Jeff Bezos, der Gründer des weltgrößten Onlinekaufhauses Amazon.com, hat die „Washington Post“ gekauft. Auf seinen Bankkonten wird er den Kaufpreis von 250 Millionen Dollar kaum spüren. Denn um Geld muss sich Bezos in seinem Leben keine Sorgen mehr machen: Amazon wird zwar erst zwanzig Jahre alt, aber es hat die Welt des Handels digitalisiert und Bezos reich gemacht. Sein Vermögen wird auf 25 Milliarden Dollar geschätzt. Allein in Deutschland hat Amazon 2012 einen Umsatz von umgerechnet 6,5 Milliarden Euro gemacht – und längst schickt sich Bezos an, mit seinen Kindle-Taschencomputern zu einem der wesentlichen Vertriebskanäle auch von digitalen Medien zu werden. So dynamisch kann die digitale Welt sein.
Die Auswirkungen spürt nicht nur der Buchhändler um die Ecke. Die Digitalisierung hat schon vielen Traditionsbranchen die Geschäftsgrundlage entzogen – und Zeitungsredaktionen beschreiben seit Mitte der neunziger Jahre einen Wandel der Wirtschaft, dem einige von ihnen schon zum Opfer gefallen sind. Die „Financial Times Deutschland“ gibt es nicht mehr. Die „Frankfurter Rundschau“ gehört nun zu der Verlagsgruppe, die auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung produziert – und die „Westfälische Rundschau“, das Dortmunder Blatt, in dem der Autor dieser Zeilen die Liebe zum Journalismus entdeckt hat, ist die erste deutsche Tageszeitung ohne Journalisten. Alle Redakteure und freien Mitarbeiter mussten gehen. Gedruckt werden jetzt einfach Artikel von anderen Blättern.
Die ganze Aufmerksamkeit
Deshalb hat Bezos, der Mann, der mit Amazon gezeigt hat, wie man mit niedrigsten Margen ein erfolgreiches Geschäft aufbauen kann, seit dem Kauf der „Washington Post“ die ganze Aufmerksamkeit einer verunsicherten Journalisten- und Verlagsszene: Mit welchen Ideen wird er versuchen, seinem Blatt eine Zukunft zu geben? Welche Erfahrungen kann man schon vorher selbst aus den Erfahrungen den vergangenen zwei Jahrzehnte ziehen? Und die sind bitter: Die sogenannten rubrizierten Anzeigenmärkte, also Stellen-, Auto- oder Immobilienanzeigen, sind nahezu vollständig ins Internet abgewandert. Immer weniger Leser kaufen oder abonnieren eine Zeitung, die Auflagen sinken. Dafür werden immer mehr journalistische Produkte im Internet abgerufen – dort bisher aber zum größten Teil nicht bezahlt. Das führt zu einem Paradoxon: Nie war die Reichweite eines Textes, der zum Beispiel in der F.A.Z. erscheint, größer als heute, wenn er zugleich auch im Internet nachzulesen ist. Zugleich aber verdienen die Verlagshäuser mit diesem Angebot immer weniger Geld – und der Qualitätsjournalismus, der so begehrt ist wie nie zuvor, verliert seine wirtschaftliche Grundlage.
Das hat gravierende Konsequenzen. Längst nicht alle davon sind negativ, vor allem nicht für den Leser. Viele Entwicklungen in der Medienbranche sind vollkommen ungewiss. Aber fest steht, dass das Leben sowohl für die Journalisten, als auch für die Personen, Institutionen und Unternehmen, über die sie berichten, sehr viel anstrengender werden wird. Denn die Leser wissen mehr als früher. Sie haben fast alle Informationen, die ein Journalist zur Verfügung hat, auch selbst auf Tastendruck zur Hand.
Kein Frontalunterricht mehr
Sie können vergleichen, und sie diskutieren im Internet lebhaft mit. Sie wollen keinen Frontalunterricht durch den Journalisten mehr. Sie merken sofort, wenn es sich um ein Stück handelt, das zu unkritisch die Meinung eines Vorstandsvorsitzenden oder seiner Kommunikationsabteilung übernimmt. Das wird für die Unternehmen unangenehm. Denn der Journalist wird mit seinem eigenen Namen immer stärker auch zu seiner eigenen Marke. Er steht vor allem in sozialen Netzwerken wie Twitter, Google+ oder Facebook ganz persönlich für seine Stücke gerade, wird dort zum Öffentlichkeitsarbeiter und manchmal auch Krisenmanager in eigener Sache.
