Dies ist der Kern eines Buches, das in diesem Jahr Schlagzeilen macht, dargestellt in zwei Buchstaben und einem mathematischen Zeichen: „R>G“ lautet die Formel. Zu finden ist sie in dem Titel „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, in dem der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty auf insgesamt 800 Seiten Daten aus 20 Ländern untersucht – und zeigt, wie sich die Strukturen von Kapital und Ungleichheit im Lauf der Zeit verändert haben. In Worte übersetzt, heißt Pikettys Formel, dass die Rendite auf Kapital schneller als die Wirtschaft insgesamt wächst, vor allem aber schneller als die Arbeitseinkommen.
Das Ergebnis ist, dass die Ungleichheit zunimmt. Reiche werden also reicher; wer hingegen nur Einkommen aus Arbeit erzielt, fällt zurück. Verstärkt wird dieses Phänomen noch durch die Globalisierung, welche die Arbeiter in entwickelten Industrieländern mit denen in Schwellenländern in die Löhne drückende Konkurrenz treten lässt.
So kommt es, dass das reichste Zehntel der Einkommensbezieher ein Viertel bis ein Drittel des Gesamteinkommens erzielt, während das obere Zehntel der Vermögensbesitzer zwischen 50 und 70 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Doch Piketty bleibt in seinem Buch nicht bei der Analyse stehen. Vor allem seine These, die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen sei durch eine Enteignung zum Beispiel in Form einer Vermögensabgabe zu beheben, fand rasch zahlreiche Anhänger.
Andere Schlussfolgerungen als Piketty
In Deutschland hat Daniel Stelter nun ein Buch vorgelegt, das Pikettys Werk einerseits für die Verdienste in der Analyse rühmt, andererseits aber zu Schlussfolgerungen kommt, welche diejenigen von Piketty erheblich ergänzen – und ihnen in nicht wenigen Teilen widersprechen. So stellt Stelter fest, dass Piketty die Bedeutung von Schulden völlig unterschätze. Folgerichtig nennt er sein Buch „Die Schulden im 21. Jahrhundert“. Doch nur wer die Dynamik von Verschuldung und Entschuldung verstehe, könne auch Vermögensverteilung und Wirtschaftskrisen nachvollziehen und Lösungen erarbeiten.
Woher nimmt Stelter sein Selbstbewusstsein, es mit Piketty aufzunehmen? Er ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums Beyond the Obvious. Er war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der internationalen Strategieberatung The Boston Consulting Group (BCG), zuletzt als Senior Partner, Managing Director und Mitglied des BCG Executive Committee. Seit dem Jahr 2007 berät Stelter internationale Unternehmen im Umgang mit den Herausforderungen der fortschreitenden Finanzkrise.
Und schon an der entscheidenden Formel von Piketty, also „R>G“, letztlich dem Dreh- und Angelpunkt des gesamten Werks, hat Stelter erhebliche Zweifel: „Läge die Kapitalrendite wirklich dauerhaft über dem Wachstum der Wirtschaft, müsste die Gewinnquote auf 100 Prozent des BIP steigen“, schreibt er. Deshalb sei es keineswegs so sicher, dass wir vor einem ungebremsten Anstieg der Vermögens-/Einkommensquote stehen. Vielmehr werde die Rendite für Kapital zwangsläufig sinken, weil es irgendwann nicht mehr die erforderliche Nachfrage gebe, um das Warenangebot abzunehmen.
Zudem blende Piketty die stark gestiegene private Verschuldung aus und vernachlässige die enormen Kosten einer alternden Gesellschaft. Was aber sind die wahren Schulden der Staaten, die sich aus den von der Politik gegebenen Versprechen für künftige Renten-, Pensions- und Gesundheitsleistungen ergeben? In Pikettys Berechnungen der Vermögens-/Einkommensquoten tauchten diese Verbindlichkeiten nicht auf. Wende man diese Daten zur wahren Staatsverschuldung aber auf Pikettys Daten an, ergäben sich deutlich geringere Vermögens-/Einkommensquoten. Wenn Staaten wie Unternehmen bilanzierten, wäre das offensichtlich, schreibt Stelter – und kommt zu seiner entscheidenden Kritik: Wenn Piketty die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise durch Vermögensabgaben diskutiere, springe er zu kurz. Vielmehr gelte es, die Problematik der untragbaren Gesamtschuldenlast zu bewältigen, die von Piketty unterschätzt werde.
Was ist mit den Außenhandelsüberschüssen?
