. Hochfrequenzhändler handeln meist nur innerhalb eines Tages und halten am Ende eines Handelstages keine Positionen mehr. Ihr Handeln basiert allein auf den beschriebenen Computeralgorithmen, die kleinste Preisunterschiede an den Börsen auszunutzen wissen, und sie handeln meist kleinere Positionen, die sie nur wenige Sekunden oder Minuten halten. Die Formel lautet also: immer schnellerer Handel, immer höherer Gewinn. Mehr als zwei Drittel des Handelsvolumens an den amerikanischen Börsen sind im Jahr 2012 schon auf den millisekundenschnellen Handel entfallen, bei dem statt der Händler Computer Entscheidungen treffen. In Deutschland werden 40 Prozent der Handelsaktivitäten nach diesem Muster getätigt.
Dominoeffekte möglich
In den Programmzeilen der Software, die automatisch mit Aktien handelt, also auf der Seite der Hochfrequenzhändler selbst, können ebenfalls Schwierigkeiten stecken: Werden mehrere hunderttausend Mal je Sekunde Verkaufsorders eingegeben, kann das zu Dominoeffekten führen, die einen Aktienindex dramatisch abrutschen lassen – so wie im Oktober 2010 geschehen. Damals haben die Algorithmen gleich mehrerer Handelshäuser gleichzeitig Aufträge am Markt plaziert und damit die Kurstendenz nach unten verstärkt.
Update: In der Nacht zum Freitag, dem 30. August, hat die Nasdaq erstmals konkret über die Ursache des Fehlers berichtet, hier zitiert nach der Berichterstattung durch die Nachrichtenagentur Reuters:
Der US-Aktienmarktbetreiber Nasdaq OMX macht einen eigenen Software-Fehler sowie Probleme im System seines Rivalen Nyse für die jüngste Handels-Panne verantwortlich. Schwierigkeiten bei Arca, dem vollelektronischen Aktienmarkt der New York Stock Exchange (Nyse), hätten zum Zusammenbruch eines zentralen Sicherungssystems geführt, erklärte Nasdaq. Zuvor habe es Verbindungsprobleme zwischen dem Securities Information Processor (SIP) der Nasdaq und Arca gegeben. SIP ermittelt die Aktienpreise und überträgt sie an den Markt. Der Börsenbetreiber räumte ein, dass die Zwangspause für die Marktteilnehmer inakzeptabel sei. Das SIP-System solle nun widerstandsfähiger gemacht werden.
Die Nasdaq war am vergangenen Donnerstag überraschend für drei Stunden komplett lahmgelegt. Insgesamt 3200 Aktien waren betroffen, darunter Google, Facebook oder Apple. Reuters hatte zuvor aus mit der Situation vertrauten Kreisen erfahren, dass sich die Konkurrenten Nyse und Nasdaq völlig uneins über die Ursache der Panne seien. Im Zentrum ihres Streits steht demnach die Frage, wo genau das Problem auftauchte: bei SIP oder bei Arca.
Der Börsenbetreiber Nasdaq erklärte am Donnerstag weiter, Arca habe sich am Morgen des 22. August mehr als 20 Mal mit SIP verbunden und dann wieder getrennt. Dies habe einen Großteil der Prozessor-Kapazität in Anspruch genommen. Arca habe zudem reihenweise falsche Aktiencodes an SIP gesendet, was zahlreiche Fehlermeldungen ausgelöst und das System weiter belastet habe. Das Zusammentreffen dieser Ereignisse habe SIP überlastet, was wiederum durch einen Fehler in dessen Software nicht habe verhindert werden können.
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Vom selben Autor: “Amazon kennt dich schon”:https://www.fazbuch.de