Ad hoc

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Klaus Kleinfeld: Christmas Shopping in Bestwig

Als Klaus Kleinfeld, der frühere Vorstandsvorsitzende von Siemens, im Mai 2008 Vorstandschef des amerikanischen Aluminiumkonzerns Alcoa wurde, übernahm er seine Stelle pünktlich zu Beginn der großen Finanzkrise. Alle vorherigen Planungen und Strategien wurden obsolet. Fortan galt es, Liquidität und Krise zu managen. Viel Platz für Innovationen blieb da nicht. Alcoa stieg zudem mit seinen Aktien aus dem Kreis der Unternehmen ab, die im Dow-Jones-Industrial-Index vertreten sind. Wenn man so will, spielt der Konzern an der Börse seither in der zweiten Liga. Doch hat sich der Aktienkurs unter der Führung des am 6. November 1957 in Bremen geborenen Managers in den vergangenen zwei Jahren wieder erholt. Und Alcoa kommt inzwischen auch mit einem Umbau voran, der das Unternehmen einerseits agiler, andererseits aber auch technologisch zukunftsfähiger machen soll.

Kurz vor Weihnachten ist Kleinfeld nun in sein deutsches Heimatland gereist, um ein Unternehmen im sauerländischen Bestwig zu kaufen, das mit Blick auf die Größe von Alcoa von eher untergeordneter Bedeutung ist, mit Blick auf die Zukunft aber strategische Bedeutung hat. Konkret geht es um das Unternehmen Tital und seine 600 Mitarbeiter, die erhebliche Kompetenz im Umgang mit dem Werkstoff Titan gesammelt haben. Tital hat sich auf Gehäuse für Turbinen aus Titan und Aluminium spezialisiert – und Kleinfeld geht davon aus, dass die Deutschen im Umgang mit Titan ihre Umsätze innerhalb von fünf Jahren um 70 Prozent werden steigern können. „Die nächste Turbinen-Generation wird stark auf Titan setzen“, sagte Kleinfeld dieser Zeitung auf einem Zwischenstopp am Flughafen in Paderborn. Zuletzt hat Tital einen Umsatz von 71 Millionen Euro gemacht und mehr als die Hälfte davon mit Titan-Produkten. Das Unternehmen war bisher im Besitz seines Managements und nach seinen Worten allein auf das Geschäft in Europa konzentriert. Das könne sich im Geleitzug mit der Vertriebskraft von Alcoa völlig ändern, sowohl die amerikanischen als auch die asiatischen Märkte stünden Tital jetzt offen. Die Arbeitsplätze in Bestwig seien ohnehin sicher.

Denn die Hersteller von Triebwerken und Flugzeugen der nächsten Generation setzen nach den Worten von Kleinfeld zunehmend auf leichtere und hoch belastbare Titanlösungen. Die Gründe: Titan könne hoher Hitze und hohem Druck standhalten und verfügt über weit bessere Eigenschaften als etwa Stahl. Es biete damit eine erhöhte Energieeffizienz und eine verbesserte Leistung. „Und Alcoa erhöht damit den Anteil an Hochleistungskomponenten in den meist verkauften Triebwerke der Welt weiter“, sagt Kleinfeld, der einräumt, dass ihm die Tatsache, aus Deutschland zu stammen, in den Verhandlungen und gegenüber den Mitarbeitern von Tital geholfen hat. Denn mit anonymen Investoren hat man in der Geschichte der Honsel-Gruppe, des ehemaligen Mutterkonzerns von Tital, schlechte Erfahrungen gemacht; insofern sei es gut angekommen, dass diese Übernahme sowohl ein Gesicht als auch eine industrielle Logik habe.

Gerade wegen der nicht zu unterschätzenden Haftungsfragen in der Branche sei es für Tital im Verbund mit Alcoa auch leichter, Finanzierungen für künftige Projekte zu stemmen und so an Ausschreibungen teilzunehmen, die bisher unerreichbar schienen. Und Ausschreibungen gibt es offenbar genug: Laut Kleinfeld erwartet Alcoa bei kommerziellen Triebwerken eine durchschnittliche jährliche Wachstumsrate von 7 Prozent bis zum Jahr 2019. Für das Jahr 2019 werde erwartet, dass nahezu 70 Prozent der Einnahmen von Tital aus Umsätzen im Bereich der kommerziellen Luft- und Raumfahrt stammten.

Mit der Übernahme schaffe Alcoa auch in Europa Kapazitäten im Titanguss. Insofern ist Tital ein bedeutender Teil des größeren von Kleinfeld angestoßenen Alcoa-Umbaus im Luft- und Raumfahrtgeschäft. Erst im November hatte Alcoa die Übernahme des bei Triebwerkskomponenten führenden Unternehmens Firth-Rixson abgeschlossen. Kleinfeld machen derartige Ankündigungen hörbar mehr Spaß, als Sparrunden mit seinen Mitarbeitern zu drehen oder Kapazitäten abzubauen.

Zum Abschied weist er noch auf eine Erfindung hin, die in seinen Augen in Deutschland bisher zu Unrecht übersehen worden ist: die sogenannten Alcoa-Micromills. Mit dieser neuen Produktionsweise verkürze sich die Zeit zur Herstellung einer Rolle Aluminium (eines Coils) erheblich, zudem werde durch die Methode das Material bei geringem Gewicht erheblich stabiler und besser formbar, schwärmt Kleinfeld, springt in sein Flugzeug – und ab geht es zurück nach New York. Zum „Christmas Shopping“ jedoch war er in diesem Jahr in Bestwig, allerdings ohne den gezahlten Preis zu nennen.