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Die Deutschen halten am Bargeld fest wie kaum eine andere Nation

| 11 Lesermeinungen

Bargeldloses Bezahlen entwickelt sich in Deutschland im internationalen Vergleich nur langsam. Dies ist das Ergebnis der Studie “Global Payments 2017 – Deepening the Customer Relationship” der Boston Consulting Group (BCG). Zwischen 2010 und 2016 wuchsen die bargeldlosen Zahlungen in Deutschland jährlich nur um 7 Prozent der Transaktionen pro Kopf. Damit gehört Deutschland im Ländervergleich zu den Nachzüglern im bargeldlosen Zahlungsverkehr – ebenso wie Portugal (9,8 Prozent), Österreich (8,2 Prozent), Italien (4,5 Prozent) und Spanien (2,1 Prozent).

Die Studie zeigt: Die Kluft zwischen den Ländern, die im bargeldlosen Bezahlen weit vorangeschritten sind, und denen, die hinterherhinken, wird immer größer. “Deutschland war einmal Vorreiter bei Innovationen im Zahlungsbereich und im elektronischen Zahlungsverkehr, droht jetzt aber den Anschluss zu verlieren. Die Banken müssen dringend schnellere und einfachere Interaktionsmöglichkeiten mit den Kunden entwickeln. Hier sind ihnen die Fintechs teilweise deutlich überlegen. Sie brechen mit innovativen Lösungen im Zahlungsverkehr in profitable Geschäftsfelder der Banken ein und positionieren sich in den attraktiven Feldern der Kundenschnittstellen. Dies wird sukzessive zu sinkender Kundenloyalität und zum Abwandern von Erträgen führen”, wird Niclas Storz, BCG Senior Partner und Fachmann für Technologie und Finanzdienstleister, in der Pressemitteilung zu den Ergebnissen zitiert.

Weltweite Verschiebung im Zahlungsverkehr

Die Studie prognostiziert im gesamten Zahlungsverkehr einen Anstieg des weltweiten Umsatzes um 900 Milliarden US-Dollar bis 2026. Ursache dafür ist, dass die Schwellenmärkte weiter wachsen und bargeldlose Transaktionen sich immer stärker verbreiten. Spitzenreiter beim bargeldlosen Bezahlen sind die USA, Australien und Großbritannien. Sie nutzen immer mehr kontaktlose Bezahlkarten. In Indien wird im Jahr 2022 bargeldloses Zahlen das klassische bereits überholt haben. In Europa sind die skandinavischen Länder Norwegen, Finnland und Schweden in der Spitzengruppe. “In Skandinavien, den USA und Australien gehören bargeldlose Zahlungen deutlich stärker zum Alltag als etwa in Deutschland. Unabhängig von der Höhe der Transaktionen wird in diesen Ländern nahezu jede Transaktion bargeldlos abgewickelt. Teilweise wird in Skandinavien gar kein Bargeld mehr als Zahlung akzeptiert”, so Storz.

Deutsche sind “Cash-Loyalisten”

BCG prognostiziert für Deutschland ein Wachstum der bargeldlosen Transaktionen von 3 Prozent bis 2026 – vor allem bedingt durch den vermehrten Einsatz von Karten und bargeldlosen Verkaufsterminals. Dennoch zeigt sich im Ländervergleich eine vergleichsweise große Zurückhaltung, die sich unter anderem auf infrastrukturelle Probleme im Zahlungsverkehr sowie die emotionale Zurückhaltung von Kunden zurückführen lässt. Es gibt nicht ausreichend bargeldlose Bezahlmöglichkeiten und es fehlen oft innovative Anbieter von mobilen Zahlungslösungen. Insbesondere für kleinere Beträge wird hierzulande oft noch ausschließlich Bargeld akzeptiert und eine Kartenzahlung verwehrt. “Restaurantbesuche und Lebensmittel werden mehr als doppelt so oft bar bezahlt wie im europäischen Durchschnitt. Hinzu kommt, dass viele Verbraucher Sicherheitsbedenken gegenüber bargeldlosen Zahlungsalternativen – auch beim Thema Datenschutz – hegen. Nur ein Viertel der deutschen Verbraucher glauben, dass bargeldlose Zahlungen sicher sind”, sagt Holger Sachse, Partner und BCG-Experte für Payment, Retail-Banking und Financial Services.

