Was zählt, ist der äußere Schein: Diesen Eindruck muss man bekommen, wenn man sich mit dem Verhalten von Gebrauchtwagenkäufern in Deutschland auseinandersetzt. Lack und Zustand des Cockpits werden intensiv begutachtet, aber hinter die Kulissen wird kaum geschaut. Und wenn es um die zunehmend wichtige Bordelektronik geht, haben auch die Freunde, die Gebrauchtwagenkäufer zu ihren Besichtigungsterminen begleiten, selten eine Ahnung. Das ist umso interessanter, weil der wichtigste Verkäufer auf dem Gebrauchtwagenmarkt mit weitem Abstand nach wie vor der private Anbieter ist, der dem Käufer keinerlei Gewährleistung bieten muss oder kann. Und weil die Gespräche rund um den Kauf des Gebrauchten nun einmal so oberflächlich laufen, wie sie laufen, und Lackqualität sowie Zustand des Cockpits mehr zählen als mancher innerer Wert, erstaunt auch eine weitere Erkenntnis nicht: Denn trotz aller Skandale gilt immer noch, dass der Marke Volkswagen auf dem Gebrauchtwagenmarkt bisher keine schlechte Nachricht wirklich etwas anhaben konnte. VW, da weiß man, was man hat, sagen sich die Gebrauchtwagenkunden auch weiterhin. Und auch der beratende Freund wird sich denken: Zum Volkswagen raten, ruhig schlafen. Das ist doch einmal eine gute Nachricht für Wolfsburg.
Der Gebrauchtwagenmarkt in Deutschland boomt – im ersten Halbjahr 2016 haben rund 3,74 Millionen Fahrzeuge ihren Besitzer gewechselt, was einem Plus von 1,4 Prozent gegenüber derselben Zeitspanne des Vorjahres entspricht. Der Neuwagenmarkt ist zwar um 8,3 Prozent auf 1,73 Millionen gewachsen. Allerdings ist dieses Plus bislang vor allem auf die Gewerbekunden zurückzuführen. Wenn immer mehr private Autofahrer, die auf der Suche nach einem neuen Fahrzeug sind, dem Neuwagenmarkt den Rücken kehren, stellt sich die Frage, warum das so ist. Liegt es an der Tatsache, dass die Neuwagenpreise hierzulande auf ein Rekordhoch geklettert sind und der Durchschnittspreis für ein neues Auto mittlerweile 28 590 Euro beträgt?
Diesen Fragen geht eine aktuelle Befragung der Lease Trend AG auf den Grund, deren Ergebnisse dieser Zeitung vorab vorliegen. Dabei wurden in ganz Deutschland 500 Privatpersonen befragt, die den Kauf eines Gebrauchtwagens planen oder vor kurzem ein gebrauchtes Fahrzeug gekauft haben.
Das interessante Ergebnis: Die Tricksereien in den Chefetagen einiger Automobilhersteller wirken sich nur marginal auf Gebrauchtwagenkäufer aus. Die negativen Meldungen haben auf fast drei Viertel (73 Prozent) der befragten Autokäufer keine Auswirkungen gehabt. Lediglich 18 Prozent der Befragungsteilnehmer sind beim Gebrauchtwagenkauf vorsichtiger geworden, während 9 Prozent sich nicht zu diesem Thema äußern wollen. Und: Während Neuwagenkäufer VW-Modelle momentan wohl eher meiden, gaben 77 Prozent der Gebrauchtwagenkäufer an, dass die Affären keinen Einfluss auf die Wahl der Fahrzeugmarke haben. Autos von Volkswagen erfreuen sich hier also noch immer eines guten Rufs.
Für den Großteil der befragten Autokäufer (83 Prozent) wiederum ist der Preis das schlagende Argument, das für den Kauf eines Gebrauchtwagens spricht – dies gilt vor allem für die junge Zielgruppe unter 30 Jahre (87 Prozent) und Käufer, deren monatliches Gehalt unter 2000 Euro liegt (90 Prozent). Mehr als die Hälfte (57 Prozent) der Autokäufer entscheiden sich aufgrund des hohen Wertverlustes von Neuwagen lieber für einen Gebrauchten; immerhin verliert ein Neuwagen schon im ersten Jahr nach der Zulassung knapp ein Viertel seines Wertes und in den darauffolgenden Jahren gut 5 Prozent im Jahr. Der hohe Wertverlust ist vor allem für Besserverdiener mit mehr als 4000 Euro Monatseinkommen relevant.
Die meisten Befragten (38 Prozent) kaufen ihren Gebrauchten trotz höherer Risiken von Privatanbietern – schließlich darf eine Privatperson im Gegensatz zum Händler von vornherein jegliche Verantwortung für spätere Sachmängel ausschließen. Vor allem Käufer mit geringerem Einkommen (46 Prozent), Autofahrer bis 30 Jahre und Frauen (jeweils 44 Prozent) vertrauen auf diesen Absatzkanal. Die extrem niedrigen Zinsen scheinen bei der Bezahlung überraschenderweise nicht zu mehr Krediten zu führen: Fast drei Viertel (72 Prozent) der Befragten finanzieren ihren Gebrauchtwagen über Eigenkapital – besonders ältere Autokäufer (81 Prozent), die mehr als 50 Jahre alt sind, haben anscheinend Geld auf die hohe Kante gelegt und bevorzugen die Barzahlung.
Da sich die Fahrzeugbewertung in erster Linie am Kilometerstand und der Dokumentation der Service-Intervalle orientiert, ist es kaum verwunderlich, dass 86 Prozent der Gebrauchtwagenkäufer vor allem auf diese Kriterien achten. Aber auch Unfallschäden und Reparaturen (79 Prozent) spielen eine wichtige Rolle, dicht gefolgt von Lack- und Rostschäden, auf die 64 Prozent der Autofahrer bei der Sichtprüfung des Gebrauchtwagens achten. Auch der Zustand des Cockpits und Innenraums ist für mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) von Interesse.
Dagegen wird die eigentlich wichtigere Prüfung technischer und elektronischer Komponenten beim Autokauf eher vernachlässigt: Während 48 Prozent der Autokäufer zumindest die Reifen und Bremsscheiben in Augenschein nehmen, achten lediglich 46 Prozent auf das Motorgeräusch und die Drehzahl. Nur 41 Prozent wagen einen Blick unter die Motorhaube, um den Zahnriemen zu begutachten oder Ölflecken aufzuspüren. Noch weniger achten auf Elektrik oder Stoßdämpfer (38 Prozent beziehungsweise 37 Prozent).
Wenn es um den Kauf eines Gebrauchten geht, lässt sich fast die Hälfte der befragten Autokäufer (48 Prozent) von einem fachkundigen Freund beraten. Dies gilt vor allem für Frauen und jüngere Befragungsteilnehmer (jeweils 65 Prozent), die noch keine 30 Jahre alt sind. Während ein knappes Viertel der Befragten (24 Prozent) immerhin die Werkstatt zu Rate ziehen und 14 Prozent auf Produktbewertungs- und Testportale im Internet vertrauen, lassen sich 30 Prozent der Befragten von niemandem beraten. Vor allem ältere Autokäufer über 50 Jahre benötigen anscheinend keine Beratung.
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