Ad hoc

Neue Strategien gesucht: Deutschlands Chefs in großer Aufregung

Technische Entwicklungen und Wettbewerbsumfeld zwingen zu einer Änderung der Strategie: Die nächsten drei Jahre könnten fast alles auf den Kopf stellen. Loyalitäten geraten ins Wanken.

In keinem anderen Land der Welt werden sich die Unternehmen in den kommenden drei Jahren so stark wandeln wie in Deutschland. Das legt eine Umfrage der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG unter rund 1300 Vorstandsvorsitzenden von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 500 Millionen Dollar nahe, davon 125 aus Deutschland. Denn 70 Prozent der deutschen Unternehmenslenker rechnen damit, dass sich ihr Unternehmen bis zum Jahr 2018 „sehr wahrscheinlich erheblich gewandelt“ haben wird. Das sind weit mehr als der Durchschnitt aller auf der Welt befragten Chefs (29 Prozent) und auch mehr als in jedem anderen Land. Nicht weniger als 78 Prozent der deutschen Vorstandsvorsitzenden sehen sich deshalb gezwungen, die Strategie ihres Unternehmens innerhalb der kommenden drei Jahre zu ändern.
Die Umfrage liefert auch Hinweise auf die Haupttreiber für den erwarteten Wandel: 61 Prozent der deutschen Vorstandsvorsitzenden sind sehr darüber besorgt, dass das eigene Geschäftsmodell durch neue Wettbewerber aufgebrochen werden könnte. Und mehr als die Hälfte zweifelt, ob die eigenen Produkte oder Dienstleistungen in drei Jahren überhaupt noch gefragt sein werden. Sogar 88 Prozent der deutschen Vorstandsvorsitzenden treibt es um, dass sie in der Gefahr stehen, alsbald die Loyalität ihrer Kunden zu verlieren – offenbar hat man das Gefühl, dass alte Favoriten schnell gewechselt werden, wenn neue Kultmarken auf den Markt kommen.

Nokia und Kodak können ein Lied davon singen, aber auch im Dienstleistungsgeschäft ist es atemberaubend, wie schnell Marken wie Uber, Paypal oder Airbnb bekannt geworden sind. Diese Erkenntnisse spiegeln sich in der Investitionsplanung der Unternehmen wider. So wollen die Vorstandsvorsitzenden bis zum Jahr 2018 am stärksten in die Transformation des Geschäftsmodells sowie in die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen investieren (55 beziehungsweise 54 Prozent). Und auch für die entsprechende Positionierung am Markt durch Marketing und Werbung will jedes zweite Unternehmen in diesem Zeitraum vergleichsweise viel Geld ausgeben (49 Prozent). „Viele deutsche Unternehmen stehen vor tiefgreifenden Veränderungen. Ein volatiles Umfeld, hohe technologische Dynamik und das veränderte Kundenverhalten zwingen die Unternehmen dazu, ihre Strategie zu ändern oder sogar ihr Geschäftsmodell komplett in Frage zu stellen“, fasst Angelika Huber-Straßer, Bereichsvorstand Corporates bei KPMG, diese Ergebnisse zusammen. Nur die wenigsten könnten es sich im wahrsten Sinne des Wortes noch leisten, weiterzumachen wie bisher. Entsprechend halte auch die Hälfte der deutschen Vorstandsvorsitzenden das Thema „Change Management“ für eine ihrer größten Herausforderungen in den nächsten drei Jahren.

Überdurchschnittlich häufig und auch stärker als in den vergangenen drei Jahren wollen sich die deutschen Vorstandsvorsitzenden bis 2018 um strategische Fragen kümmern. Dabei genießt das Thema Innovationsförderung höchste Priorität, nämlich für 57 Prozent der deutschen Unternehmen. Das ist ein mehr als doppelt so hoher Anteil wie im internationalen Durchschnitt und auch Spitze im Vergleich aller Länder. Auf den Plätzen folgen nahezu gleichauf „geographische Expansion“ (43 Prozent) und eine „stärkere Kundenfokussierung“ (40 Prozent). Eine deutlich stärker wachsende Bedeutung innerhalb des Vorstands als in allen anderen Ländern messen die deutschen Vorstandsvorsitzenden in naher Zukunft dem „Chief Strategy Officer“ (75 Prozent) und dem „Chief Innovation Officer“ (61 Prozent) bei.
Grundsätzlich sind die Aussichten allerdings sehr hoffnungsvoll: Drei von vier deutschen Vorstandsvorsitzenden schätzen die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft in den kommenden drei Jahren viel zuversichtlicher ein als noch vor einem Jahr. Und zwei Drittel sind für ihr eigenes Unternehmen zuversichtlicher als im Vorjahr. Hier spielen wohl der gesunkene Ölpreis und die expansive Geldpolitik in der Eurozone eine große Rolle. Anorganisches Wachstum, also der Zukauf von Unternehmen, gewinnt vor diesem Hintergrund zunehmend an Bedeutung: Während das gegenwärtige Wachstum nach Angaben von nur 9 Prozent der Befragten anorganisch erfolgt, wollen in den nächsten drei Jahren doppelt so viele Vorstandsvorsitzende in Deutschland dafür sorgen, dass ihr Unternehmen durch Akquisitionen oder Gemeinschaftsunternehmen (Jointventures) wächst.

Nachholbedarf gibt es in Deutschland mit Blick auf das Interesse der Vorstandsvorsitzenden an Fragen zur Sicherheit von Daten und IT-Infrastrukturen. Denn 25 Prozent der deutschen Vorstandschefs haben noch nie an einer Sitzung mit ihren Führungskräften oder Vorstandskollegen zum Thema „Cybersecurity“ teilgenommen. Das ist im Weltvergleich der höchste Wert: Der Durchschnitt liegt bei lediglich 5 Prozent.

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