Deutsche Forscher haben die Agrochemie begründet, die Milliarden Menschen ernährt. Doch manche ihrer Ideen hatten eine Kehrseite – auch ohne Gentechnik von Monsanto.
Bayer will gemeinsam mit dem amerikanischen Monsanto-Konzern die Welt der Agrochemie verändern und gibt dafür mindestens 62 Milliarden Dollar aus. Ob das kaufmännisch womöglich hochinteressante Geschäft ethisch vertretbar ist, wird in den kommenden Monaten heiß diskutiert werden. Denn Monsanto greift mit seiner grünen Gentechnik tief in die Schöpfung ein, patentiert Saatgut – und ist nicht nur deshalb einer der Konzerne mit dem schlechtesten Ruf in Deutschland. Monsantos Produkte helfen zwar, Menschen zu ernähren. Sie zeigen aber auch die Janusköpfigkeit des technischen Fortschritts. Um auch dieses Dilemma mit aller Macht wieder zurück nach Deutschland zu holen, geht Bayer im fernen St. Louis, dem Unternehmenssitz von Monsanto, auf Beutezug.
Warum zurück nach Deutschland? Es gibt Deutsche, die auf dem Gebiet der Agrochemie schon viel früher Großes erreicht haben, ohne milliardenschwere Übernahmen, ohne die Sequenzierung und Neuzusammenfügung von Genomen. Auch sie haben mit ihren Innovationen schon dafür gesorgt, dass Milliarden Menschen genug zu essen haben. Insofern sind sie die Guten. Aber sie haben dabei eben auch Entdeckungen gemacht, die in der Kriegsführung viel Leid über die Menschheit gebracht haben. Sie haben früh erfahren, wie doppelbödig unternehmerische Entscheidungen sein können. Eine Erinnerung daran könnte in heutigen Zeiten hilfreich sein, auch in Leverkusen, der Konzernzentrale von Bayer.
Die Rede ist von den Chemikern Justus von Liebig, Fritz Haber und Carl Bosch. Und es geht um die Herstellung von Ammoniak. Denn in größerer Menge wird Ammoniak vom Jahr 1840 an benötigt, nachdem Justus von Liebig die Stickstoffdüngung zur Verbesserung der Erträge in der Landwirtschaft entwickelt hatte. Ungefähr vom Jahr 1900 an begann Fritz Haber mit der Erforschung der direkten Reaktion von Stickstoff und Wasserstoff zu Ammoniak. Er erkannte bald, dass diese Reaktion bei Normalbedingungen nur in sehr geringem Umfang stattfindet und dass für hohe Ausbeuten hohe Temperaturen, ein hoher Druck sowie ein geeigneter Katalysator nötig sind. Im Jahr 1909 gelang es Haber erstmals, mit Hilfe eines Osmiumkatalysators Ammoniak im Labormaßstab durch Direktsynthese herzustellen. Daraufhin versuchte er mit Hilfe von Bosch dieses Verfahren, das spätere „Haber-Bosch-Verfahren“, auch im industriellen Maß anzuwenden.
Dies gelang: 1913 wurde bei der BASF in Ludwigshafen die erste kommerzielle Fabrik zur Ammoniaksynthese in Betrieb genommen. Das Verfahren wurde schon nach kurzer Zeit in großem Maßstab angewendet – und wird bis heute für die in der Landwirtschaft so wichtige Ammoniakproduktion genutzt.
Von militärischer Bedeutung wiederum ist Ammoniumnitrat (Salpeter) – ein Produkt aus Ammoniak und Salpetersäure – zur Herstellung von Sprengstoff. Daher wurde die Weiterentwicklung des Verfahrens bis zur großindustriellen Anwendbarkeit 1914 auf Druck des deutschen Generalstabschefs Erich von Falkenhayn forciert. Als das Deutsche Reich während des Ersten Weltkriegs durch die alliierte Seeblockade von natürlichen Stickstoffquellen (Chilesalpeter) abgeschnitten war, gelang es nur mit Hilfe des Haber-Bosch-Verfahrens, den schon Ende 1914 drohenden Zusammenbruch der deutschen Munitionsproduktion abzuwenden und auch die Düngemittelproduktion aufrechtzuerhalten.
Relativiert dies die Bedeutung des Haber-Bosch-Verfahrens als Grundlage der Weltjahresproduktion von synthetisiertem Stickstoffdünger von derzeit mehr als 100 Millionen Tonnen, der bei der Produktion der Ernährungsbasis für eine Hälfte der derzeitigen Weltbevölkerung bedeutsam geworden ist? Nein. Aber es zeigt, dass Entwicklungen eben auch in eine ganz andere Richtung führen können, als ursprünglich beabsichtigt war.
Haber bekam den Nobelpreis für Chemie für die Synthese von Ammoniak aus dessen Elementen. Er war in seiner Zeit eine Institution. Auch Carl Bosch war ein deutscher Chemiker und zugleich Vorstandsvorsitzender des Chemiekonzerns I.G. Farben. Justus von Liebig wiederum gilt als der Begründer der Agrochemie; er hat den experimentellen Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern eingeführt, durch ihn wurde Chemie zur exakten Wissenschaft. Unter den ersten 60 Nobelpreisträgern der Chemie waren 42 der Geehrten Nachfolger seiner Schüler.
Liebig war übrigens auch der Erfinder des Fleischextrakts, wie nicht nur Freunde von Heinz Rühmanns Auftritt in der „Feuerzangenbowle“ wissen. Und ohne Liebigs Leistung schmälern zu wollen, haben seine Erfindungen eben auch dazu geführt, dass in der Lebensmittelindustrie Fertigprodukte möglich wurden, die man nicht schätzen muss, und Bauern in die Lage versetzt wurden, ihre Äcker zu überdüngen.
Doch nur wer wagt, der auch gewinnt, dachte Liebig schon als Apothekerlehrling, als er bei Experimenten den Dachstuhl seines Ausbildungsbetriebs in Brand setzte. In diesem Fall allerdings war es nur der Dachstuhl. Es könnte sein, dass die Experimente von Monsanto und künftig vielleicht auch von Bayer die Grenzen einmal sehr viel weiter verschieben.