Ad hoc

Mehr Verständnis für Amerika! Das fordert Fresenius-Chef Ulf Schneider

Herr Schneider, Sie haben uns vor einiger Zeit gesagt, die Rente mit 63 Jahren sei eine Sünde an den jungen Menschen in Deutschland, die für die Kosten werden aufkommen müssen . . .

. . . stimmt, das habe ich aus meiner staatsbürgerlichen Verantwortung heraus getan, nicht aber, weil ich meine Rolle als Vorstandsvorsitzender von Fresenius nun sehr viel politischer interpretieren möchte. Ich bin grundsätzlich zurückhaltend, überschätze auch unseren Einfluss nicht. Aber für mich seht fest: Diese Änderungen sind das Gegenteil von dem, was wir in Deutschland derzeit tun sollten.

Sind Sie frustriert?

Ja, denn Deutschland ist angesichts seiner Stärke dazu aufgefordert, in Europa eine Führungsrolle zu übernehmen, auch in Fragen einer klugen Wirtschaftspolitik. Wenn wir in der Rente eine Rolle rückwärts machen, können wir von andern in solchen Fragen keine Fortschritte erwarten.

Wenn es bei der Rente nicht vorwärtsgeht, könnte man ja wenigstens auf das transatlantische Freihandelsabkommen hoffen. Aber auch in dieser Diskussion punkten in der öffentlichen Debatte seit geraumer Zeit eher die Gegner eines solchen Vertrags. Was läuft falsch?

Man sollte sich für dieses Projekt begeistern, es sorgt auf beiden Seiten des Atlantiks ohne Zweifel für mehr Wachstum – und man wird kaum einen Preis finden, den man dafür zahlen muss. Zugleich wird es Europa unverrückbar im Zentrum der Weltwirtschaft verankern – angesichts der asiatischen Herausforderung ein riesiger Vorteil. Aber eine solche Begeisterung wird von der Politik für das Projekt nicht vermittelt.

Stimmt, dafür haben die Deutschen jetzt schon häufiger Worte wie “Chlorhühnchen” oder “Genmais” gehört. Aber ist die Kritik zum Beispiel am amerikanischen Verbraucherschutz nicht auch in Teilen gerechtfertigt?

Es wäre angebracht, mehr Verständnis für amerikanische Regelungen und auch für das amerikanische Rechtssystem aufzubringen. Die EU und die Vereinigten Staaten gehören in Sachen Verbraucherschutz beide zu den führenden Regionen in der Welt, auch wenn die konkreten inhaltlichen Lösungen voneinander abweichen. In manchen Punkten sind die Amerikaner sogar weiter als wir. Schon Präsident Nixon hat seinerzeit Umweltgesetze erlassen, die den europäischen Standards zu jener Zeit weit voraus waren.

Wird es denn gelingen, das Abkommen bis zum Ende des Jahres 2015 abzuschließen?

Mit Blick auf selbstgesetzte Fristen bin ich immer sehr skeptisch. Es wäre schön, ist aber nicht unbedingt erforderlich, die Verhandlungen innerhalb der laufenden Legislaturperioden zu Ende zu bringen. Ein Denken in Kategorien von alles oder nichts sollte man sich für die seltenen Momente im Leben aufsparen, wo es wirklich darum geht. Auch in der europäischen Integration sind wir ja Schritt für Schritt und nicht mit einem großen Schlag weitergekommen.

Was lässt sich nach Ihrer Meinung denn erreichen?

Wir sollten Schritt für Schritt vorgehen. Schnell ließen sich gewiss Fortschritte beim Abbau der zwischen Europa und den Vereinigten Staaten noch verbliebenen tarifären Handelshemmnisse erreichen. Eine Belastung von 2 bis 3 Prozent auf das Handelsvolumen ist da noch übrig, und jedes Zehntel Prozent bringt schon einen großen Fortschritt. Dann könnte man einen Fahrplan mit weiteren Themenfeldern festlegen, die man nach und nach abarbeiten könnte.

An welcher Stelle würde der Fresenius-Konzern von einem umfassenden Freihandelsabkommen profitieren?

Uns würde es sehr helfen, wenn medizinische Standards vereinheitlicht würden. Das ist aber ein kompliziertes Thema und wird daher nicht am Anfang erledigt werden können.