Nie war der Druck seiner Zielgruppe so groß. Die Leser wollen differenzierte Geschichten, aber sie sind gemein. Denn die Texte dürfen nach wie vor nicht zu komplex werden. Die Leser gieren nach Stücken, die intelligent, aber zugleich auch schnell zeigen, wer der Gute und wer der Böse ist. Sie wollen journalistische Höchstleistungen, bezahlen dafür aber immer weniger. Sie verlangen alles das von immer ausgezehrteren Redaktionen, in denen Unternehmen qualifizierte Ansprechpartner vermissen: Dieselben Unternehmen übrigens, in denen Vorstand und andere Führungskräfte ebenfalls immer weniger Zeitung zu lesen scheinen, in denen Manager arbeiten, die vor allem in ihr Spartenwissen investieren und die die Verteilung ihrer Werbebudgets Mediagenturen überlassen, in denen die entsprechenden Planer schon gar nicht mehr mit Zeitungen sozialisiert worden sind.
Jammern aber ist wie immer keine Lösung. Wie bei jedem Unternehmen, mit dem Journalisten in einer Krise hart ins Gericht gehen, gilt auch hier: Alle Schwierigkeiten werden sich lösen lassen, wenn man nur relevant bleibt. Wenn der Journalist sowohl von seinen Lesern als auch von denjenigen, über die er berichtet, als kritischer Begleiter ernst genommen wird. Darüber, wie das dauerhaft gelingen kann, wird in den Redaktionen rund um die Welt Tag für Tag so viel diskutiert wie nie zuvor: Wie viel Chronistenpflicht ist noch nötig? Kennen die Leser nicht schon alle Nachrichten aus dem Internet? Wo lässt sich Mehrwert schaffen? Warum muss dieses Thema den Leser in seinem Alltag interessieren? Welchen Nutzen kann er daraus ziehen?
Herausforderung für den Unternehmensjournalismus
Erste Antworten darauf sind vor allem für den Unternehmensjournalismus eine Herausforderung: Kaum ein Leser auch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist ein engagierter Aktionär, die Quartalszahlen interessieren wenig. Weichgespülte, bis zum letzten Komma autorisierte Interviews mit Vorstandsvorsitzenden noch weniger. Anders ausgedrückt: Die Überschrift „Shell steigert Umsatz und Gewinn“ ist auch in der F.A.Z. vom Aussterben bedroht. Der Leser liest „Shell dreht an der Preisschraube“ sehr viel lieber.
Er ist der König – und seine Macht wird weiter steigen. Die neuen Medien werden vermutlich dazu führen, dass sich jeder seine digitale Zeitung anhand der Themen, die ihn interessieren, individuell zusammenstellen kann. Er kann auf diesem Weg jederzeit über jeden Text abstimmen. Der Journalist bleibt immer noch für eine Mischung verantwortlich, die die eigene Zielgruppe bestmöglich bedient. Aber er wird die Wünsche des in der Vergangenheit oft so unbekannten Lesers stetig besser kennenlernen. Und immer häufiger, so die Hoffnung, wird der Leser dafür im – über leistungsfähigere Smartphones – zunehmend mobilen Internet bereit sein, zu bezahlen.
Die Medienhäuser und Journalisten, die diesen Übergang schaffen, stehen vor einer guten Zukunft. Sie haben einen herausfordernden, aber auch erfüllenden Beruf. Junge Menschen sollten sich überlegen, ob sie ihn nicht gerade heute ergreifen wollen. Die Medienindustrie steckt in einer tiefen Krise. Und nicht nur Jeff Bezos weiß, dass darin große Chancen stecken.
Der Text basiert auf einem Vortrag des Autors im Rahmen der Baden Badener Unternehmergespräche im Palais Biron. In der zugehörigen Zeitschrift ist er das erste Mal erschienen.
Der Autor auf Twitter: www.twitter.com/carstenknop