Amerikanische Augenblicke

Amerikanische Augenblicke

Hillary Clintons demütigender Absturz, John McCains wundersame Auferstehung, Barack Obamas märchenhafter Aufstieg: Amerika erlebt den längsten und

Darf’s ein bisschen zuviel sein?

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In den Vereinigten Staaten wird man immer wieder aufs Neue davon überrascht, wie großzügig, verschwenderisch, maßlos dieses Land ist. Vielleicht ist der entscheidende Schlüssel zum Wesen der Amerikaner ja die Art, wie sie eine Ofenkartoffel zubereiten.

Columbus, OHIO

Bild zu: Darf's ein bisschen zuviel sein?Vielleicht ist der entscheidende Schlüssel zum Wesen der Amerikaner ja die Art, wie sie eine Ofenkartoffel zubereiten. Buchstäblich jedes Mal, wenn ich in die Vereinigten Staaten komme, bin ich aufs Neue überrascht davon, wie großzügig, verschwenderisch, maßlos dieses Land ist: in seinem Umgang mit dem Raum, dem Geld, dem eigenen Körper, der Begeisterung, fremden Menschen, mit vielem, was das Leben ausmacht. Es ist ein Effekt, der nie nachlässt.

In einem Restaurant in Columbus, an einem dieser Parkways, die nach 24 Stunden alle gleich aussehen – ein „Wal-Mart Super Center“ hier, ein Mega-Kino dort -, wird sie zum Steak serviert. Das Credo scheint zu sein: Wir haben schon Sour Cream und überbackenen Käse draufgepackt, was können angebratene Schinkenwürfel da schon schaden?

Das „Texas Road House“ ist die Art Etablissement, wo in einer Vitrine am Eingang die Steaks liegen, in Frischhaltefolie eingeschweißt und in mehreren Gewichtsklassen: Rib-Eye – 280 Gramm, 340 Gramm, 450 Gramm. So sieht er auf dem Teller aus, der Überfluss im Konsum, der hier eher selbstverständlich als demonstrativ ist.

Es ist kurz vor drei am Samstagnachmittag; in einer guten halben Stunde, so teilt mir die blonde Kellnerin Tera mit, wird die ganze Stadt zum Stillstand kommen. Columbus, die Kapitale von Ohio, hat kein professionelles Football-Team, also müssen die Kids von der örtlichen Ohio State University als Objekte der Begeisterung herhalten, einer der besten öffentlichen Hochschulen des Landes mit gut 50.000 Studis.

Heute spielen die „Buckeyes“ gegen die „Spartans“ von der Michigan State University. Das nimmt man einigermaßen wichtig; in ein paar Wochen aber spielt man gegen den Erzfeind, die University of Michigan – und dann wird es ERNST werden.

Neben mir an der Bar sitzen, wie ich gleich erfahren werde, Christopher und Jennifer, beide schätzungsweise Ende dreißig, die in einem Friseurladen in der Nähe arbeiten – „einem ganz traditionellen amerikanischen barber shop“, wie sie stolz erklären werden. Als ich unschlüssig bin, was ich als Getränk bestellen soll, lehnt Christopher sich herüber und gibt mir einen Tip: Coca-Cola mit Kirschsirup. (Ich empfehle es nicht: zu süß.) So beginnt es. Christopher erzählt von seinem zehn Jahre alten tauben Sohn, und Jennifer sekundiert, was dieser für ein Wunderkind sei.

Es folgt eine Erfahrung, die man als Reporter in den Vereinigten Staaten immer wieder macht: Man erzählt jemandem, warum man gekommen ist, und die Leute machen das Projekt zu ihrem eigenen.

Als ich vor ein paar Jahren in Midland, Texas, war, wo George W. Bush aufwuchs und später lange ohne rechten Erfolg im Ölgeschäft arbeitete, ging ich in seine ehemalige Kirche, um Leute zu treffen, die ihn von früher her kannten. Am Ende machte einer der Männer aus der Gemeinde, der früher mit Bush zum Joggen ging, stundenlang den Stadtführer für mich; das Abendessen verbrachte ich bei einer anderen Familie, die mit mir ihre Erinnerungen teilten. Auch wenn ich sie immer noch nicht recht verstehe: Das Erlebnis hat mein Vorurteil über Amerikas Evangelikale nachhaltig erschüttert.

Dieses Mal bin ich in die Vereinigten Staaten gekommen, um mich für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und FAZ.NET umzuhören unter den Wählern von Ohio, wo die Umfragen Barack Obama und John McCain mehr oder weniger gleichauf sehen, wo aber beide gewinnen müssen, wollen sie Präsident werden. In dem Steak-Haus in Columbus bin ich an diesem Nachmittag eigentlich kurz mal außer Dienst. Aber dann reden wir drei doch über die Wahl.

„Wir kriegen alle möglichen Leute in unseren Laden, einen ganz guten Querschnitt“, sagt Christopher: „Vom Polizisten, der kurz vor dem Besuch eines Präsidentschaftskandidaten noch mal vorbeikommt, weil er neben der Autokolonne herfahren muss und gut aussehen will, bis zum Uni-Professor.“ Dann wird eben auch politisiert. „Sie müssen unbedingt mal vorbeikommen und sich das anhören.“

Jennifer selbst ist noch unentschieden, wem ihre Stimme gehören soll. Einer ihrer Kunden sei ein schwarzer Radio-Moderator, sagt sie: „Er gehört zu den Zeugen Jehovas, und die wählen eigentlich nicht. Aber er ist so begeistert, dass er dieses Mal doch zur Wahl gehen will.“

Freilich, wie viele Weiße auch hier in Ohio für Obama stimmen werden, das ist noch nicht ausgemacht. Am Ende doch nicht alle, die das jetzt gegenüber den Meinungsforschern behaupten? Man gibt sich nur ungern bigott. Für die meisten Meinungsforscher gehört Ohio bisher noch immer in die Kategorie „toss-up“: Man könnte genau so gut eine Münze werfen.

Die „Buckeyes“ übrigens gewinnen an diesem Nachmittag. 45 zu 7. Aber dieses Wochenende war es ja ohnehin noch nichts ganz Ernstes.


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