Andreas Barner ist der Präsident des bevorstehenden Evangelischen Kirchentags. Und er ist Chef des Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim. Das passt zusammen, findet Barner.
Andreas Barner ist der Chef des großen deutschen Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim. Das ist auch so schon eine Rolle, die dazu geeignet wäre, Barner manchen Ärger zu bereiten. Wenn Medikamente umstritten sind zum Beispiel. Oder wenn Arbeitsplätze abgebaut werden müssen, weil es in bestimmten Bereichen nicht mehr so läuft wie geplant oder erhofft. Andere wären damit vollauf ausgelastet – nicht nur zeitlich, sondern auch im Kopf. Aber Barner reicht das nicht. Er hat die Aufgabe übernommen, Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags zu sein, der vom 3. bis 7. Juni in Stuttgart stattfinden wird. Erwartet werden in diesen Tagen 100 000 Menschen. Und von diesen, das weiß auch Barner, sind wahrlich nicht alle positiv gegenüber dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell, der Pharmaindustrie oder auch gutverdienenden Managern eingestellt.
Für ihn ist die Arbeit für den Kirchentag also auch ein Risiko: Wenn bei Boehringer etwas schiefläuft, könnte man ihn ob seines Engagements in der Kirche besonders einfach angreifen, ihn der Scheinheiligkeit bezichtigen – oder sogar eines Schlimmeren. Barner aber ist überzeugt: “Wenn jemand sich engagiert, muss er sich dem stellen. Ich kann nur Tag für Tag dafür sorgen, dass das Unternehmen in einem guten Fahrwasser fährt.” Als Christ sei es ihm wichtig, Entscheidungen zu treffen, die ethisch vertretbar seien. Tatsächlich hat Boehringer zum Beispiel beim Aids-Medikament Viramune den Herstellern, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO dazu qualifiziert waren, erlaubt, das Medikament für die armen Länder der Welt zu produzieren. “Ich denke, in einem Familienunternehmen wie Boehringer Ingelheim ist es für mich gut möglich, ethische Prinzipien und Erhalt und Weiterentwicklung des Unternehmens in Einklang zu bringen.”
Zeitlich ließen sich beide Rollen jedenfalls miteinander vereinbaren. Letztlich werde ein Kirchentag sehr stark “von unten nach oben” organisiert. Das Präsidium habe deshalb vor allem mit programmatischen Vorarbeiten zu tun – beginnend mit der Losung des Kirchentags. Der steht in diesem Jahr unter dem Motto “damit wir klug werden”. Und den Vorwurf, dass damit in der Breite sogleich alles und nichts abgedeckt wird, will Barner nicht gelten lassen. Vielmehr fordere die Losung sehr konkret Antworten auf die gesellschaftlichen Fragen der Zeit ein, insbesondere die nach der Langfristigkeit des Handelns angesichts der Endlichkeit des Lebens: “Zu bedenken, dass wir sterben müssen, das ist eine Voraussetzung dafür, klug zu sein”, ist Barner überzeugt. Weil die Tage gezählt seien, sei es besonders wichtig, das Leben – und damit auch die Entscheidungen eines Managers – auf Langfristigkeit auszurichten.
Nachhaltiges Denken und “kluges” Wirtschaften drängten sich als Themen für einen Kirchentag in einer Stadt mit vielen Familienunternehmen und einigen Großunternehmen geradezu auf: “Insofern ist Stuttgart der richtige Platz, um von einem Kirchentagspräsidenten aus der Wirtschaft begleitet zu werden”, findet Barner. Gerade in Familienunternehmen gehe es doch darum, wie eine solche Gesellschaft von einer Generation ordentlich zur nächsten übergeben werden könne, aber auch Unternehmen aus der unmittelbaren Umgebung Stuttgarts, wie zum Beispiel Daimler oder Bosch, stellten sich inzwischen intensiv der Fragestellung des nachhaltigen Wirtschaftens.
Unter solchen Aspekten müsse auch die Diskussion um die Erbschaftsteuer weitergeführt werden. Die Idee, die Steuerlast mit der Verpflichtung zum Erhalt von Arbeitsplätzen zu verbinden, habe er stets für gut gehalten, sagt Barner. Wenn man allen Reichtum auf der Welt gleichmäßig auf alle Menschen verteile, helfe das jedenfalls auch wenig – nur erfolgreich wirtschaftende Unternehmen könnten langfristig Werte auch für die Mitarbeiter schaffen. Der Wert eines sich kontinuierlich über Generationen hinweg fortentwickelnden Unternehmens aber werde zu sehr unterschätzt. “Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist berufstätig. Von diesen mehr als 40 Millionen Menschen arbeiten mehr als drei Viertel in der Privatwirtschaft. Da muss es positive Bezüge geben zwischen dem, was Menschen als Glauben leben, und dem, was sie beruflich tun. Es müssen Zusammenhänge sichtbar werden. Das zu verstärken, gehört für mich zu meiner Verantwortung als Kirchentagspräsident.”
Was also hätte einen Martin Luther heute an der Wirtschaft gestört? Barner will da nicht in erster Linie hohe Managergehälter nennen. Die Zeiten, in denen einzelne Menschen wie die Fugger Könige oder Kaiser hätten aufkaufen können, seien doch längst vorbei. “Luther hätte wohl eher überrascht, welche große Teilhabe wir heute in Deutschland haben”, glaubt Barner. Störender hätte der Reformator gewiss die Bildungspolitik in Deutschland empfunden, die ungerecht sei, da die Bildung und die Chancen der jungen Menschen viel zu stark vom sozialen Umfeld der Eltern abhängig seien. “Wir brauchen viel mehr Angebote für Kinder aus den sogenannten ,bildungsfernen’ Schichten, gerade auch im frühkindlichen Bereich”, ist Barner überzeugt. Zudem müsse versucht werden, stärker die Mithilfe zum Beispiel der immer länger lebenden Rentner oder auch von Mitschülern in der Bildung zu aktivieren.
Was der 1962 in Freiburg im Breisgau geborene promovierte Mediziner und Mathematiker Barner am Kirchentag besonders spannend findet? “Unvorhersehbare Begegnungen, überraschende Gespräche und Veranstaltungen mit einer großen Breite an Themen. Zudem die vielen jungen, fröhlichen Menschen, das gemeinsame Gebet.” Und ja, die Kirche habe mit vielen Austritten zu kämpfen. “Aber ich bin mir sicher, dass mittelfristig wieder mehr Menschen hinterfragen, warum sie eigentlich auf der Welt sind, was es ist, was sie hier machen – und das ist eine große Chance für die Kirche.” Barner glaubt auch, dass die katholische und die evangelische Kirche besser zusammenarbeiten, den Blick stärker auf Gemeinsamkeiten richten sollten. Gerade auch im Hinblick auf eine Kirche, die in manchen Regionen zu einer Minderheit gehöre. Dazu muss man wissen, dass Barner katholisch verheiratet ist. Auch die Tochter ist katholisch. Ökumene spielt in der Familie eine große Rolle, und Barner fällt es nicht immer leicht, Unterschiede zu erklären. So schätzt Barner den evangelischen Altbischof Wolfgang Huber ebenso wie Karl Kardinal Lehmann.