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Oettinger ist nicht allein: Neue Freunde für europäisches Leistungsschutzrecht

Die konservative EVP-Fraktion um Verhandlungsführer Axel Voss unterstützt das Vorhaben nun geschlossen. Dabei wird auch der Kampf gegen „Fake News“ als Argument angeführt.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zu einer Reform des Urheberrechts und insbesondere die Einführung eines europäischen Leistungsschutzrechts (LSR) für Presseverlage hat inzwischen eine gewichtige Unterstützung im Europaparlament sicher. Denn die konservative Fraktion um den CDU-Abgeordneten Axel Voss unterstützt das Vorhaben nun geschlossen. Das war nicht immer so. Doch nachdem die maltesische Abgeordnete Theresa Comodini Cachia als bisherige Verhandlungsführerin das Parlament verlassen hat, stehen die 216 Abgeordneten hinter dem Vorschlag des früheren EU-Digitalkommissars Günther Oettinger.

Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg hatte in der öffentlichen Wahrnehmung bisher wie der einzige Kämpfer für das umstrittene Vorhaben ausgesehen. Jetzt aber weiß Oettinger auch Comodini Cachias Nachfolger, den CDU-Abgeordneten Axel Voss, auf seiner Seite. Der Entwurf der EU-Kommission sieht vor, dass Presseverlage auf europäischer Ebene 20 Jahre lang das ausschließliche Recht zur digitalen Nutzung ihrer Produkte erhalten. Das Parlament hat vor, noch in diesem Jahr über den Kommissionsvorschlag abzustimmen. Beobachter vermuten ein knappes Abstimmungsergebnis, gehen derzeit aber von einer Mehrheit für das Vorhaben aus. Als wegweisend gilt die vorgelagerte Abstimmung im Rechtsausschuss, die dem Vernehmen nach aber wohl nicht zum bisher angestrebten Zeitpunkt Anfang/Mitte Oktober stattfinden wird. Nach Informationen dieser Zeitung gibt es 996 Änderungsanträge, was zeigt, wie umstritten das Vorhaben auch unter den Abgeordneten ist.

Der Standpunkt von Voss und der EVP ist aber glasklar: „Wir brauchen ein europäisches Leistungsschutzrecht für Presseverleger“, stellt Voss gegenüber dieser Zeitung fest. Wer sich weiter umhört, muss nach der Motivation der EVP-Abgeordneten für ihre einhellige Meinung nicht lange forschen. Das digitale Zeitalter habe das Nutzungsverhalten nicht nur der Presseverleger, sondern auch der Suchmaschinen und Endkunden verändert, wird argumentiert. Ein eigenes Verlegerrecht sei daher notwendig, um Presseveröffentlichungen wieder ihren wirtschaftlichen Wert zuzuerkennen und sie vor Ausbeutung zu schützen. Presseverleger stellten für die Veröffentlichungen die Mittel zur Verfügung, und sie seien auch rechtlich und wirtschaftlich für diese verantwortlich. Daher sollten sie auch eigene Rechte für die Leistung erhalten – nicht zuletzt, um die Struktur und den Qualitätsjournalismus vor dem Phänomen der weitverbreiteten, gefälschten Nachrichten im Internet (den sogenannten Fake News) zu schützen, ist zu hören.

Das Argument des Schutzes vor diesen Fake News war in der Debatte um das LSR zuvor in dieser Form nicht aufgetaucht – und hat die Dynamik der Diskussion offenbar zugunsten der Befürworter verändert. Auch Plattformen wie zum Beispiel Google oder Facebook, die Zugang zu urheberrechtlich relevanten Werken gewährten, die von den Nutzern hochgeladen wurden oder solche Inhalte speicherten, müssten für diese Inhalte verantwortlich sein – und daher Lizenzvereinbarungen mit den Urhebern treffen, heißt es. Zudem seien die Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen zu prüfen. Ein Haftungsausschluss, wie er zurzeit für Plattformen in der E-Commerce-Richtlinie geregelt ist, soll dann eben nicht mehr greifen, sofern die Plattform einen „Akt öffentlicher Wiedergabe“ betreibe, wie es im etwas verquasten Amtsdeutsch heißt.

