Aber immer häufiger fließen auch qualitative Kriterien ein
Kennzahlen schaffen Transparenz und können damit zum Geschäftserfolg beitragen. Sie helfen dabei, entstehende Schwierigkeiten im Unternehmen frühzeitig zu erkennen. Die meisten dienen der Beschaffung von Informationen, der Planung – und natürlich auch dem Abgleich mit der harten Realität der Wirklichkeit. Ohne Kennzahlen lässt sich kein Unternehmen steuern. Aber sie sind, ebenso wie Veränderungen in der Gesellschaft, einem stetigen Wandel unterworfen.
Wegen der großen Bedeutung von Kennzahlen zur Unternehmenssteuerung einerseits – und um zu erkennen, inwiefern sich Unternehmen in ihrem Berichtswesen neuen Anforderungen anpassen – hat sich die LBBW-Bank in Stuttgart 145 Unternehmen und ihre Steuerungsgrößen einmal genauer angeschaut. Dabei stellt sich heraus: Quantitative Kenngrößen werden immer wichtiger. Und die Wertsteigerung des Unternehmens im Sinne eines Shareholder-Value-Ansatzes ist nicht mehr allein entscheidend.
Doch die Lage ist unübersichtlich, denn es werden mehr als 100 verschiedene Kennzahlen genutzt. Eindeutig aber ist: Trotz der großen Individualität sind Umsatz, Ergebnis vor Steuern (Ebit) und das Ergebnis vor Zinsen, Steuer und Abschreibungen (Ebitda) die drei finanziellen Kennzahlen, die derzeit die Steuerungssysteme dominieren.
Spannend wird es jenseits dieser zusammenfassenden, oberflächlichen Betrachtung. Denn qualitative Kennzahlen, die also nicht allein auf Umsatz oder Rentabilität abzielen, sind in den Unternehmen zwar immer noch unterrepräsentiert, finden aber sehr viel größere Beachtung als noch vor zehn oder fünf Jahren. „Zwei Drittel der Unternehmen erwähnen qualitative Größen zumindest als ergänzende Steuerungskennzahlen. Dies ist ein klares Zeichen dafür, dass qualitative Kennzahlen eine wachsende Bedeutung einnehmen und zum nachhaltigen Unternehmenserfolg beitragen können“, schreiben Uwe Burkert, Chefvolkswirt und Head of Research der LBBW, und sein Team Marco Göck, Martin Dresp und Luca-Emilio Kranz in der Auswertung, die dieser Zeitung vorliegt.
So habe zum Beispiel die Deutsche Post im Konzernlagebericht 2010 keine nichtfinanziellen Kennzahlen im Rahmen der Unternehmenssteuerung erwähnt. Im Jahr 2015 hingegen seien sowohl die Ergebnisse aus der Mitarbeiterbefragung als auch die Treibhausgas-Effizienz als Steuerungsgrößen aufgeführt worden. Es werden damit auch eindeutig Bedürfnisse außerhalb der Gruppe der Aktionäre berücksichtigt, es geht nicht mehr nur um die Shareholder, sondern um alle, die mit dem Unternehmen zu tun haben (die sogenannten Stakeholder).
„Im Zeitalter der Transparenz und der sozialen Medien sind es die Stakeholder, die zunehmend über Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens entscheiden. Unternehmen sind nachhaltig erfolgreich, wenn ihr strategischer Wachstumskurs von allen Stakeholdern mitgetragen wird. Dazu müssen Vorstände vor allem eins können: Zuhören“, berichtet auch Hartmut Vennen, Senior Managing Director von FTI Consulting, aus seiner Beratungspraxis: „Wir kommunizieren nicht. Wir reden. Vorstände sollten ihren Stakeholdern öfters zuhören und das Gehörte in ihre Strategie einbringen.“
Ein Vorstand, der seinen Stakeholdern systematisch zuhöre, treffe bewusstere Entscheidungen, die zu nachhaltig profitablem Wachstum führten, findet Vennen. Ein tieferes Verständnis von Kundenbedürfnissen führe zu Umsatzwachstum, das von Empfehlungen getragen sei. Insofern ergeben sich immer größere Schnittmengen von nackten Kennzahlen und Kommunikation: „Die Kommunikation muss diesen Zuhörprozess organisieren, die Erkenntnisse aufbereiten und auf Vorstandsebene in die Strategie hineintragen. Die besten Unternehmen binden alle Mitarbeiter in diese Aufgabe ein“, stellt Vennen fest. Deshalb stehe die Kommunikation derzeit vor der in seinen Augen „historischen Chance“, als Sachwalter der Stakeholder-Interessen zu einem echten Werttreiber im Unternehmen zu werden – und damit erheblichen Einfluss auf das Erreichen qualitativer und quantitativer Kennzahlen zu erlangen.
Ein Wandel ergibt sich aber nicht nur mit Blick auf die größere Bedeutung qualitativer Zahlen, denn auch quantitative Kennzahlen wurden 2010 noch sehr viel weniger verwendet. Die Unternehmen haben ihre Zahl der Steuerungsgrößen und -parameter also auch insgesamt erhöht. Der Essener Energiekonzern RWE sei ein Beispiel für ein Steuerungssystem, das sich sehr stark verändert habe, heißt es dazu bei der LBBW. Bis vor drei Jahren sei der Wertbeitrag die zentrale Steuerungsgröße von RWE gewesen. Die Vorstandstantieme sowie auch die variable Mitarbeitervergütung orientierten sich an dieser Größe.
Im Geschäftsbericht 2015 des Konzerns wurde jedoch angekündigt, dass künftig das Wertmanagementkonzept nicht mehr in den Lageberichten aufgeführt wird. Stattdessen rückten die Kennzahlen Ebitda, Ebit, operativer Cash-flow, Haushaltsüberschuss (-defizit) sowie die Nettoschulden in den Fokus der zukünftigen Geschäftsverlaufsplanung. Inzwischen richten sich die Vorstandstantieme wie auch die variable Mitarbeitervergütung nach dem betrieblichen Ergebnis von RWE.
Die LBBW begleitet den Wandel hin zu mehr Kennzahlen auch mit zwiespältigen Gefühlen: Die Betrachtung der alleinigen Anzahl von Steuerungsgrößen sei nämlich noch kein Entscheidungskriterium für eine gute oder schlechte Steuerung. Oftmals seien weniger, aber individuell passende Kennzahlen die bessere Wahl als zu viele Kennzahlen. Auch hier würde Vennen gewiss nicht widersprechen. Die Untersuchung zeigt, dass nahezu jedes Unternehmen den Umsatz beziehungsweise das Umsatzwachstum oder die absoluten Ergebnisgrößen Ebit, Ebitda als bedeutsamste Steuerungsgrößen verwendet. Häufig wird auch eine Kombination aus den genannten Größen angeführt.
Innerhalb der vergangenen 15 bis 20 Jahre ist zwar auch der Begriff der wertorientierten Steuerung der Unternehmen immer mehr in den Vordergrund getreten, in deren Rahmen es darum gehe, vor allem die Steigerung des Unternehmenswerts zu berücksichtigen. Dieses „Shareholder Value“-Denken sei aber nicht mehr der wichtigste Trend. Die Position habe viel mehr die Entwicklung zur Implementierung nichtfinanzieller Kennzahlen in die Steuerungssysteme übernommen – und damit exakt das Phänomen, das auch Kommunikationsberater Vennen beschreibt.
[…] FAZ Ad-hoc: Unternehmen planen gerne mit Umsatz, Ebit und Ebitda […]