Deutsche Banken durch Fintechs unter Druck

Die Rolle der Banken als Hauptschnittstelle bei Bezahlungen ist in Gefahr. Fintechs setzen das Geschäft der Banken verstärkt unter Druck. “Darüber hinaus haben Banken in Deutschland über Jahre hinweg das händlerbasierte Kartengeschäft “Merchant Acquiring” unterschätzt und zum Teil an Dritte ausgelagert oder Konsortien mit anderen Banken gebildet und somit das ertragsstarke Geschäft an andere abgegeben. Mittlerweile haben viele Private-Equity-Unternehmen diesen Bereich entdeckt und investieren massiv durch Übernahmen und Konsolidierungen”, erläutert Sachse. Bisher hätten die Banken nur zögerlich agiert. “Sie sollten schneller und strategischer auf die neuen Herausforderungen und Bedürfnisse im Zahlungsverkehr reagieren und ihre Angebote überdenken und weiterentwickeln.” Dabei sollten sie in den Augen der BCG-Experten in vier Schritten vorgehen: die Kundenschnittstelle neu gestalten; zusammenarbeiten, um die Herausforderung des „digitalen Geldbeutels” anzugehen; bessere Anwendungsprogrammierungen entwickeln sowie ihre Marketingaktivitäten personalisieren. Zahlungsverkehr wird immer eine tragende Rolle in der Interaktion mit Kunden spielen. “Banken können es sich schlicht nicht erlauben, den Anschluss zu verlieren und als Beobachter das Feld anderen zu überlassen. Entschiedenes Handeln ist mehr denn je gefragt”, sind sich Sachse und Storz einig.

Die Studie kann unter https://on.bcg.com/2wQTYHc heruntergeladen werden.


11 Lesermeinungen

  1. quepuedohacer sagt:

    Schecks in den USA
    Ich habe bis vor kurzem in den USA gelebt. Dort werden Löhne und Renten oftmals nicht überwiesen, sondern man bekommt sie als Scheck mit der Post!! Ich kam mir vor wie im 19. Jahrhundert.

  2. Heismann sagt:

    Vertragsfreiheit
    Zur Kritik an der BCG-Studie, die von den Vorrednerinnen und -rednern geäußert worden ist, darf ich ergänzen:

    Wir haben in Deutschland eine freie Marktwirtschaft. Ein zentrales Element dieses Wirtschaftssystems ist die Vertragsfreiheit. Welches Zahlungsmittel beim Einkaufen benutzt wird, ist allein Sache der Geschäftspartner. Wenn ein Supermarkt kontaktlose Karten annimmt, darf der Kunde gerne damit bezahlen.

    Der Grieche bei mir um die Ecke akzeptiert hingegen nicht einmal herkömmliche Kreditkarten. Das muss er aber auch nicht. Doch der Wirt darf sich dann nicht wundern, wenn ich meine Freundin womöglich lieber in ein anderes Restaurant einlade.

    In Deutschland sind einzig und allein Euro-Banknoten und Münzen gesetzliches Zahlungsmittel. Allein schon aus diesem Grund wäre eine Abschaffung des Bargeldes außerordentlich problematisch.

    Der moralisierende, um nicht zu sagen: sektiererische Ton des Beitrags ist völlig unangemessen. Gerne mögen die Skandinavier das Bargeld vollkommen abschaffen. Doch andere Länder haben absolut das Recht, weiterhin mit Scheinen und Münzen zu zahlen. Wo ist da das Problem? Es muss doch nicht alles gleich sein auf der Welt!

  3. Erna2017 sagt:

    USA - von wegen bargeldlos!
    Die Tendenz des Artikels ist ja klar. Zu den Aussagen hinsichtlich den USA will ich nur das Folgende sagen: Ich habe seit mehreren Jahren einen Wohnsitz im Mittleren Westen. Ich habe noch NIE jemanden mit einer kontaktlosen Karten zahlen sehen. Ich habe mehrere Mietobjekte, bei denen die Mieter jeden Monat die gesamte Miete bar bezahlen! Das ist hier ganz normal. Ich sehe manchmal Bankkunden, die Tausende in bar einzahlen, ohne dass das ein Problem ist. Es stimmt allerdings, dass Kleinzahlungen oft per Kreditkarte abgewickelt werden. Aber wer in den USA da Bargeld abschaffen wollte, riskierte einen bewaffneten Aufstand, schon weil die fundamentakistischen Evangelikalen dass als Zeichen des Weltuntegangs sehen (vgl. Offenbarung Johannes).

    (Anmerkung der Redaktion: Der Kommentar wurde leicht gekürzt, bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Grundsätzlich: Wenn man die Ergebnisse einer Studie oder die Meinung anderer veröffentlicht, macht man sich damit die Meinung derselben nicht zu eigen.)

  4. Hans_Nase sagt:

    Cui bono
    Das ist immer die Frage. Wenn irgendwelche Berater neue Geschäftsmodelle (sprich Möglichkeiten, Geld zu verdienen ode reinzusparen), dann ist nun mal Vorsicht angesagt. Und Abwägung von Vor- und Nachteilen.
    Es gibt für den bergeldlosen Zahlungsverkehr nur wenige direkte Vorteile. Man spart sich halt das Geld abholen bei der Bank. Und zahlen geht ein paar Sekunden schneller. Das war es schon.
    Ansonsten gibts nur Nachteile.
    Das z.B. gerade in Deutschland, wo das Finanzamt wirklich jede Möglichkeit bekommt und ausnutzt, den Stuerzahler zu durchleuchten solche Bezahlweisen einen schlechten Ruf haben, sollte nicht verwundern.
    Und neuerdings dann noch die Diskussion um Negativzinsen.
    “Bargeld ist gerduckte Freiheit”. So ist es nun mal.
    Nicht zu vergessen, das kollektive Gedächtnis um die Gefahren des gläsernen Bürgers als Opfer von Gestapo oder Stasi.

