Jedes zweite Unternehmen rechnet für die kommenden zehn Jahre laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom im Zuge der Digitalisierung mit mehr Stellen für gut ausgebildete Beschäftigte. Zudem werden die Stellen, die erhalten bleiben, anspruchsvoller: Denn ein Lkw-Fahrer disponiert künftig während der Fahrt, managt Bestellungen und Routen, statt den Wagen selbst zu steuern. Eine Zahnarzthelferin stellt Implantate mit dem 3D-Drucker her, statt nur die Abdrücke zu nehmen. Berufe und Anforderungsprofile wandeln sich durch die Digitalisierung von Grund auf. Doch die Mehrheit der Unternehmen verzichte in Deutschland auf die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter, sagte Bitkom-Präsident Thorsten Dirks zur Vorstellung der Ergebnisse vor wenigen Tagen: „Das ist erschreckend.“
In 70 Prozent der Unternehmen gebe es nicht einmal ein festes Budget dafür. „Wenn wir bei der digitalen Transformation erfolgreich sein wollen, dann müssen wir mehr in die Köpfe investieren“, forderte Dirks. Denn die Anzahl der Beschäftigten mit geringen Qualifikationen und unterstützenden Tätigkeiten wird sinken, davon gehen zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) aus. Mit einem Stellenplus rechnet in diesen Bereichen niemand. „Die Ergebnisse zeigen, welche entscheidende Bedeutung digitale Kompetenzen und die Aus- und Weiterbildung in Zukunft haben werden“, sagte Dirks.
Sechs von zehn Unternehmen gaben aber an, dass sie ihre eigenen Mitarbeiter in Digitalkompetenzen nicht weiterbildeten. Nicht einmal jedes dritte Unternehmen (31 Prozent) hat dafür eine zentrale Strategie. Das wiederum passt nicht mit anderen Aussagen zusammen. Denn 97 Prozent der Befragten halten Weiterbildung für qualifizierte Fachkräfte im Unternehmen für wichtig. Die Kompetenzen von Bewerbern und Mitarbeitern indes werden derzeit nur mit den Noten „befriedigend“ und „ausreichend“ bewertet. An der Weiterbildung wird dennoch gespart. Die Angaben sind belastbar, sie basieren auf einer repräsentativen Befragung von 504 Geschäftsführern und Personalverantwortlichen von Unternehmen aller Branchen ab 10 Mitarbeitern in Deutschland.
Angesichts der historischen Veränderungen in der Berufswelt sind nach Ansicht des Bitkom sowohl jeder einzelne Mitarbeiter als auch die Unternehmen und die Politik gefordert, am derzeitigen Bildungs- und Ausbildungszustand etwas zu verbessern. So müsse ein Pflichtfach Informatik in den Schulen verankert werden.
Anlass zu grundsätzlichem Pessimismus aber besteht offenbar nicht: Die Anzahl der Arbeitsplätze sei in den vergangenen 40 Jahren in Deutschland deutlich gestiegen, das gehe aus den Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor, betonte Dirks. Einfache Stellen wie Stenotypistin, Drucker oder Poststellensachbearbeiter seien zwar verschwunden. Doch neue Berufe wie 3D-Druckspezialist, Web-Entwickler oder Roboter-Koordinator seien hinzugekommen. Und 87 Prozent der Unternehmensvertreter hätten angegeben, dass digitale Kompetenz heute genauso wichtig sei wie die fachliche oder soziale Kompetenz der Mitarbeiter.
Was man davon halten könnte:
Es ist ein erschreckendes Ergebnis: Nicht einmal jedes dritte Unternehmen in Deutschland hat eine Strategie dafür, wie die Mitarbeiter Digitalkompetenzen erlangen sollen. Noch weniger wollen laut einer repräsentativen Befragung des Digitalverbands Bitkom Geld dafür ausgeben. Und es kommt schlimmer: Ebenfalls jedes dritte Unternehmen ist der Meinung, dass man Mitarbeiter, die älter als 50 Jahre sind, in solchen Fragen gar nicht mehr weiterbilden muss. Was für ein Irrtum in einer Zeit, in der alle Menschen immer länger arbeiten und den Wandel nicht nur mitmachen, sondern auch gestalten müssen. Das ist auf dem Weg in die digitale Kreativ- und Servicewirtschaft übrigens keine Floskel. Beim Beklagen der Zustände allein darf es aber nicht bleiben. Denn es gilt, die Gründe für die Zurückhaltung der Wirtschaft zu beseitigen. Vielen Entscheidern in den Betrieben sind die Weiterbildungsangebote schlicht zu teuer, andern ist die Qualität des Gebotenen zu schlecht – und wieder anderen fehlt der Überblick über die Möglichkeiten. Hier gilt es anzusetzen. Denn es müssten sich für seriöse Anbieter von passgenauen Qualifizierungsangeboten doch wirklich Marktchancen eröffnen. Keine Ausrede aber darf es sein, dass man die Mitarbeiter nicht entbehren könne. Dann wird eines Tages das ganze alte analoge Unternehmen in der digitalen Welt entbehrlich.