Kinder und Jugendliche schauen häufig doch etwas genauer hin als Erwachsene. Das konnten wir neulich wieder erleben. Per Zufall war der Sohn bei einigen überraschenden Begegnungen mit Vorständen aus der Wirtschaft dabei – und am vergangenen Samstag war es dann so weit, die Beobachtung musste einmal ausgesprochen werden: „Papa, sag mal – wenn man Chef werden will, dann muss man doch eigentlich nur groß sein, oder?“, fragte der Nachwuchs. Und man muss sagen: Da hat er einen Punkt.
Denn auch auf allen nachfolgenden Terminen, nun wieder ganz planmäßig und ohne familiäre Begleitung, ließ sich schnell feststellen, dass eine ordentliche Körpergröße zumindest nicht hinderlich ist, wenn man es heutzutage zu etwas bringen will. Das gilt auf jeden Fall für die Wirtschaft. Wenn man aber den einen oder anderen Protagonisten aus der Politik getroffen hätte, wäre dem Sohn aufgefallen, dass man die Sache mit der Körpergröße nicht so ohne weiteres auch auf diesen Berufsstand übertragen kann.
Doch haben Politiker Glück. Denn die meisten Menschen kennen ihre öffentlichen Meinungsvertreter ohnehin nur aus dem Fernsehen. Und dieses Medium hat die interessante Eigenschaft, dass es Menschen viel größer macht, als sie es in Wirklichkeit sind. Angela Merkel könnte kaum ein weiteres Mal als Kandidatin für das Amt der Bundeskanzlerin in die nächste Bundestagswahl gehen, wenn es bei ihr auf die Körpergröße ankäme. Und man ist auch sehr überrascht, wenn man das erste Mal in seinem Leben – sagen wir zum Beispiel Ursula von der Leyen – die Hand schüttelt. In einer solchen Situation ist mit den Händen zu greifen, dass das Fernsehen eben auch nur eine Form der Wahrheit vermittelt, die der Realität nicht unbedingt entsprechen muss.
Aber auch das scheint nach einem ersten Eindruck die jüngere Generation stärker begriffen zu haben als ältere Menschen. Im Zeitalter diverser Youtube-Stars nehmen die jungen Leute bewegte Bilder nicht mehr für bare Münze, sondern erwarten eher, dass ohnehin jedes Bild auf irgendeine Weise manipuliert ist. Wie gut, dass es noch Zeitungen gibt, in denen man sich darauf verlassen kann, dass ein Bild ein Bild ist, keine Montage.
Doch das Oberflächliche ist allenthalben auf dem Vormarsch – und man könnte einen Moment darüber nachdenken, ob das in irgendeinem Zusammenhang damit steht, dass große und nicht allzu unattraktive Manager wohl nicht nur in den Augen des Nachwuchses größere Aufstiegschancen haben als andere.
Apropos oberflächlich: Da gibt es noch diese neue Marotte aus dem deutschen Geschäftsleben, E-Mails nach der Anrede mit der Floskel „ich hoffe, es geht Ihnen gut“ beginnen zu lassen. Was soll man dazu sagen, also im Wortsinne? Sind die Absender wirklich an einer Antwort in dieser Art interessiert: „Heute nicht so richtig gut, vor allem, weil ich nun schon zum zehnten Mal die Frage beantworten muss, wie es mir geht“? Eher nicht. Also ist es auch hier nur eine aus dem Amerikanischen „hope you are doing well“ oder „how are you?“ übernommene Floskel. Das ist ja alles gut und schön, im Deutschen aber doch in seiner Oberflächlichkeit verzichtbar.
Wir freuen uns allerdings darüber, wenn auch hierzulande immer mehr Menschen im Aufzug „have a nice day“-mäßig „einen schönen Tag“ wünschen, bevor sie gehen. Und ja, manchmal tun wir tatsächlich etwas „sehr gern“, auch wenn es die ersten Menschen gibt, die auch diese Worte für eine Floskel halten. Darauf hat uns vor einiger Zeit eine Dame auf dem Buchmessestand dieser Zeitung angesprochen – und ganz unrecht hatte sie natürlich auch nicht. Aber was wahr ist, muss doch wahr bleiben. Jedenfalls haben wir diese Kolumne auch diese Woche wieder sehr gerne geschrieben.
Vielleicht liest der eine oder andere den so entstandenen Text ja in der Luft, in einem Flugzeug einer Fluggesellschaft mit dem Namen Lufthansa, deren Maschinen von ihren Piloten wieder und wieder am Boden gehalten werden. In den Reaktionen der Piloten auf die Berichterstattung wird übrigens sichtbar, in was für einer Parallelwelt sie inzwischen leben. In Wahrheit sei alles ganz anders, heißt es dann gern. Dass das manchmal stimmt, haben wir ja schon festgestellt, aber auch, dass es schöner ist, für den eigenen Kunden etwas zu tun als gegen ihn. Und das hat gar nichts mit dem Chef zu tun – und schon gar nicht mit seiner Körpergröße.