    Das die jüngere Generation, Smartphone-vernarrt naiv hier mangels Lebenserfahrung noch keine Sensoren entwickelt hat, geschenkt. Auch die werden das noch lernen…

    • skatfreund sagt:

      Sagt mein Wirt auch.
      Der Wirt wo wir immer Skat spielen muss ja seit geraumer Zeit auch fürs Finanzamt eine Art “elektronische” Kasse führen, um Steuerhinterziehungen im Kneipenbereich zu verhindern.

      Ich frage mich, wozu der Aufwand ? Wenn jemals auch nur irgendein Kneipier bei der Steuer beschissen hätte, möchte ich sofort tot umfallen. :-)

  5. Harald sagt:

    Die Argumente der Mehrheit der Leser
    gegen den bargeldlosen Zahlungsverkehr sind richtig. Ich denke, dass die seit Jahren mit stets der gleichen Aussagen verfassten Artikel nach der Taktik “viele Tropfen höhlen den Stein” die Lobby der Banker, aber auch die Interessen der Politik bedienend ein Ziel verfolgt wird. Neben großer Kosteneinsparungen seitens der Finanzwirtschaft und Banken steht das größte Ziel: die absolute Kontrolle der Privatperson sowie die Vermeidung einer für Staat und Bank gefährlichen Situation in Krisenzeiten, das massenhafte Abheben des Geldbestandes von den Konten i.F. des Bargeldes in die Verfügungsgewalt der Kontoinhaber bzw. rechtmäßigen Besitzer dieser Gelder! Den Autoren ist dabei jedes Mittel recht – auch das, uns mit dem Verweis auf andere Staaten einzureden, wie seien rückständig und müssten uns fast schämen dafür.

  6. kioto_FAZ sagt:

    Hatten wir gerade, Stromausfall komplett im ganzen Ort
    Kein Licht, kein Radio, aber auch kein EC Kartenleser funktionierte. War zwar nur für ein paar Stunden. Trotzdem, wie gut, wenn man dann ein paar 20ger für das nötigste hat, denn angeschrieben wird Nirgend wo mehr. Bargeldlos macht abhängig und gibt im Zweifelsfall der Regierung den totalen Durchgriff. Wollen wir das?

  7. Kairo2010 sagt:

    Vielen Dank Herr Grabe,
    das verkürzt meinen Beitrag auf die Ergänzung, dass auch die Erfahrung mit totalitären Systemen auf deutschem Boden zu dieser Haltung sehr wohl beitragen mag. Zwangshypotheken ebenso im 3. Reich, wie auch in der DDR in Grundbüchern privater Eigentümer zeigten u.a., dass sich die Staatsmacht nicht zimperlich zeigt, wenn es darauf ankommt.

  8. knieselstein sagt:

    Muss mich nicht haben, daß mein Bänker
    durch meine bargeldlosen Zahlungen mit Hilfe eines Algorythmus mein kompelttes Leben anlysieren kann. Meine Daueraufträge sagen schon für meinen Geschmack zuviel aus.

  9. BGrabe02 sagt:

    Das liegt daran...
    das wir Deutsche eine lange und unangenehme Erfahrung hinsichtlich zentralisierter Finanzströme haben.
    Wir wissen im Gegensatz zu den anderen Nationen viel besser, das dem Staat nicht zu trauen ist, wenn er zu viele Kontrollmöglichkeiten hat.
    Diese Erfahrung fehlt in den genannten anderen Staaten meistens und da es meist dauert, bis sich die Folgen möglichen Missbrauchs in gefühlten Missbrauch bemerkbar machen, ist es genau umgekehrt, ausnahmesweise sind wir den anderen mal voraus. Sie wissen es bloß noch nicht.

    • skatfreund sagt:

      Paranoid ?
      Sie sind hoffentlich mit dem Rest einer Meinung, dass der Status quo ist, dass der Staat von bargeldlosen Zahlungen nichts erfährt. Wenn Sie in Ihren völlig überzogenen Staatsangst das nicht mehr anerkennen, ist Ihnen wohl auch nicht mehr zu helfen.

      “Kontrollmöglichkeiten” braucht der Staat natürlich schon, weil der Bürger, u.U. der Deutsche im Besonderen (?), ständig nach Möglichkeiten sucht, sich den Regeln zu entziehen.
      Wer sich also über Kontrollmöglichkeiten echauffiert, die nur dazu dienen, das Recht durchzusetzen, kann natürlich immer noch behaupten, er/sie hätte nichts zu verbergen. Nur glauben kann man das dann eben nicht mehr.

      Alle wollen uns immer glauben machen, Plastik und Guthaben seien die Währungen der Kriminellen, Bargeld die Währung der Ehrlichen. Wer das glaubt kann doch hier auf faz.net den Bericht über die Razzia bei den “ehrlichen” Rockern lesen. Dort steht wieviel Bargeld und wieviel Kontoguthaben als Vereinsvermögen beschlagnahmt wurde….

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