Die einzige Möglichkeit für ein Land, die Gesamtverschuldung zu verringern, aber sei die Erzielung von Außenhandelsüberschüssen. Diese wiederum setzten eine erhebliche Wettbewerbsfähigkeit voraus. So brauche Europa einerseits die Restrukturierung von Staats- und Privatschulden in einer Größenordnung von 3 bis 5 Billionen Euro, andererseits die Rückbesinnung auf wichtige ökonomische Grundsätze: So seien Schulden nichts anderes als der Verzicht auf künftigen Konsum. Gute Wirtschaftspolitik verzichte deshalb auf kurzfristige Stimulierung. Die Politik müsse in diesem Umfeld von Konsum zu Investitionen umsteuern. Es müssten also langfristig wirksame Maßnahmen wie Bildung, Innovation, Beschränkung von Bürokratie und Regulierung sowie Investitionen in den produktiven Kapitalstock einer Volkswirtschaft im Vordergrund stehen.
Stelter gelingt es, gut lesbar und auf nur 157 Seiten, sowohl Pikettys Thesen zusammenzufassen, als auch aus seiner pointierten Analyse die eigenen, plausiblen Empfehlungen abzuleiten. Sein Buch hilft, Pikettys Ansatz zu verstehen, aber auch kritisch zu hinterfragen. Am Ende steht gleichwohl eine nüchterne Bilanz: „Trotz Zweifeln an seinen Daten und dem darauf errichteten Theoriegebäude wird Pikettys Überlegung, die Schuldenkrise durch Vermögensabgaben zu lösen, die Politik der kommenden Jahre prägen.“
Piketty wird das gefallen. Gerade die Debatte in Deutschland sei ihm sehr wichtig, hat er jüngst gesagt: Das wirtschaftliche und soziale System Deutschlands sei ein Beweis dafür, das Wohlstandskapitalismus funktionieren könne. Wer Stelter liest, erkennt mit ihm gemeinsam: Piketty hat ein hochpolitisches Buch geschrieben – und die politische Motivation hat am Anfang der Arbeit gestanden.
Stelters Tipp: Außenhandelsüberschüssen
Stelter lt. FAZ: “Was ist mit den Außenhandelsüberschüssen?
Die einzige Möglichkeit für ein Land, die Gesamtverschuldung zu verringern, aber sei die Erzielung von Außenhandelsüberschüssen.” Am besten dann natürlich, wenn alle Länder Aussenhandelsüberschüsse nachhaltig erzielen.
Warum werden die Reichen immer reicher ?
Klar Kapitaleinkünfte müssen mindestens so hoch besteuert werden wie Einkünfte aus Arbeit. Das ändert an der Vermögensverteilung nichts.
Reichenvermögen, so die Erwartung, wachse in den nächsten Jahren deutlich schneller als bei denjenigen, die weniger besitzen. Eine Entwicklung, die allerdings nicht nur die Industrieländer trifft. Auch bzw. gerade in Schwellenländern wie Indien oder Brasilien komme das Wachstum nur einer kleinen Gruppe zugute. Das liegt hier weniger an der Kapitalsteuer, als an den politischen Verhältnissen. Je stärker Lobbyismus, Nepotismus bis hin zur Korruption vertreten ist, umso reicher werden die Reichen. Dies ist auch der Grund für die verstärkte Tendenz “reiche Eltern=reiche Kinder und arme Eltern=arme Kinder”. In den USA bröckelt der Mythos vom Tellerwäscher. Er bröckelt nicht allein deshalb, weil es in den USA immer mehr Arme gibt. Mittlerweile haben ja 50 Millionen Amerikaner Anspruch auf staatliche Essensmarken, darunter immer mehr Akademiker, und Kinder dieser Essensmarkenempfänger werden vermutlich auch Essensmarken empfangen. Die OECD will Chancengleichheit durch Bildung für alle schaffen, Piketty durch hohe Reichensteuern, nichts davon wird funktionieren.
Wessen Verschuldung denn ?
Bei den Reichen von denen Piketty spricht gibt es genau diese Verschuldung nicht, und wer sein Vermögen in Immobilien (deswegen heissen sie auch so) angelegt hat, der hat sie auch nach Währungsreformen noch….
Piketty hat solchen Erfolg weil seine Formel so banal ist und sogar für jeden Volksschüler nachvollziehbar.
Wenn die Besitz-Rendite über dem Wirtschaftswachstum liegt dann MUSS diese Differenz irgendwo herkommen. Und da bleibt eben niemand anders schon per Definition die Ärmeren übrig.
Auch wenn es vielen Medien nicht gefällt, so ist es nun mal——