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Auswanderer im Norden

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Während sich an den Grenzen zwischen Slowenien, Österreich und Deutschland das Flüchtlingschaos fortsetzt und zu immer größeren politischen Verwerfungen führt, lohnt in den Herbstferien ein Ausflug in die andere Richtung, nach Norden, zum Beispiel zum Deutschen Auswandererhaus. Denn das Museum steht an einem historischen Standort. Es liegt direkt am Neuen Hafen in Bremerhaven, der im Jahr 1852 eröffnet wurde und von dem bis zum Jahr 1890 nicht weniger als 1,2 Millionen Menschen in die „Neue Welt“ aufbrachen. Doch damit nicht genug: Neben dem Neuen Hafen waren der Alte Hafen, die Kaiserhäfen und die Columbuskaje Abfahrtsorte für die insgesamt 7,2 Millionen Auswanderer, die von Bremerhaven aus in die „Neue Welt“ zogen.

7,2 Millionen Auswanderer – allein von Bremerhaven aus! Für sie hieß es damals, nichts wie weg, aus einer alten Welt, die ihnen zu eng wurde und keine wirtschaftliche Perspektive mehr zu bieten schien. Ein Besuch an der deutschen Küste, ob in Bremerhaven oder in Cuxhaven, kann in diesen Tagen und Wochen also durchaus daran erinnern, dass das aktuelle Flüchtlingsproblem historische Vorbilder hat, dass es immer große Wanderungsbewegungen gab – und dass die Stabilität der vergangenen Jahrzehnte unserer Lebenszeit jedenfalls in Europa eine trügerische Ruhephase vor dem neuerlichen Ansturm war, den wir nun erleben müssen.

Gewiss, der historische Ausflug kann für die großen Schwierigkeiten der heutigen Zeit keine Lösungen bieten. Auch ist die Situation damals mit der heutigen natürlich nicht direkt vergleichbar. Aber der Gedankensprung zurück zum Aufbruch nach Amerika gibt doch den einen oder anderen Fingerzeig für grundsätzliche Überlegungen: zum einen, dass Phasen von Fluchtbewegungen unglaublich lange anhalten können, zum anderen, dass es auch damals nirgendwo einen unkontrollierten Zuzug geben konnte und durfte. Als in Amerika Quoten griffen, wurde Kanada zum Auswandererziel.

Was erlebt man in Bremerhaven? Mit dem Rückgriff auf 34 echte Familiengeschichten werden im Deutschen Auswandererhaus 300 Jahre deutsche Migrationsgeschichte vermittelt. Während ihres Rundgangs begleiten die Museumsgäste die Lebensgeschichte jeweils eines Aus- und eines Einwanderers und lernen auf diese Weise die unterschiedlichen Gründe kennen, die Menschen dazu bewogen haben – und eben auch noch immer bewegen –, ihre Heimat zu verlassen, um in der Ferne ein vermeintlich besseres Leben zu führen.

Nicht ganz so aufwendig, aber in ihrer Authentizität nicht weniger eindrucksvoll sind die Hapag-Hallen in Cuxhaven. Die historischen Hallen wurden in den Jahren 1900 bis 1902 gebaut und galten seinerzeit als modernste Passagieranlage. In Betrieb genommen wurden sie mit der Abfertigung des Dampfers „Graf Waldersee“ nach New York am 1. Juni 1902. Für eine stetig wachsende Zahl von Passagieren wurde der an die Hapag-Hallen angrenzende, „Steubenhöft“ genannte Kai zum Ort des Aufbruches in eine ungewisse Zukunft. Und das Geschäft mit den Auswanderern brummte: Am 14. Mai 1914 startete die riesige „Vaterland“ ihre Jungfernreise nach New York. Mit 276 Metern Länge und 54 282 Bruttoregistertonnen war sie das größte deutsche Passagierschiff, das es je gab, ein Symbol wilhelminischer Großmannspolitik und eines Abschieds aus Europa gleichermaßen.

Die Hapag-Hallen in Cuxhaven© Foto Carsten KnopDie Hapag-Hallen in Cuxhaven

Kurz danach taumelte dieses Europa in seine erste große Weltkriegskatastrophe. Und die Auswanderung fand ein jähes Ende. In den zwanziger Jahren folgte noch einmal eine Zeit des regen Nordordatlantikverkehrs. Allein im Jahr 1927 wurden in Cuxhaven rund 74 000 Reisende abgefertigt. Unter ihnen waren abermals viele Auswanderer nach Amerika. Aber es gab – wie gesagt – eine entscheidende Änderung: Nach der Einführung von Quotenregelungen in den Vereinigten Staaten hieß das Ziel statt New York jetzt immer häufiger Kanada, genauer: „Halifax, Pier 21“.

Eine entsprechende Ausstellung zeugt im Herbst des Jahres 2015 in Cuxhaven von dieser Zeit, aber – genauso wie das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven – eben auch davon, dass es stets das Bemühen von Regierungen war, Flüchtlingsströme zu steuern und in geordnete Bahnen zu lenken. Nicht mehr und nicht weniger. Daran erinnert auch der Museumsführer auf seinem Gang durch die Cuxhavener Hallen mit ihrer großen Tradition. Der Mann hat recht.


2 Lesermeinungen

  1. BGrabe02 sagt:

    Flüchtlingsströme wurden nicht nur gesteuert....
    sondern je nach Bedarf auch immer streng kontingentiert.
    Unbegrenzt war die Einwanderung in die USA und Kanada nur solange, wie die Menschen zur Besiedelung brauchten.
    Seit dem wird die Einwanderung immer strenger reglementiert.
    Es ist ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang, das die aktuelle Zuwanderung bedeutet.
    Und ich bin gespannt, was passiert, wenn erst mal im größeren Rahmen abgeschoben wird….

  2. RESONANZEN sagt:

    Hallo Herr Knop
    Gut zu lesender und unaufgeregter Beitrag von Ihnen.

    Folgende Gedanken von mir noch.
    Weltbevölkerungszahlen damals…heute?
    Lebengeschwindigkeit damals…heute?
    Bildungsdifferenz, auch bezogen auf Arbeit-Anforderung-Bedingungen?
    “Aufgeklärtheit”…”Bescheidenheit”…damals…heute?
    Erwartungshaltung…damals…heute?
    Verkehrsdichte…damals…heute?
    System(e)vernetzung…in allen Bedeutungen…u.s.w.

    Je komplexer ein System, desto “krankheitanfälliger”…
    s. Technik, Öko, Mensch(evolution)…

    Die “Qualitätfrage” der “Menschen-Systeme” und des Menschen selber
    natürlich, ist dringlicher denn je.
    Nur die “Liebe”…”die humane Vernunftbildung”…
    humane und homogene Vernunftbildungs-und Vernunft-Leben-netze weltweit…zählt/zählen.
    Diesmal sieht es nach einer Sonnenfinsternis mit weltweit tiefem
    Gesamtkernschatten aus…für mich.
    Wie lange und heftig…keine Ahnung.

    Erd”zentral”vernetzte Menschheit, aber mit homogener Human-Leben-“Dezent”r(e)al”isierung…ist meine Vision…
    vielleicht nach der Sonnenfinsternis:=)

Kommentare sind deaktiviert.