Wollen wir zum Ende dieser Europameisterschaft und dem Beginn der Urlaubszeit einmal Deutschland loben? Nun mag das Land ja das eine oder andere Defizit haben, manche missmutigen Menschen beherbergen und bei der Modernisierung von Infrastruktur, Steuersystem oder Bildung nicht schnell genug vorankommen. Das ist das eine. Zum anderen zeigen zwei Betrachtungen der Arbeitswelt aus dieser Woche aber, wie pragmatisch, fleißig und bodenständig es in den größten Teilen unserer Wirtschaft in Tat und Wahrheit zugeht.
So arbeiten sehr, sehr viele Deutsche wie die Wahnsinnigen – weil sie vernünftige Arbeit abliefern wollen. Viele Millionen Menschen lassen dafür sogar einen Teil ihrer Urlaubstage verfallen. Das hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) ergeben. Ein Drittel der Arbeitnehmer hat demnach im vergangenen Jahr auf Urlaub verzichtet, um stattdessen zu arbeiten.
Dabei verzichten Menschen mit hoher Arbeitsbelastung, also diejenigen, die Erholung gerade nötig hätten, besonders häufig auf Urlaubstage. Und: Je höher die Zahl der geleisteten Überstunden, desto häufiger wird verzichtet. In der Baubranche, unter Architekten und Bauplanern, aber auch in der Reinigungsbranche ist der Anteil fast ebenso hoch. Auch knapp die Hälfte der befragten Ingenieure und Techniker schöpfen ihren Urlaubsanspruch nicht voll aus.
Und diejenigen, die in Deutschlands Unternehmen Überstunden kloppen, tun das gewiss nicht nur aus Angst, sondern weil ihnen Arbeit und Arbeitgeber am Herzen liegen. Ihren Chefs wird das gefallen, was sich auch an Lohnsteigerungen zeigt. Denn die Schere zwischen den Vorstandsgehältern und den normalen Arbeitseinkommen hat sich erstmals seit Jahren leicht geschlossen. Das ist die zweite gute Nachricht.
So kassieren Vorstände im Durchschnitt zwar immer noch 50 Mal so viel wie ein durchschnittlicher Angestellter eines Dax-Konzerns. Während aber die Vergütung für die Führungskräfte der 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex 2015 im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt um 1,8 Prozent auf gut 3,3 Millionen Euro sank, stiegen die Bruttolöhne in Deutschland um 4 Prozent. Und im Jahr 2014 hatten Dax-Vorstände noch 54 Mal so viel verdient wie ihre Angestellten. Die Richtung stimmt also grundsätzlich – und es gibt Fachleute wie den Münchner Wissenschaftler Gunther Friedl, die dies auf die Debatten über eine angemessene Entlohnung von Managern zurückführen. Sich einmischen hilft also. Auch das klappt in Deutschland.
Nun muss hier niemand am Hungertuch nagen: Im Durchschnitt erhielten die Vorstandsvorsitzenden der Dax-Konzerne 5,1 Millionen Euro und damit etwas weniger als im Vorjahr. Meilenweit entfernt bleibt für die meisten Manager in Deutschland damit aber das exorbitante Gehaltsniveau, das in den Vereinigten Staaten erreicht wird: Die Chefs der Unternehmen im Dow-Jones-Industrial-Index, dem dortigen Pendant zum Dax, kamen nämlich im Schnitt auf eine – nochmals gestiegene – Jahresvergütung von umgerechnet 16,4 Millionen Euro.
Was lernen wir also daraus? Die Leistungsträger in allen Einkommensschichten sind in Deutschland bienenfleißig, was hier einfach mal als gute Nachricht für das Land gewertet werden soll – und die Chefs verdienen zwar gut; sie wissen sich aber doch noch etwas besser im Zaum zu halten als andernorts. (Schwarze Schafe gibt es überall, doch sollen sie heute einmal den Blick auf das gesamte Bild nicht verstellen.)
Das darf gerne so bleiben und sich in die richtige Richtung weiterentwickeln; die Schere zwischen ganz oben und dem Durchschnitt sollte sich durchaus noch weiter schließen. Auch wäre es natürlich gut, wenn weniger Menschen ihren Urlaub verfallen lassen müssten. Aber schön ist es doch auch, zu wissen, dass das Gerede vom Freizeitpark Deutschland immer großer Quatsch war – und ist. In diesem Sinne allen, die jetzt bald in die Ferien ziehen, einen schönen Urlaub.