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Sweet home Alabama: Wie sich Heinrich Hiesinger mit Thyssen-Krupp abarbeitet

Heinrich Hiesinger darf Thyssen-Krupp aufräumen. Vorgestellt hatte er sich gewiss etwas anderes. Aber immerhin scheint es mit dem Werksverkauf in Amerika Fortschritte zu geben. Nippon Steel & Sumitomo Metal und Arcelor Mittal kauften das Werk angeblich gemeinsam - für wahrscheinlich rund 1,5 Milliarden Dollar. Das zumindest sagen Marktbeobachter.

Heinrich Hiesinger reist mit kleinem Arbeitsgepäck. Um die Nöte des traditionsreichen deutschen Stahlkonzerns Thyssen-Krupp zu erläutern, braucht er keine Power-Point-Präsentation, sondern nur ein DIN-A4-Blatt. Um so schwerer ist der unsichtbare Ballast, den Hiesinger mit sich trägt. Letztlich geht es darum, dem angeschlagenen Konzern überhaupt eine Zukunft zu verschaffen. Im Arbeitsdeutsch klingt das so: „Thyssen-Krupp – Strategische Weiterentwicklung“. Das steht als Überschrift auf dem Papier, das Hiesinger zu seinem Mantra machte. Jede Führungskraft muss diesen Leitfaden verinnerlicht haben. Denn immer wieder ist er Ausgangspunkt interner Besprechungen. Sechs farbige Spalten beschreiben darauf die Ziele. Man könnte aber auch sagen, dass sie die Stationen des Leidensweges von Hiesinger sind, dem ehemaligen Industrievorstand von Siemens, der im Januar 2011 Vorstandsvorsitzender von Thyssen-Krupp wurde.

 Als der promovierte Ingenieur im Oktober 2010 in Essen zur Vorbereitung auf seine neue Aufgabe in den Vorstand eingetreten war, legte der damalige Thyssen-Krupp-Chef Ekkehard Schulz bald darauf einen ermutigenden Jahresbericht vor. Jedenfalls auf den ersten Blick: Nach 1,5 Milliarden Euro Kosteneinsparungen war das Ergebnis vor Steuern im Geschäftsjahr 2009/10 um 3,5 Milliarden Euro auf positive 1,1 Milliarden Euro verbessert worden. Das wahre Bild indes sah anders aus. Die Bestandsaufnahme, die Hiesinger in den nächsten Monaten machte, fiel ernüchternd aus. In Amerika tickte in der neuen Stahlhütte in Brasilien und den Walzwerken in Alabama eine Bombe finanzieller Lasten. Zudem fehlte dem Konglomerat die Struktur für eine nachhaltige Stärkung von Ertrags- und Investitionskraft.

Eine Zeit harter Einschnitte

Mit der Ankündigung, dass sich Thyssen-Krupp innerhalb von 18 Monaten von Unternehmen und Beteiligungen mit 35 000 Beschäftigten und einem Viertel des Konzernumsatzes trennen werde, setzte der neue Chef bald ein Zeichen: Hiesingers Ära würde zu einer Zeit harter Einschnitte werden. Tabus kann sich Thyssen-Krupp dabei nicht mehr erlauben. Unter den inzwischen verkauften Geschäften befand sich sogar das Edelstahlgeschäft, in dem sich Krupp innerhalb von fast hundert Jahren zum Weltmarktführer aufgeschwungen hatte. Ein Konzern schüttelt sich durch – und Hiesinger bleibt nichts anderes übrig, als sein Programm abzuarbeiten. Er macht das unaufgeregt und nachhaltig, aber die Anstrengung ist ihm anzusehen. Wohl jeder wird ihn einen Tick älter schätzen als die 53 Lebensjahre, die er bisher vollendet hat.

Am schmerzlichsten ist das Scheitern der Stahlstrategie in Amerika, die den Konzern sagenhafte 12 Milliarden Euro kostete, rund 6 Milliarden Euro Abschreibungen verursachte und wesentlich dazu beitrug, dass das Eigenkapital bislang um mehr als 7 Milliarden Euro auf knapp 3 Milliarden Euro abschmolz. Dazu kommen Schwierigkeiten mit dem Kartellrecht und die europäische Stahlmarktkrise, die den Konzern erschüttern. Nicht zu vergessen ist der für die deutsche Industrie beispiellose personelle Erneuerungsprozess an der Spitze: Ekkehard Schulz und Gerhard Cromme, zwei Schlüsselfiguren für den Zusammenschluss von Thyssen und Krupp, fielen nach und nach bei Berthold Beitz, dem Vorsitzenden des Großaktionärs der Krupp-Stiftung, in Ungnade und mussten sich zurückziehen. Noch in Zusammenarbeit mit Cromme, der als Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp und Siemens Hiesinger nach Essen geholt hatte, trennte sich der Konzernchef im vergangenen November von drei Vorstandskollegen und verkündete einen kulturellen Neuanfang. Seither ist er permanent gefordert, das Problem der beiden amerikanischen Stahlstandorte und des geringen Eigenkapitals in den Griff zu kriegen.

Die Ruhe wird nicht nur bewundert

Von all dem lässt sich Hiesinger nichts anmerken, wenn er sein Mantra vorträgt. Er benennt die Schwierigkeiten, die den Sanierungsprozess stören, und die Lösungsoptionen. Dagegen beschreibt der Techniker begeistert die Leistung der Beschäftigten in der brasilianisch Hütte. Und selbst die existentielle Frage der nur noch dürftigen Eigenkapitalausstattung wiegelt er ab. Der Vorstand habe Optionen geschaffen, um das Problem zu gegebener Zeit zu lösen. Im Übrigen seien die angelsächsischen Aktionäre, die die Mehrheit der Aktien halten, viel mehr an der Liquidität interessiert. Und die sei gut. Zerschlagungsspekulationen lässt er mit der Frage abperlen, wer dann wohl die 8 Milliarden Euro Pensionsrückstellungen für die Stahlarbeiter in seine Bücher nehmen werde. Emotionaler beschreibt er die Chancen des Konzerns, sich mit Innovationen eine gute Position als Technologiekonzern erarbeiten zu können. Diese Ruhe wird allerdings nicht nur bewundert.

Zunehmend wird moniert, dass die Aufräumarbeiten in Verzug kämen. Bisher juckt das den auf einem Bauernhof im äußersten Osten Baden-Württembergs aufgewachsenen Hiesinger wenig. Die Bilanzpressekonferenz wurde wurde jüngst um knapp zwei Wochen verschoben, weil sich bis dahin aus fortgeschrittenen Verkaufsverhandlungen für das Walzwerk in Alabama Fortschritte für die Bilanzsanierung ergeben könnten. Die Wettbewerber Nippon Steel & Sumitomo Metal und Arcelor Mittal kauften das Werk angeblich gemeinsam für 1,95 Milliarden Dollar, ist inzwischen zu hören. Ohne große Kulisse arbeitet sich Hiesinger Schritt für Schritt voran, dass das aber eine Menge Mühe macht, sieht man ihm an.

Unter Mitarbeit von Werner Sturbeck.

Der Autor auf Twitter: www.twitter.com/carstenknop