Und wenn wir mit dem Abkommen überhaupt nicht vorankommen?

Dann werden sich die Amerikaner noch sehr viel stärker dem asiatischen Wirtschaftsraum zuwenden. Das wäre für Europa keine gute Nachricht. Wir müssen uns also entscheiden, ob wir die kommenden Jahrzehnte im Zentrum oder am Rande des weltwirtschaftlichen Geschehens verbringen möchten.

Es gibt auch Menschen in Europa, die fordern, schon wegen der amerikanischen Datenschnüffelei durch die Geheimdienste müssten die Verhandlungen ausgesetzt werden.

Wissen Sie, es ist immer unklug, Dinge, die nichts miteinander zu tun haben, dann doch miteinander zu verknüpfen. Das gilt für die NSA-Debatte und das Freihandelsabkommen genauso wie für manche wirtschaftliche Aktivität deutscher Unternehmen in Russland angesichts der Krise in der Ukraine.

In Russland plant Fresenius gerade, ein Gemeinschaftsunternehmen einzugehen. Sie sagen, Sie stellten Medizinprodukte her und keine Waffen . . .

. . . dem ist nichts hinzuzufügen.

Sie sind nun schon elf Jahre lang der Chef von Fresenius, das Unternehmen ist seither stark gewachsen, die Erfolge sind unumstritten. Hätten Sie nicht noch einmal Lust, etwas anderes zu machen? Sie könnten gehen, wenn es am schönsten ist.

Die besten Jahre liegen noch vor uns! Persönlich bin ich gesund und gehe jeden Tag voller Motivation und mit vielen Ideen zur Arbeit. Das Unternehmen ist 102 Jahre alt, und ich bin erst der fünfte Chef in der Unternehmensgeschichte. Auch daran kann man erkennen, dass in diesem Haus Amtszeiten üblich sind, die deutlich länger sind als im Durchschnitt der Dax-Unternehmen.

Ihr Wachstumskonzept ist intakt?

Ja, absolut. Alle vier Geschäftsbereiche von Fresenius lassen sich mit unserer Kombination aus organischem Wachstum und gezielten Übernahmen nach wie vor gut weiterentwickeln. Wir sind nämlich keine “Dealmaschine”, wie es uns manchmal unterstellt wird, aber auch kein Unternehmen, das ausschließlich aus eigener Kraft wachsen will. Bei uns funktioniert das so: Geschäfte, die gut aus eigener Kraft wachsen, verdienen sich auch das Recht, durch Zukäufe verstärkt zu werden. Im Gegensatz dazu ist es nie eine gute Idee, Wachstumsschwächen durch Zukäufe kompensieren zu wollen, ohne die eigentlichen Schwierigkeiten des Geschäfts zu bereinigen.

Im Dialysegeschäft von Fresenius Medical Care will Ihr Konzern künftig stärker auf Dienstleistungen setzen. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Es gilt, die medizinischen Leistungen, die von verschiedenen Seiten für Dialysepatienten erbracht werden, künftig stärker zu koordinieren. Das ist im Interesse aller Beteiligten. Denn der durchschnittliche Dialysepatient in den Vereinigten Staaten ist älter als 60 Jahre. Mehr als 50 Prozent der Dialysepatienten haben Diabetes, mehr als 75 Prozent eine Herz-Kreislauf-Erkrankung. Sie nehmen zwischen 10 und 30 Tabletten am Tag und liegen zwischen 10 und 15 Tagen im Jahr im Krankenhaus. Hier die erforderlichen Behandlungen besser aufeinander abzustimmen wäre für die Patienten, aber auch für das Gesundheitssystem ein großer Fortschritt.

Und FMC kann dieses Geschäft aus eigener Kraft aufbauen?

Zusammen mit selektiven Akquisitionen, ja.

In Deutschland ist FMC in der Dialysebehandlung längst nicht so stark wie in Amerika. Woran liegt das?

Das liegt vor allem daran, dass wir über lange Zeit keine eigenen Dialysekliniken betreiben durften. Und auch jetzt ist Deutschland wegen vieler regulatorischer Vorgaben für uns in diesem Geschäft noch immer ein schwieriger Markt. Gleichwohl werden wir auch hier mit FMC weiter wachsen.

Das Gespräch führten Carsten Knop und Klaus Max Smolka.

Die mobile Version verlassen