In jedem Fall gelte es, die „immens große Lücke“ zwischen Urhebern einerseits, die kein Geld an der Art der Veröffentlichung auf den Plattformen verdienten, und den Plattformen andererseits, die ganze Geschäftsmodelle auf diesem Konzept aufbauen, zu schließen. Inhalte, die in Europa geschaffen würden, müssen geschützt werden – und es müsse verhindert werden, dass damit nur außerhalb Europas wirtschaftlicher Wert generiert werde.

Noch ein anderer Punkt wird diskutiert: Mit Hilfe von auf Algorithmen basierenden Analyseverfahren werde heute in großen Datenmengen nach bestimmten definierten Informationen oder speziellen Mustern gesucht, um daraus neue Erkenntnisse oder wissenschaftliche Thesen zu gewinnen – aus denen sich dann wiederum neue Geschäftsmodelle entwickeln könnten. Dieser Vorgang wird „Text und Data Mining“ genannt. Und auch hier stelle sich die Frage, woher die gewünschten Daten kommen und unter welchen Bedingungen sie genutzt werden könnten. An dieser Stelle wissen die Beteiligten, dass sie vorsichtig sein müssen: Denn dieses Data Mining ist eine Ausnahme zum Urheberrecht: „Wird diese zu weit gefasst, könnte sie dem Leistungsschutzrecht entgegenstehen; wird sie zu eng gefasst, könnte sie innovationsschädigend sein“, heißt es im Hintergrund.

„Eine Einigung könnte bis Ende des Jahres erfolgen – wichtiger ist aber, dass die Inhalte, auf die wir uns einigen, auch der realen Welt angepasst sind – und die neuen Technologien und gesellschaftlichen Entwicklungen berücksichtigen. Schlecht wäre, wegen einer fehlenden Einigung gar keine Anpassung der europäischen Gesetzeslage zu erreichen“, sagt dazu Voss.

Wie geht es nun weiter? Wie zu hören ist, wird die EVP das Leistungsschutzrecht auf der Basis des Kommissionsvorschlags verhandeln; von anderen Fraktionen wird aber genauso die Streichung des LSR vorgeschlagen. Echte Kompromissvorschläge zwischen diesen beiden Positionen gibt es offenbar bisher nicht. Ein Kompromissvorschlag zum „Text and Data Mining“ ist derzeit wohl eher vorstellbar. Die Kommission trägt ihren Vorschlag weiterhin, Oettinger sowieso, und anzunehmen ist wohl auch, dass zumindest Deutschland, Spanien und Frankreich den Vorstoß auch im Europäischen Rat unterstützen werden. Von einer Abstimmung im Rat gehen Beobachter in jedem Fall aus, auch vom Widerstand vor allem kleinerer Mitgliedstaaten. Wenn aber zum Beispiel Polen ebenfalls für die Reform stimme, sei auch hier eine Mehrheit denkbar.

Kritisiert wird an den Vorschlägen unter anderem, dass mit einem eingeführten Leistungsschutzrecht auch jedwede Link-setzung lizenzpflichtig würde. Hier wird aber versichert, dass das nicht stimme. Es müsse zwar noch herausgearbeitet werden, ab welcher „Schöpfungshöhe“ (Länge des Links, wie viel kreativer Eigenwert enthält der Link) das LSR greifen solle. Das werde sicherlich nicht bei einer einfachen Verlinkung oder einfachen Suchmaschinen der Fall sein. Es gehe auch nicht um eine Verlinkung auf ein privates Blog. Zudem solle das Zitatrecht unberührt bleiben. Das deutsche Leistungsschutzrecht sei auch nicht etwa gescheitert, vielmehr habe der europäische Ansatz gefehlt, um das LSR auch wirksam umzusetzen. Einzelne Staaten seien für die Marktmacht von Google nicht mehr relevant, es gebe eine „Macht-Asymmetrie“. Erst mit einer Regelung auf europäischer Ebene könne diese durchbrochen werden – die Verleger bekämen so eine Möglichkeit, auf Augenhöhe zu verhandeln.

Letztlich sei der Erhalt von Qualitätsjournalismus auch eine Säule der Demokratie: Im Zeitalter des Internets, der Digitalisierung und in Zeiten von Fake News und des Postfaktischen, in dem es der Einzelne immer schwerer habe, Lüge von Wahrheit zu unterscheiden, will die EVP es dem Vernehmen nach zumindest versuchen, Qualitätsjournalismus und dessen notwendige „Infrastruktur“ abzusichern.